Erstellt am: 23. 8. 2016 - 12:58 Uhr
Elektronik-Pioniere: "Computerliebe"
Wir reisen zurück in die Frühzeit der elektronischen Klangerzeugung, als noch Expertenteams die zimmergroßen Synthesizer programmieren mussten, um am Ende Bach-Fugen spielen zu können. Trishes widmet Episode 7 der "Excursions" den großen Visionären am Synthesizer und den Produzenten, die ihre retro-futuristischen Sounds wiederentdeckten. Gerade Sample-Nerds aus Detroit, der Geburtstadt des Technos, haben sich leidenschaftlich an ihnen bedient – und erweckten deren klangliche Weltraumfantasien im HipHop.
FM4 Excursions
Bunt gemixte Assoziationsketten, die Wurzeln aktueller Sounds und Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursions-Themen-Mixtapes gibt es in der Nacht von Montag auf Dienstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player. Ein Klick auf die Links führt zu den Songs direkt im Mix von Trishes.
A Space Odyssey to Invisible Limits
Die Berliner Kraut- und Progressive-Rock-Pioniere Tangerine Dream eröffnen den Spacetrip mit Slowmotion-Raketenantrieb. Ihre Sinfonie "Invisible Limits" (1976) durchbricht sachte die unsichtbare Grenze des Himmels von Gestern. Wir verlassen die irdische Klangwelt, setzen den ersten Schritt auf interstellares Neuland, wo rhythmisch-repetitive Moog-Synthesizer und sphärische Mellotron-Sounds das elektromagnetischen Feld zum Schwingen bringen. Eine Gitarre knarzt verhallt, als würde Santana aus einer Raumkapsel eingerauchte Grüße aus dem All vorbei schicken. So klang damals also die Zukunft.
CC-BY-SA-3.0 / Ralf Roletschek
Plötzlich kapern die Drums von Rapper Black Milks "Matrix" (2008) das Spaceship, seine dunkle Bassline saugt den orangeroten Traum in ein schwarzes Loch, schleudert ihn durch in einer Zeitschleife, die Pharao Monch und Sean Price beherrschen. Im Chorus lässt DJ Premier die in der Matrix gefangenen Stimmen von Jay-Z auf Das EFX prallen. So haben sich Tangerine Dream die Zukunft wohl weniger vorgestellt.
Einen Song später hören wir die Stimmen der New Yorker Das EFX, die über quitschieg-blinkende Synths das Miggiddy-Mic rippiddy-rippen. Pete Rocks Remix ihres "Real HipHop" (1995) ist die Wiedergeburt von Gershon Kingsleys Pop-Avantgarde-Stück "Rebirth", das er im Jahr 1970 mit seinem First Moog Quartett aufnahm. Der 1922 in Bochum als Götz Gustav Ksinski geborene Komponist war der erste, der den Moog Synthesizer bei Live-Auftritten einsetzte. In "Rebirth" erzählt der Sänger im Sinatra-Duktus, wie die Eigenschaften aus früheren Leben im aktuellen wiederkehren. Zeilen, die perfekt die musikalische Reinkarnation durch Samples beschreiben:
"I was a star when the earth came to light.
I was the stone that gave birth to the knife.
I was a tree and a thing from the sea,
all of these things are part of me.
Born and reborn in a master design."
Der Produzent als Herr der Schöpfung, intelligenter Designer, der musikalischen Schnipseln eine zweite Chance auf ewiges Leben gibt. Was könnte daran illegal sein?
Isao Tomita: Klassik 2.0
Der Weltraum-Fantast und Komponist Isao Tomita interpretierte mit seinem Synthesizer vorwiegend klassische Musikstücke. Der Japaner spielte die Instrumente der klassischen Arrangements nicht bloß nach, er reicherte sie mit elektroakustischem Sounddesign an. Seine avantgardistischen Musikentwürfe gelten als prototypisch für Synth-Pop und Trance.
