Erstellt am: 24. 8. 2016 - 15:26 Uhr
Taj Mahal zweiter Hand
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov und sein satirischer Blick auf das Zeitgeschehen - jeden Mittwoch in FM4 Connected und als Podcast.
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Das Haus ähnelt tatsächlich dem Taj Mahal. Türmchen ragen überall aus seinem Dach empor und auf die Fassade sind blaue Fliesen mit Meeresmustern geklebt. Der Unterschied ist, dass dieser Taj Mahal nicht von Touristen und Pilgern umkreist ist.
Wir befinden uns auf einer staubigen Straße, irgendwo im serbischen „mitten im Nirgendwo“. Unser Auto ist kaputtgegangen. Es ist auf der Autobahn einfach nicht weitergefahren. Ich habe versucht das Auto anzuschieben, das hatte schon mal funktioniert, aber dieses Mal war die Panne größer. Ich versuchte es wieder und wieder. Das einzige Ergebnis war, dass ich schwitzte und zwei riesige Wespen um meinen Kopf herumkreisten. Meine zwei Mitfahrerinnen griffen mich auch wie zwei Wespen an. Was sollte ich jetzt machen? Das Auto bis nach Sofia schieben? Wir brauchten einen Fakir mit einem fliegenden Teppich.
Stattdessen kam ein dicker serbischer Onkel mit einem Schleppwagen. „Mein Name ist Predrag“, sagte er und schlug vor, uns bis zum nächsten Dorf zu fahren. Er hielt auf dem Weg an und kaufte uns Bier. Währenddessen erzählte er uns alles über seinen Geburtsort. Man konnte anhand dieser Erzählungen eine Enzyklopädie darüber verfassen.
Er brachte unser Auto in seine Werkstatt. Das war ein hoher Raum, der früher wahrscheinlich als Scheune gedient hatte. Aber statt Mistgabeln hingen jetzt Autofelgen und Poster mit halbnackten Frauen, die Motorrad fuhren, an den Wänden. Wie man mit so wenig Kleidung Motorrad fahren konnte, blieb mir ein Rätsel, aber die Frauen schienen keine Angst vorm Gegenwind zu haben. Währenddessen redete Predrag weiter und weiter:
Die, die den Taj Mahal gebaut haben, arbeiten in Wien: die Frau als Putzfrau und der Mann als Bauarbeiter. Gastarbeiter, Bruder, die sich in Serbien einen Palast gebaut haben. Und der Palast steht leer. Die Eigentümer wollten ursprünglich ihre Pension da verbringen, kamen aber nie. Sie flogen lieber nach Thailand. Ihre Enkel flogen auch nach Thailand. Was suchen alle im gottverdammten Thailand, wenn sie hier einen Palast haben?
Predrag und seine Freunde reparieren unser Auto. Sie schütteln besorgt ihre Köpfe. Aus ihrer Körpersprache verstehe ich, dass sie viel Geld verlangen werden. Irgendwann fangen auch sie an Bier zu trinken. Wenn wir in Österreich wären, hätten wir schon längst gewusst, was dem Auto fehlt, und wie viel es kosten würde. Aber niemand würde uns Bier kaufen.
Ich versuche vorsichtig zu erfahren, was die Reparatur kosten würde und bekomme die Antwort. „Wir werden uns irgendwie verständigen, wir sind alle Menschen!“ Einer von Predrags Freunden steigt auf sein Motorrad, um neue Teile fürs Auto zu kaufen. Ich habe den Verdacht, dass wir bald fragen werden, ob wir im Taj Mahal schlafen dürfen.
Gott sei Dank kommt bald der Typ mit dem neuen Teil zurück. Nach einer weiteren halben Stunde und den obligatorischen Umarmungen und weiteren Zeichen slawischer Liebe können wir weitefahren. Wir haben die Hälfte vom Wert unseres Autos bezahlt. Die Silhouette vom Taj Mahal verschwindet in der Ferne.
„Schön lebt ihr in Wien“, sagt Predrag zum Abschied. „Ihr lebt das wirkliche Leben und wir haben ein Leben zweiter Hand!“ In Sofia erfahre ich, dass das „neue“ Teil eigentlich zweiter Hand sei. Vielleicht wollte er mir genau das mit seinen letzten Worten sagen. Er war ein ehrlicher Mensch.