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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 8. 2016 - 15:08

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 24-08-16.

Koller am Scheideweg: bringt seine erste Kadernominierung morgen mutige Problemlösungen oder nur more of the same?

#fußballjournal16

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Wenn morgen um 11:30 der erste Post-Euro-Kader des ÖFB steht, dann habe ich Europa bereits verlassen - für ein paar Tage - und werde wohl keine Gelegenheit zur Analyse finden. Deshalb hier Vorabeinschätzungen.

Wenn morgen um 11:30 der erste Post-Euro-Kader des ÖFB steht, dann steht auch fest, wie es Marcel Koller für die nächsten zwei Jahre, für die WM-Qualifikations-Campaign des österreichischen Nationalteams anlegt. Es kann defensiv, vorsichtig, bewahrend sein, um das A-Team-Flaggschiff des A-Teams mit kleinen Justierungen behutsam weiterzusteuern. Es kann aber auch eine offensive Lösung sein, mit einer Präsentation neuer Ideen und unerwarteten Ansätzen für lange schwelende Probleme. Das Was und Wie des ersten Kaders, die öffentlichkeitswirksame Bekanntgabe neuer Maßnahmen wird nämlich das Leitmotiv für die nächste Zukunft verkünden. Denn allfällige interne Umstrukturierungen (neues Personal, neue Trainingszugänge, neue Schwerpunkte, neue Strategien etc.) lassen sich den Akteuren/Spielern so viel bewusster vermitteln; es geht um den internen Faktor des Aufrüttelns. An seinen ganz individuellen Fehlern (Fehleinschätzungen im mannschaftstaktischen Bereich, mäßiges In-Game-Coaching, Zögerlichkeit) wird der Schweizer ohnehin individuell arbeiten müssen.

Koller hat das Problem, dass die enttäuschende Euro keine Rücktrittswelle ausgelöst hat und er aufgrund der (jugendlichen) Altersstruktur der Mannschaft auch kaum jemanden zwangspensionieren kann. Er wird also letztlich mit demselben Personal (das sich noch dazu fast durchwegs in eh schon guter Form zeigt) jonglieren. Bis auf den zurückgetretenen Kapitän Fuchs geben nur der (dauer-)verletzte Garics, der neo-Chinese Okotie und der im Wechsel-Modus gefangene Jantscher ihre Stammplätze (vielleicht) frei. Und prompt zeigt sich eine Schieflage zwischen Problemzonen ohne Lösungsaussicht und der Notwendigkeit des Einbaus der Generation Lazaro-Gregoritsch-Grillitsch-Schaub-Onisiwo-Kainz in Bereiche der Mannschaft, die eh ganz okay besetzt sind.

Es sollte so aussehen: Almer, Özcan, Lindner; Klein, Dragovic, Prödl, Wimmer, Hinteregger, Suttner; Baumgartlinger, Alaba, Ilsanker, Schöpf, Junuzovic; Harnik, Arnautovic, Sabitzer, Hinterseer, Janko bleiben. Garics und Fuchs, wohl auch Okotie und aktuell Jantscher fallen weg. Dazu kommen mit Lazaro, Grillitsch, Schaub, Kainz, Onisiwo und Gregoritsch die Jungen, deren Zukunft in die Gegenwart verlegt werden muss. Auch künftige Außenverteidiger muss man sich aus diesem Pool schnitzen, das Herumgeeier muss aufhören. Zumindest auf Abruf würde ich gern Marco Knaller und Margreitter oder Spendlhofer, Robert Zulj und Burgstaller sehen.

Mit anderen Worten: bleibt Koller bei seinem üblichen 23er-Kader, dann kann er gar nichts renovieren und probieren. Der Ausfall von Fuchs und Garics zwingt ihn dazu eine ewige, alte Problemzone zu bearbeiten, vor deren Lösung nicht nur Koller, sondern vor ihm auch alle anderen verantwortlichen, samt Sportdirektor und Jugendcoaches, zurückgeschreckt sind, weil es wirklich mühsam ist: die Außenverteidiger. Mit Klein und Suttner allein wird man nicht auskommen bzw. ein gewisses Level nicht überschreiten. Und die dahinter dranstehenden Herren Ulmer, Farkas, Lainer, Stangl, Martschinko, Trimmel oder vielleicht Teigl versprechen allesamt keine echte Verbesserung auf dieser Schlüssel-Position des modernen Fußballs.

