Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Metamorphose des Zelts"

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Politik, Alltägliches und andere Kuriositäten.

25. 8. 2016 - 12:16

Die Metamorphose des Zelts

Jedes Jahr nach dem FM4 Frequency bleiben Unmengen an Müll zurück. 2015 sollen es an die 270 Tonnen gewesen sein. Auch ganze Zelte werden jedes Jahr einfach stehen und liegen gelassen - ein "Rohstoff" für Neues.

Große Festival-Campinggelände sehen nach dem Festival meist aus wie eine Mülldeponie, auf der eine Schlacht stattgefunden hat. Da mischen sich Campingutensilien mit Essensresten, Papier und Karton, Ravioli- und Bierdosen, und auch ganze Zelte lassen die Festivalgäste zurück. Hallo, Wegwerfgesellschaft!

Für Jimmy Nagy von der Kattunfabrik in St. Pölten sind die zurückgelassenen Zelte jedoch der perfekte "Rohstoff". Gemeinsam mit einer Handvoll Leuten ist er am letzten Tag des Festivals über das Gelände gestreift und hat die äußeren Planen der verwaisten Zelte eingesammelt. Denn der Planenstoff eignet sich hervorragend zum Nähen von Regenjacken.

Jimmy Nagy mit einer der Zelt-Jacken

FM4/Lukas Lottersberger

Jimmy Nagy mit einer aus Zeltplanen hergestellten Jacke

"Rund 40 Zeltplanen haben wir aufgesammelt. Überschlagsmäßig bekommen wir daraus zwischen 100 bis 150 Jacken", erklärt Jimmy. Die Schwankungsbreite ergibt sich daraus, "weil sie manchmal Brandlöcher oder ähnliches haben." Die Planen wurden in den letzten Tagen mit Gartenschlauch und Waschmaschine gründlich gereinigt. Jetzt läuft die Produktion.

Made in St. Pölten, Sweatshop-free

Zusammengenäht werden die Jacken in der Kattunfabrik, einer kleinen "Übungswerkstatt" inmitten der St. Pöltner Innenstadt. Die Kattunfabrik ist als Verein organisiert und versucht arbeitslosen Schneiderinnen und Schneidern die Chance zu geben, wieder Zugang zum Berufsleben zu bekommen.

Viele der Schneiderinnen und Schneider in der Übungswerkstatt kommen aus Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Syrien oder dem Iran - Länder, in denen im großen Stil für den westlichen Markt produziert wird oder wurde. Die SchneiderInnen in der Kattunfabrik haben meist eine fundierte Ausbildung, finden aber in Österreich wegen mangelnder (fachlicher) Sprachkenntnisse keine Arbeit.

FM4/Lukas Lottersberger

Jawad, Fayzana, Taher und Batú (v.l.n.r.) in der Kattunfabrik

In der Kattunfabrik lernen sie gemeinsam mit den Werkstattleitern Deutsch. Plakate in der Werkstatt, auf denen Begriffe aufgeschrieben werden und Kleidungsteile benannt werden, sollen den Schneiderinnen und Schneidern dabei helfen. Auf einem der Plakate steht "Bügelvlies", "zu weit/eng" aber auch "Scheißwetter". Letzterer Begriff entglitt Jimmy neulich, als es ziemlich stark geregnet hatte. Einer der Schneider wollte wissen, was er denn damit gemeint hat, und Jimmy erklärte es ihm natürlich.

Die Kattunfabrik hat einen Online-Shop, doch um die Produkte zu erwerben, muss man Mitglied werden.

180 Tage bleiben die Schneiderinnen und Schneider in der Kattunfabrik und lernen in dieser Zeit die wichtigsten Fachbegriffe, aber auch hiesige Qualitätsmerkmale und -standards. Geht alles gut, sind sie danach bereit für den österreichischen Arbeitsmarkt und, wie Jimmy verrät, konnten bereits ein paar der "AbsolventInnen", die bereits Asyl oder subsidiären Schutz bekommen haben, nach der Zeit in der Kattunfabrik einen Job finden.

Jacken für Griechenland und die "Gruft"

Der größte Teil der nun produzierten Jacken wird der Gruft in Wien gespendet oder soll im Herbst ankommenden Flüchtlingen in Griechenland Schutz vor Nässe bieten. "Wir glauben nämlich, dass im Herbst wieder mehr Flüchtlinge auf den Inseln Lesbos, Samos und Kos landen werden", erklärt Jimmy.

Wer die Produkte der Kattunfabrik kaufen will, kann das nicht einfach so wie bei einem Online-Versand machen. Man muss zunächst Mitglied werden und einen Jahresbeitrag zahlen. Die Preise der Produkte sind dann eher als Spenden zu verstehen, mit denen der Verein sein Fortbestehen sichert.