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Claudia Unterweger

Moderiert FM4 Connected und FM4 Homebase.

25. 8. 2016 - 17:04

"Was unterscheidet den Burkini vom Neoprenanzug?"

Burkini, Burka, Verschleierungsverbote. In mehreren Ländern Europas wird über eine Verschärfung der Bekleidungsvorschriften für Muslimas diskutiert. Menschenrechtsexpertin Anna Müller Funk war bei FM4 zu Gast.

UPDATE, 26.8.2016

Wie Le Monde und eben auch die Süddeutsche berichten, hat Frankreichs Oberstes Verwaltungsgericht die umstrittenen Burkini-Verbote an französischen Stränden für unrechtmäßig erklärt. In einer Grundsatzentscheidung setzte der Staatsrat in Paris am Freitag das im südfranzösischen Badeort Villeneuve-Loubet verhängte Verbot des muslimischen Ganzkörperbadeanzugs aus.

Die Entscheidung des Staatsrates gilt zunächst nur für Villeneuve-Loubet. Sie wird aber als Präzedenzfall für mögliche weitere Klagen gesehen.

burkini

APA/AFP/FETHI BELAID

Das Foto zeigt tunesische Frauen in der Nähe von Tunis, aufgenommen am 16. August 2016

Vier Männer, die Waffen tragen, zwingen eine Frau, sich auszuziehen. Wahrscheinlich habt ihr sie auch gesehen, die heftig diskutierten Bilder vom Geschehen am Strand in Nizza. Es handelt sich dabei um französische Polizisten, die einer am Strand liegenden (wahrscheinlich muslimischen) Frau in Bluse, langer Hose und Kopftuch befehlen, einen Teil ihrer Kleidung auszuziehen.

Eine aktionische (Re)Aktion gibt es bereits in Wien:
„Schwimmen wie es und gefällt“ kommenden Montag am Donaukanal.

Bekleidungsvorschriften für muslimische Frauen werden dieser Tage quer durch Europa verschärft: In Frankreich ist mittlerweile das Tragen eines Burkini an einigen Stränden verboten. In Deutschland tobt seit Tagen eine Debatte um die Vollverschleierung muslimischer Frauen. Und auch in Österreich wird ein Burkaverbot diskutiert.

Wir haben dazu Anna Müller-Funk, vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte zu uns ins FM4 Studio eingeladen.

Claudia Unterweger: Wie schätzen Sie diese Szene am Strand von Nizza ein? Inwiefern stellt das Verhüllen des Körpers am Strand bzw. das Tragen eines Burkinis einen Verstoß gegen die Sittlichkeit dar, wie in diesem Fall von den Polizisten argumentiert wurde.

Anna Müller-Funk: Also mit der Sittlichkeit tu ich mir schwer, ich würd es eher umgekehrt sehen: dass die Vorschrift, was Frauen am Strand tragen dürfen, ein ganz starker Eingriff in die Selbstbestimmtheit der Frau ist. Der Burkini ist im Endeffekt nichts anderes als Leggings und ein langes Top, manchmal kombiniert mit einem Kopftuch. Ich sehe nicht, was daran anstößig sein soll.

anna-mueller-funk im studio

Jan Hestmann / Radio FM4

Anna Müller-Funk

Auch in Österreich fordert jetzt Ingtegrationsminister Sebastian Kurz ein Verbot des Niquabs oder der Burka. Diese sei ein Symbol einer Gegengesellschaft und der Integration abträglich. Heißt das im Umkehrschluss, ein Verbot der Vollverschleierung wirkt sich positiv auf die Integration muslimischer Frauen aus?

Man muss ganz vehement unterscheiden zwischen einer Burka und einem Burkini. Eine Burka ist sehr wohl ein Problem. Ich glaube, es gibt Bereiche, wo eine Burka einfach nicht möglich ist. Zum Beispiel im öffentlichen Dienst, wo man sagen kann: Wir wollen nicht, dass kleine Mädchen damit aufwachsen, dass Frauen unsichtbar sein sollen im öffentlichen Raum. Also über die Burka und den Niquab kann man lange und ausführlich diskutieren.

Ich finde, es gibt in dieser Diskussion auch eine pragmatische Ebene: ob man das verbieten möchte und was das Ergebnis ist. Denn wenn Frauen quasi gezwungen werden, im öffentlichen Raum unsichtbar zu sein, dann ist die Frage, möchte man die dann als nächsten Schritt völlig aus dem öffentlichen Raum vertreiben. Denn das ist die logische Konsequenz.

