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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 8. 2016 - 16:51

Komm mit mir ins Abenteuerland

Die letzte Materialschlacht: "Ibifornia", das neue Album von Cassius schäumt über. In allen Farben.

Orientierungslosigkeit ist das Ziel. Auf seinem neuen, vierten Album versucht sich das altgediente Pariser Produktions-Duo Cassius am übermächtigen, am spritzenden Pop-Maximalismus, an der prächtigen, prallen Collagierungskunst.

Dabei sind die beiden Herren meistens doch am besten gewesen, wenn sie sich dem Minimalismus verschrieben haben. Ab Mitte der Neunziger Jahre waren Philippe Zdar und Hubert Boom Bass neben Leuten und Homies wie Étienne de Crécy, Daft Punk und Air Mitbeförderer des Schlagwortes "French Touch" und haben der schönen Tanzmusik namens "Filter House" den Weg geebnet.

Cassius

Universal

Cassius

Auf frühen Tracks und ihrem ersten Album "1999" aus dem titelspendenden Jahr war die Musik von Cassius noch mit Absicht simpel gestrickt und roh und fiebrig: Zerkratzte Disco-Loops, eine tiefe, tiefe Bassdrum aus einer kaputten Drum-Machine, oft eine vernebelte Aura von Dub und wortlosem, laid-back HipHop. Pop und Glam und Glitter haben zwar bei Cassius immer schon durchgewirkt, in der Schlichtheit und Direktheit und im gerne verbeulten Charme ist jedoch ihre Stärke gelegen.

Nach "1999" haben sich Cassius stärker dem Hochleistungspop zugewandt, viel mit Gastsängerinnen und Gastsängern gearbeitet und den Clubtrack und den Dancefloor eher vom Rande aus beobachtet. Und mit Ausnahme der "Rawkers"-EP für das Pariser Haudrauf-Label Ed Banger aus dem Jahr 2010 fast ausschließlich vernachlässigbaren Schwülst-Pop und teuer duftenden Boutiquen-House veröffentlicht.

Gerade ist nach zehn Jahren Album-Pause das vierte Album von Cassius erschienen. Hier soll alles – alles! – smooth zusammenkommen: Die Platte trägt den Titel "Ibifornia", und selbst wenn man noch gar nicht weiß, was das bedeuten mag, so klingt dieses Wort schon unangenehm.

"Ibifornia", das ist ein von Cassius selbst erfundenes Kofferwort, zusammengebaut aus den Sehnsuchtsorten - wait for it - Ibiza und Kalifornien. Cassius lieben also den güldenen Pomp, die Harmonieseligkeit, das Plastik und den Exzess von Kalifornien, von kalifornischem Pop und Softrock, aber genauso den Rave von Ibiza, den Techno, den House, den Beat, den anonymen Track.

Um auf "Ibifornia" den großen Plan zu stemmen, haben Boom Bass und Zdar wieder ein ordentliches Gästezimmer aufgemacht. Mit dabei auf "Ibifornia" beispielsweise: die allmächtige Cat Power, Mike D von den Beastie Boys, der französische Newcomer Jaw. John Gourley von Portugal. The Man, der einstige The-Rapture-Frontmann Luke Jenner (bloß als Background-Sänger verwurstet), Ryan Tedder von der Pop-Rock-Band OneRepublic.

Dazu noch der Mann, der auf keiner zeitgenössischen Platte fehlen darf, die vielschichtig funkeln will: Pharrell Williams. Außerdem: eine richtige, echte Band mit hundert Funk-Gitarren, Pauken und Saxophonen. Viele der Gäste tauchen auf mehreren Stücken auf, sei es im Hintergrund oder auch als Co-Writer, so entsteht eine Idee von Family-Charakter und lässt die Platte weniger nach bloß zugekauftem, austauschbarem Cameo-Popsuperstardom schmecken.

Ibifornia Cover

Universal

"Ibifornia" von Cassius erscheint via Universal.

Es geht um Unity, Love und Peace, gute Absichten und die Verwirklichung von Träumen. "Ibifornia" ist der paradiesische Fluchtpunkt - so erfahren wir aus den oft betont, nun ja, einfach getexteten Texten: "Ibifornia is a place where the sun rises high and the horses run free", heißt es im Titelstück.

Dieses Album will alles und macht alles: HipHop und Soul und Disco. Disco-Soul und Funk-Pop. Pop-Funk, House-Soul, Synthie-Pop, Gitarrensolo und Electric Light Orchestra. Gospelchor.

Und so schwankt "Ibifornia" auch gehörig: Da, wo der "Ibiza"-Faktor herausgearbeitet wird, funktioniert es: Der Titeltrack ist ein geil überzuckertes Stück Tropical House, inklusive Dschungel- und Tiergeräuschen, sowie einer sonoren Barry-White-Erzählerstimme. Die Abschlussnummer "Ponce" ein überraschend rougher, minimaler Dancetrack – ohne Gäste, ohne Trara.

Auch einige der Popstücke bringen Glück: Der Hit "Atomic" mit Mike D und Cat Power, wunderliche Mischung, in der Albumversion gut neun Minuten lang. Der Überschwangs-Psychedelik-Wahnsinn namens "Hey You!": Sgt. Pepper's Kapelle spielt "Hair" in George Clintons Spaceship. Oder, noch einmal, sie macht alles gut: Cat Power in der Synthie-Soul-Ballade "Feel like Me".

Dazwischen quietscht und brummt es, es hupt, blinkt und fettglänzt. Materialschlacht, noch eine Spur, noch eine Scheibe Käse, noch eine Sprühung mit der Schlagoberskanone. Herrlicher Bombast, hinter dem dann schließlich kein Lied mehr auszumachen ist - außer eventuell öliger, herzloser Chrom-R'n'B, für den Justin Timberlake eine C-Seite zu schade wäre. Hauptsache satt. Alles explodiert.