Meiner Meinung nach bleibt Koller gar nichts anderes übrig, als zu riskieren und talentierte Spieler zu Außenverteidigern unzumodeln. Tino Lazaro (die Idee steht nicht zum ersten Mal im Raum) etwa könnte das, rechts. Martin Hinteregger konnte das auch schon links. Ich kann nicht abschätzen wie flexibel ein Grillitsch, der ja auch am Flügel begonnen hat, ist. Selbst die Option Alaba würde ich nicht sofort vom Tisch wischen. Baumgartlinger-Schöpf (oder eben Grillitsch oder auch Junuzovic, eher nicht Schwab) könnten das auch leisten. Der Fehler liegt nicht bei den Spielern, sondern im ÖFB-Jugendbereich, wo sich niemand für eine kontinuierliche Aufbauarbeit der Problemzone Außenverteidiger (die seit vielen Jahren bekannt ist) verantwortlich fühlt, bei den heimischen Clubs, die zu wenig entwickeln und nur zu einem Teil bei Koller, der sich ein paar Jahre durchlaviert und wohl auf Nachdrängende gehofft hatte. Ist nicht aufgegangen. Jetzt muss er handeln.

Vertagt Koller sein AV-Problem ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass er sich risikolos über die noch verbleibende Zeit (bis 2017) retten will.
Bleibt Koller bei seinem 23er-Kader plus ein paar Anerkennungs-Erwähnungen per Abrufliste, dann wird er nur zwei der wartenden aufstrebenden Offensiv-Kräfte (Gregoritsch, Schaub, Kainz, Onisiwo, ich hätte auch noch Robert Zulj und Burgstaller auf der Rechnung) neu dazuholen können. Was ein mattes Zeichen in Richtung Erneuerung wäre und den verbleibenden 19-20 ein fatales Gefühl mit auf den Weg geben würde. Die Lösung wäre ein leicht vergrößerter Kader, der die viereinhalb Trainingslager-Tage vor dem Georgien-Match nützt, um sich kennenzulernen und einzugrooven, um einen neuen Stamm zu konstituieren. Weil die U21 am 2. und 6 zwei wichtige Pflichtspiele hat, wäre es zudem sinnvoll, den einen oder anderen dort Spielberechtigten rüberzulassen.

Darüberhinaus muss sich Koller noch vielen weiteren Fragen stellen - vielleicht noch nicht gegen Georgien, wo man mit dem bisher Erlernten zurechtkommen könnte, aber für die bereits entscheidenden Wales/Serbien-Spiele im Oktober gilt es bereits jetzt eine Entscheidung getroffen zu haben. So steht z.B. ein Systemwechsel im Raum, die Vorteile des 4-3-3 das Ancelotti in München etabliert etwa (mit Alaba schon in allen drei linken Rollen) wurde die Abhängigkeit von Junuzovic, der so wie in Bremen auch im Halbfeld effektiv sein kann minimieren. Andererseits mit Michael Gregoritsch endlich ein Back-Up für Juno gefunden, der sich für ein 4-4-1-1 ideal anbietet. Jede ernsthafte Mannschaft kann zwischenzeitlich im Schlaf zwischen diesen Systemen changieren - die Österreicher konnten es bei der Euro nur ungenügend, waren in einer ungewohnteren Rollenzuteilung überfordert. Es stellt sich also auch hier die Frage: Risiko, sprich größere Bandbreite oder more of the same, also Absichern des Erlernten. Bloß: Mittlerweile hat die Ausrechenbarkeit des österreichischen Spiels gigantische Ausmaße erreicht. Was vor ein paar Jahren noch unbeachtet und unterschätzt daherkam und deshalb überraschte, kann heute von jeder Assistenten-Analyse ausgehebelt werden.

Kollers dritte Ära wird sich auf den Ebenen, in allen erdenklichen Mühen abspielen. Das wäre im übrigen auch bei einer gut gespielten Euro der Fall gewesen: nach Koller I (den aufstrebenden jungen potentials, die Brasilien knapp nicht schaffen) und Koller II (den coolen Hunden, die alte russische und schwedische Säcke abmontieren) muss Koller III jetzt Lernfortschritte vorweisen damit sein Team nicht zum überwutzelten Wunderkind abdriftet.