Trishes zeigt zwei seiner Cover-Versionen: Einmal jagt Tomita Maurice Ravel's "Daphnis Et Chloé: Suite N°2" (1912) durch die Klangsynthese. Seine elektro-akustische Interpretation wird später vom tiefschürfenden Sample-Digger J Dilla gechoppt, der Tomitas synthetischen Sternenstaub im Instrumental für Rapper Phat Kats "Nasty Ain't It" (2007) verschmolz.
Seine Faszination für den Weltraum bannte Tomita im Album "Kosmos (Space Fantasy)", auf dem er sogar John Williams’ Thema zum Film Star Wars synthetisiert und übergangslos in Beethovens Für Elise fließen lässt. Trishes spielt Tomitas Cover von Edvard Griegs "Peer Gynt: Solvejg's Song" (1977). Daraus beamt Producer 9th Wonder knapp 40 Jahre später einen 16 taktigen Loop in sein Holodeck, verpasst ihm eine Rhythm Section aus Drums und Bassline und beglückt damit R&B-Kid Anderson .Paak in "The Season" (2016). Dessen surreales Video zur Single erschien Anfang Mai dieses Jahres, wenige Tage bevor Isao Tomia in Alter von 84 Jahren verstarb. Bleibt zu hoffen, dass er das Donald Trump-Monster, das die Müllhalde der Teufels Küche bewacht, noch mit eigenen Augen sehen konnte. Es hätte ihm wohl gefallen.
Piece of Cake
Kraftwerk: Die Mensch-Maschine
Das Vermächtnis der Düsseldorfer Avantgardisten Kraftwerk für die elektronischen Spielarten der Popmusik ist unumstritten. Ralf Hütters und Florian Schneiders unterkühlte Elektronik war dem Mainstream seit ihren ersten Takten im Jahr 1970 Lichtjahre voraus. Auch HipHop verdankt den "Beatles der elektronischen Tanzmusik" (New York Times) manchen Grundstein im Fundament, aber auch manchen Stein im Weg.
Trishes liefert als ersten Beweis des tragenden Einflusses von Kraftwerk "The Man Machine" vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 1977, das die Maschinen für sie einspannte. Das funkelnde Intro stach der Old-School-Truppe aus Harlem The Fearless Four ins Ohr, die es ihrer B-Boy-Hymne "Rockin’ It" (1982) zugrunde legten, bekannt aus der Graffiti-Monumental-Doku "Style Wars" (1983). Rapper Jay-Z vereint später beide Versionen in seiner Imagekorrektur-Single "Sunshine" (1996), die er gemeinsam mit Rapperin Foxxy Brown und R&B-Sänger Babyface aufnahm.
APA/dpa
Der nächste Song von Kraftwerk "Computerliebe" (1981) prognostizierte nicht bloß, wie wir Musik machen oder hören werden, sondern wie wir einmal leben wollen. In bedingungsloser Hassliebe zu unseren Computern, deren Omnipräsenz proportional unser Verlangen steigert. Reality Check: Wir sind nicht mehr verliebt, wir sind bloß noch abhängig. Trishes teast zwei Nachkommen aus Kraftwerks "Computerliebe" an: DJ Spinnas HipHop-Version "Computer Love" (2006) und Coldplays Gitarrenriff, das dies Abhängigkeit ein Gegengift präsentiert: "Talk" (2005).
Kraftwerk waren wohl auch die ersten Künstler, die mit harten Bandagen ihre Urheberrechte vor unautorisiertem Sample-Klau schützten. Das spürten vor allem der New Yorker DJ-Großpapa Afrika Bambaataa, seine Band The Soul Sonic Force und ihr Label Tommy Boy Records, als sie 1982 mit der intergalaktischen Discohymne "Planet Rock" HipHop-Geschichte schrieben. Der wegweisende Song enthielt gleich zwei Synth-Passagen von Kraftwerk: die Hauptmelodie aus "Trans-Europe-Express" (1977), eine weitere aus "Numbers" (1981). Tommy Boy konnte eine Klage abwenden, dennoch schmerzte die außergerichtliche Lösung das Budget des damals noch kleinen Indy-Labels.
