Erstellt am: 26. 8. 2016 - 14:33 Uhr
Ein großes Herz zwischen Schutt und Asche
Ich bin an dem Tag geboren, an dem die Unruhen begannen.
"Bin ich doch, Mama, oder?", sag ich.
"Die hast du begonnen, Junge", sagt sie, und wir alle lachen, nuru Paddy nicht. Muss wohl wegen der Pickel sein und weil er überhaupt so hässlich ist. Mit so 'nem Gesicht wird man nicht so einfach froh.
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Mickey Donnelly ist anders. Feinfühlig, verträumt und blitzgescheit. Er träumt davon, Hollywood-Schauspieler zu werden. Die Realität um ihn herum ist jedoch eine andere. Der bürgerkriegsähnliche Alltag in Belfast wird dominiert von blutigen Straßenschlachten der IRA und britischer Soldaten. Sicher ist Mickey nur im katholischen Teil seiner Stadt, aber auch dort kommt es ständig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Razzien.
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Damit nicht genug, hintergeht ihn sein alkoholkranker Vater, sein großer Bruder quält ihn gerne, er findet keinen Anschluss bei den harten Jungs auf der Straße und hat große Angst, nach den Sommerferien in eine für gewalttätige Jungs berüchtigte Schule wechseln zu müssen. Auch die Verliebtheit in ein für Mickey unerreichbares Nachbarmädchen setzt dem hormonverwirrten Jungen zu. Einzig sein kleiner Hund "Killer" und die amerikanischen Filme im Fernsehen sind sein Lichtblick.
Alle ziehen nach Ardoyne, weil wir keine Fernsehgebühren bezahlen. Und dich keiner überfällt oder bei dir einbricht - höchstens der eigene Papa! - oder gegen unsere Gesetze verstößt, weil die IRA ihm sonst die Kniescheibe durchlöchert. Wenn man's nochmal tut, wird man aus dem Stadtteil verbannt, und wenn man doch wiederkommt, ist man tot.
Als der Sommer Woche um Woche verstreicht, steigt in Mickey Panik vor dem Schulbeginn auf, während die Situation in seiner Familie und auf den Straßen Belfasts immer mehr eskaliert. Da fasst der mutige Zehnjährige einen gefährlichen Plan, um sich und seiner Familie zu retten und vielleicht doch noch ein weltberühmter Schauspieler zu werden.
Hoffnungsvolle Stimme
Der irische Autor Paul McVeigh, der auch Drehbücher und Theaterstücke verfasst, hat diesen Roman aus einer Kurzgeschichte heraus entwickelt. Seine berührende und spannende Geschichte über eine harte Kindheit im Belfast der Achtziger Jahre hat ihm viele Nominierungen und Preise eingebracht. Kein Wunder, denn von der ersten Seite des Romans an zieht uns der kleine Mickey in seine Welt, die zwischen harter Realität und verträumtem Wunschdenken hin- und herwechselt.
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Das ermöglicht dem Autor seinen liebevoll gezeichneten Protagonisten durch das Brachland Nordirlands spazieren und trotzdem keine trostlose Atmosphäre aufkommen zu lassen. Denn Mickeys Stimme - auch wenn sie oft der Verzweiflung und der Kapitulation nahe ist - trägt immer einen Schimmer Hoffnung in sich. Durch seine schauspielerischen Ambitionen und seinen kindlich-naiven Umgang mit der derben Außenwelt kommt auch der Humor in diesem Buch nicht zu kurz.
Zudem ist es Paul McVeigh ausgesprochen gut gelungen, dass Mickey sowohl in seinen Gedanken als auch in den Dialogen wie ein authentischer zehnjähriger Junge wirkt, der sich durch seine schwierige Kindheit im terrorgeschüttelten Nordirland kämpft. Auch die dunklen Charaktere, wie Mickeys trinksüchtiger und gewalttätiger Vater oder sein großer Bruder Paddy, sind nicht klischeehaft. In "Guter Junge" wird keine Schwarz/Weiß-Malerei betrieben, sondern ein feinfühliges und komplexes Portrait einer zerrütteten Gesellschaft gezeichnet, in der die sensible Gefühlswelt eines Jungen kaum Platz hat.
Gleichzeitig vermittelt uns McVeigh in seinem Debüt, dass es sich immer lohnt, an seine Träume zu glauben, für seine Überzeugungen einzustehen und sich selbst anzunehmen, wie schwierig die Umstände auch sein mögen. "Guter Junge" ist mit all seinen tragischen und grausamen Momenten ein durchwegs hoffnungsvoller und Mut machender Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen will.