Wenn man für die Selbstbestimmung der Frauen ist, dann finde ich es im Jahr 2016 schwierig, Frauen vorzuschreiben – ob das jetzt Männer sind oder staatliche Institutionen – was sie anziehen dürfen. Wir haben in Europa eine lange Geschichte der Frauenrechte, wo das Tragen von Hosen, das Tragen von kurzen Röcken ein ganz wesentlicher Teil der feministischen Bewegung war. Und das Ganze ist auch eine Stellvertreterdebatte: Man redet über die Frauenrechte von muslimischen Frauen anstatt über gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu reden oder häusliche Gewalt etc.

Stehen solche Burkaverbote eigentlich im Einklang mit den Menschenrechten?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat, in dem er das Burkaverbot in Frankreich nicht gestürzt hat, de facto festgehalten: Es gibt kein Menschenrecht darauf, eine Burka oder ein Niquab zu tragen. Er hat das allerdings nicht mit Sicherheit oder anderen Dingen argumentiert. Sondern der EMGR hat festgehalten, dass das Gesicht, die Mimik zu sehen, Blickkontakt zu haben ein wesentlicher Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation und damit Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist. Und dass dieses Sich-da-Rausnehmen nicht gerechtfertigt ist. Er hat aber gleichzeitig in dem Urteil gesagt, dass Frauen, die Niquab tragen, natürlich benachteiligt sind.

Es waren sich da aber auch nicht alle RichterInnen einig. Zwei RichterInnen haben gesagt, für dieses abstrakte Gut des gesellschaftlichen Zusammenlebens so in die Rechte einzelner Frauen einzugreifen, die das freiwillig und selbstbestimmt tragen, sei problematisch.

Hat das Burkiniverbot in Frankreich eine rassistische Komponente?

Natürlich, ja. Was unterscheidet einen Burkini von einem Neoprenanzug? Was unterscheidet einen Burkini von einem Badeanzug, wie ihn Sonnen-AllergikerInnen tragen? Darf ich als Nicht-Muslimin einen Burkini tragen und die Muslimin nicht? Das ist ja auch kein neuer Diskurs, dieser Diskurs von der Frau mit Kopftuch und der muslimischen Frau. Der geht zurück in die K.u.k.-Zeit in Österreich, wo die Wiener Frauen, die damals noch einen Haushaltsvorstand hatten, nicht wählen durften und kein Einkommen haben durften, darüber geredet haben, wie unterdrückt die muslimischen Frauen in Bosnien sind. Diese Idee, dass die muslimische Frau per se schwach und unterdrückt ist, wenn sie ein Kopftuch hat, hat natürlich etwas inhärent Rassistisches.

Auf Twitter kursiert ein Foto aus den Zwanziger Jahren, wo ein Polizist am französischen Strand die Badekleidung einer Frau vermisst, ob sie nicht zu kurz ist. Warum werden Bekleidungsvorschriften sehr oft am weiblichen Körper diskutiert?

Das geht historisch in die verschiedensten Kulturen zurück. Wie du sagst: Bekleidungsvorschriften an Stränden galten historisch nicht nur für Musliminnen sondern auch für christliche Frauen - mit sehr ähnlichen Argumenten. Weiblichkeit zu regulieren und zu reglementieren war und ist ein wesentlicher Bestandteil des Patriarchats. Insofern war ja auch die Befreiung von diesen Vorschriften durch verschiedene Frauenbewegungen ein ganz wesentlicher Schritt.

Es ist ja auch immer wieder interessant zu sehen, wie kurz vergangen manche Entwicklungen sind: In Paris wurde das Verbot für Frauen Hosen zu tragen erst vor wenigen Jahren formal aufgehoben. Das war bis 2013 noch totes Recht! Den ersten elastischen Badeanzug hat Coco Chanel 1914 produziert. Bis dahin sind Frauen in wahnsinnig unpraktischen und auch gefährlichen, weil schweren Kleidungsstücken schwimmen gegangen.

Auch heute reden wir in Kontexten von sexualisierter Gewalt drüber, ob Frauen sich entsprechend kleiden müssen, damit sie im öffentlichen Raum sicher sind. Ob sie eine Armlänge Abstand halten müssen oder abends nicht alleine unterwegs sein dürfen in entsprechender Kleidung. Diese Zuschreibungen und dieses Reglementieren, was Frauen dürfen und wie Frauen dann verantwortlich sind für männliches Verhalten, gibt es in sehr vielen oder wahrscheinlich in fast allen Kulturen.