Weitere Episoden der "FM4 Excursions":
- Episode 1: Jazz
- Episode 2: Pop-Visionäre
- Episode 3: Jamaica
- Episode 4: Disco-Fever
- Episode 5: Soundtracks
- Episode 6: World Music
Auch heute noch stecken Kraftwerk in jahrelangen Urheberrechtsstreitereien mit Rödelheim-Hartreim-Mastermind Moses P(elham). Der Frankfurter Rapper und Produzent hatte 1997 zwei Sekunden von Kraftwerks "Metall auf Metall" (1977) für Sabrina Setlurs "Nur mir" gesampelt. Die Positionen: Moses Pelham beruft sich auf die Kunstfreiheit, denn ohne das Grundrecht auf Sampling fehle HipHop die Existenzgrundlage; Kraftwerk pochen auf den Schutz von geistigem Eigentum, denn ungefragtes Sampling ist gleich Diebstahl. Das deutsche Bundesverfassungsgericht entschied vor kurzem überraschend: Sampeln ist eine künstlerische Betätigung, daher dürfen Komponisten Tonschnipsel aus fremden Musikstücken verwenden. Ein Etappensieg für Moses Pelham.
Allerdings: Der Fall muss neu bewertet werden, daher kann es noch ein paar Jahre dauern, bis die Rechtssprechung klar vorsieht, was erlaubt ist und was nicht. Bis dahin bleibt den deutschen Sample-Freaks die Hoffnung, beim Musikmachen irgendwann keine Gesetze mehr zu brechen. Und vielleicht feiern neugierige Beobachter aus der Zukunft diesen Entscheid als Wendepunkt der Musikproduktion, der eine neue Zeitrechnung des kreativen Samplings einführte.
Den vollen Mix von Trishes könnt ihr bis kommenden Montag im FM4 Player anhören. Im großen Staffelfinale nächste Woche werfen wir einen Rückblick auf Soulmusik.
Hier die Playlist von "Excursions"- Episode 7:
Tangerine Dream | Invisible Limits |
Black Milk ft. Pharoahe Monch & Sean Price | Matrix |
Das EFX | Real HipHop (Pete Rock Remix) |
Gershon Kingsley | Rebirth |
Raymond Scott | Lightworks |
J Dilla ft. Busta Rhymes, Talib Kweli & Q-Tip | Lightworks |
Phat Kat | Nasty Ain't It |
Isao Tomita | Daphnis Et Chloé: Suite No. 2 |
Isao Tomita | Peer Gynt: Solvejg's Song |
Anderson.Paak | The Season |
Mike Hankinson | Toccata and Fugue in D Minor |
Oh No ft. J Dilla & Roc C | Move |
Black Milk | Welcome (Gotta Go) |
Mort Garson | Be In (Hare Krishna) |
Richard Hayman | The Look Of Love |
Scritti Politti ft. Mos Def | From Tinseltown To Boogie Down (Psycho Les Remix) |
Guilty Simpson ft. Noelle Scaggs | Stress |
Wendy Carlos | Eleanor Rigby |
Anthony King & John Matthews | Pots And Pans |
Pusha T | Numbers On The Boards |
Busta Rhymes | Everybody Rise |
Dick Hyman | Topless Dancers Of Corfu |
Kraftwerk | The Man Machine |
Fearless Four | Rockin' It |
Jay-Z ft. Babyface & Foxy Brown | Sunshine |
DJ Spinna | Computer Love |
Kraftwerk | Computer Liebe |
Coldplay | Talk |
Kraftwerk | Trans Europa Express |
Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force | Planet Rock |
Kraftwerk | Numbers |
Cybotron | Clear |
Missy Elliott ft. Ciara & Fatman Scoop | Lose Control |