Erstellt am: 26. 8. 2016 - 13:26 Uhr
Selber ernten im Freiluftsupermarkt
Abed Hamdi kommt jeden Tag und kümmert sich um die Hühner. Er wohnt im Flüchtlingsheim Ziedlergasse, das direkt gegenüber vom Freiluftsupermarkt liegt. In seiner Heimat hatte er eine Hühnerfarm. Abed wirkt vergnügt, während er die Hühner füttert und ein paar Kinder unbeschwert um ihn herum spielen. Ein entspanntes Gesamtbild inmitten der Industrie, ein bisschen abseits der innerstädtischen Bobo-Realität, plötzlich konfrontiert mit authentischem Bio-Ambiente.
Radio FM4 / Gersin Livia Paya
Marie Theres Okresek ist die verantwortliche Landschaftsarchitektin und Stadtentwicklerin von Bauchplan, dem Architekturbüro, das für den Freiluftsupermarkt in Wien und in München verantwortlich ist. Diese beiden zählen zu den weltweit einzig bekannten Pop-Up-Äckern. Die Idee dahinter ist es, einen Stadtteil zu beleben und die Nahrungsmittelproduktion da anzupacken, wo sie ihren Ursprung hat, nämlich an der Wurzel.
Gersin Livia Paya
Eine Gasse weiter liegt das Flüchtlingsheim Ziedlergasse, bei dem es im Vorfeld sehr viel Gegenwind gab. Mittlerweile werden die Konflikte im Gemüsebeet sozusagen begraben. Die Menschen treffen sich wie auf einem Marktplatz und tauschen sich über ihre Ängste und Freuden miteinander aus.
"Viele Leute haben gemeint, das funktioniert mit der Staunässe nicht. Also, dass es zu feucht für die Pflanzen werden könnte. Wir sind hier ja auf der Fläche der ehemaligen Sargerzeugung und die Fläche war für die Holzlagerung vorhanden und hier standen viele Betonsteine kreuz und quer. Diese haben wir in Beet-Form zurechtgerückt. Also hingeschleppt, mit vielen Helfern, und haben dann Erde reingefüllt", erzählt Projektleiterin Anna Grube.
bauchplan ).(
Nur durch Spenden?
Anna Grube ist fast jeden Tag beim Freiluftsupermarkt, der auf dem fussballfeldgroßen Hof der F23 Wir-Fabrik liegt. Die Zielgruppe und die Idee sind eindeutig. Die Nachbarschaft zusammenführen, die geflüchteten Menschen integrieren und ihnen einen Freiraum geben, an diesem mangle es nämlich stark in diesem eher industriellen Gebiet.
Jeder Mensch ist willkommen, die Zielgruppe ist allerdings fernab von Gemüsekisten-AbonnentInnen oder StadtgärtnerInnen. Von Groß bis Klein trifft sich hier jede/r im Beet; Stadtentwicklerin Okresek erzählt, dass "Kinder mit Migrationshintergrund viel mehr übers Gärtnern wissen als österreichische Kinder, denn sie verbringen ihre Sommer oft bei den Großeltern am Land, z.B. in Kroatien, wo die Großeltern oft noch eine eigene Landwirtschaft betreiben".
* Die "Grätzloase" und das Kulturbudget des Bezirks Liesing leisten die anderen zwei Drittel der Finanzierung.
Der Standort wird durch den Freiluftsupermarkt belebt und das ist auch dem Bauträger "Wien-Süd", der in dem Gebiet und an dem angrenzenden Grundstück bauen wird, ein großes Anliegen. Diese Wohnbaugenossenschaft wende ein Budget auf, das zur Entwicklung und Bekanntheit des Standortes beitragen soll, so erklärt es Otresek.*
Außerdem hat der Verein Arche Noah das gesamte Saatgut für das Gemüsebeet gespendet. Gemeinsam mit einer Schulklasse wurde gesät, was nun geerntet wird. Der Freiluftsupermarkt sieht sich auch als generationenübergreifendes Projekt, oft kommen Schulklassen und schleudern zum Beispiel mit der Imkerin Honig oder ernten besondere Chilisorten.
bauchplan ).(
Bei meinem Besuch habe ich auch zwei junge Frauen getroffen, die aus dem 3. und 9. Bezirk zu Besuch kamen, weil sie die spontane Lust am bewussten Selber-Ernten packte.
United Colors of Beton
Der Gemüseacker in den Betonwürfeln auf dem Betonboden bietet mit Zucchini, Tomaten, Salaten, Chili, Paprika und Mangold, aber auch Kräutern wie Rosmarin, Petersilie oder Dill sowie frischen Eiern und Honig sehr viel Verschiedenes an. Alles zumindest solange der Vorrat reicht.
"Stadternte"
Erntefest - Pflücke deine Stadt
Freiluftsupermarkt Wien Atzgersdorf, Breitenfurter Strasse 176, 8. September
An Essen gibt es von Halal-Würsteln bis zu selbstgemachten Chips, Live-Bands und Mr. Bubbles sorgen für Unterhaltung für die Kinder.
Ernte gut? Alles gut.
Und beim Ernten sind stets HelferInnen um die KundInnen bemüht, außerdem gibt es Werkzeug vor Ort und eine kleine Spendenbox, bei der man so viel man möchte spenden kann. Das ist die Bezahlung für regionales, frisches Gemüse und ein Abstecher in eine kleine Oase inmitten der industriellen Stadtgegend. Dabei gewinnt man auch einen ungeahnten Bezug zu der Selbsternte. Einkaufserlebnis pur!
Gersin Livia Paya
Bald findet das Erntefest statt, eine gemütliche Gelegenheit, den Ort Atzgersdorf zu erkunden, die Hände in die Erde zu stecken und in einem entspannten Ambiente den Tag zu genießen. 2017 wird der Supermarkt übrigens seine letzte Saison bei der Sargfabrik erleben und damit seinem Pop-Up-Charakter treu bleiben. Man darf sich also 2018 auf den nächsten integrativen Freiluftsupermarkt-Standort für Stadtentwicklung freuen.