Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Monday Edition, 22-08-16. "

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 8. 2016 - 15:21

The daily Blumenau. Monday Edition, 22-08-16.

Olympia in Rio, die Berichterstattung, das gesellschaftliche Zerrbild, Österreichs Rolle und der Schröcksit.

#olympics #sportpolitik #journalismus

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

1

Es ist im Sport, vor allem im großen globalen Eventsport wie bei Olympia, nicht anders als überall sonst im öffentlichen Leben: große grelle Schlaglichter, kurze Snapshots, heroes & villains-Geschichten, angewandter, blanker Populismus. Der von einer Maschinerie der Profiteure angeboten und von einem (sehr satten und nörglerisch veranlagten) Publikum auch so eingefordert wird. Aus jedem einzelnen Leichtathletik-Finale lassen sich diverse Welt-Befindlichkeiten herauslesen; sie erzählen von Gender-Krisen (wie die 800 Meter der Frauen), von Drogenverseuchung und Selbstbeschädigung sowie (topaktuell) von Migrationsströmen, von Wirtschaftsfluchten.

2

Kaum etwas davon wird aber erzählt, von einem Journalismus, der sich besonders aufgegeben hat, vom Sport/Event-Journalismus nämlich. Es bleibt bei Bolt vs. Gatlin, bei Phelps vs. Efimova, es gibt keinen Platz für die Nuancen, die bereits einen Blick in die Zukunft gestatten, De Grasse oder Van Niekerk, die Dominatoren der nächsten Jahre, existieren nicht im groben Raster des eingeforderten und fröhlich angebotenen Populismus.
Die wenigen Ausnahmen sind in den Nischen zu finden, in der süffig-hintergründigen Nimm-dir-Zeit-Reportage (im Spiegel etwa, nur noch in den großen Redaktionen hat man noch Geld/Leute für solchen Luxus), oder in den feuilletonistischen Abseits-Beobachtungen, die mehr über Stadt, Umfeld und Atmosphäre erzählen (zu meiner Überraschung täglich in der Tiroler Tageszeitung bei Florian Madl).

3

Wie ich zum (auch wieder) Luxus komme, täglich die TT durchzublättern? Ich bin auf Urlaub, Italien, Strand, Großfamilie, Kinder. Zwischendurch, am späten Nachmittag und manchmal spätabends dringt Olympia auch durch den Fernseher im Ferien-apartamento. Und schon nach wenigen Stunden ist klar: Rai due schlägt ARD/ZDF, trotz meines schlechten Italienisch, ganz klar.

Es ist ja nichts einzuwenden gegen Berichterstattung, die den Athleten aus den jeweiligen Heimatländern hervorhebt; von mir aus soll auch subjektiv daumengedrückt und geplärrt werden. Wenn aber eine vergleichsweise große Sport-Nation (Deutschland, mit 17-10-15 auf Platz 6), die in praktisch jedem Bewerb zumindest eine/n Vertreter/in stellt, die extra-Kamera dann so auf den homeboy, das homegirl zoomt, dass vom restlichen Starterfeld/Rennen kaum noch etwas überbleibt, wenn die Erzählung sich dann ausschließlich um die 6. oder 11. deutschen Plätze dreht, dann tritt ein Grad der Verzerrung und Realitätsverweigerung ein, der eigentlich auch den Deutschen selber nicht zuzumuten ist. Dass es auch anders geht, zeigt die auch recht fette Sportnation Italien (8-12-8, auf Platz 9), die auch in jedem Heat jemanden hervorhebt und nachher abfeiert, ohne dabei die tatsächlichen Geschehnisse auszublenden.

4

Mit unwohligem Gruseln stelle ich mir die nationalen TV-Anstalts-Narrative in autoritäten Staaten, die den Sport als propagandistisches Schutzschild brauchen, um nicht wegzubrechen, vor. Dass Ungarns TV das Flüchtlingsteam einfach weggeblendet hat (weil es dann nicht existiert...) hat sich durchgesprochen, dass Russland im Vorwurfs-Tonfall des "Wir-gegen-alle!" existiert, ist aktuell nachvollziehbar, den Alltag der per Fernsehen zugeschalteten Menschen in, say, Azerbeidjan, Cuba, Nordkorea oder Bahrein kann ich mir aber gar nicht ausmalen.

Zumal es schon schlimm sein muss deutscher Sport-Fan zu sein und mit einer permanenten Verscheuklappung des Kamerablicks zu leben. Es sind diese Momente, wo ich dankbar bin über die mediokre Rolle Österreichs im Weltsport, also im Sommersport. Hätte das ÖOC-Team die Größe und das Gewicht des DOSB, der Hurra-Patriotismus käme 24 Stunden pro Tag gar nicht mehr raus aus der zunehmend miefigeren Gabalier-Lederhose.

5

Nicht nur deshalb ist Rang 78 (joint) im medal table sehr okay. Man kann sich das in einem sogenannten fairen Medaillienspiegel, wo die Top Ten gewertet werden, auf Rang 60 hochschönen. Das IOC zeichnet die Top 8 mit sogenannten olympic diplomas aus, die Leichtathleten führen so einen Placing table mit Österreich (einmal Diskus-Sechster) als 64. von 69 Nationen mit Top-8-Leistungen.

Wirklich fetter wird's nicht, auch wenn man pro Einwohnerzahl rechnet oder per BIP/Einwohner oder nach sonstigen Kriterien wie der Landesfläche oder darauf hinweist, dass man sein Schicksal mit Trinidad und Marokko (die dafür in der LA-Liste gut sind), Finnland, Portugal, Nigeria oder der Dom-Rep teilt: Österreich bleibt bubbling under und schiebt die Schuld im Gegensatz zu 2012, als sich der damalige Sportminister und nachmalige Bundespolitik-Tourist Norbert Darabos mit seiner Scharfmacher-Meldung von den Olympia-Touristen ein Denkmal setzt, diesmal auf die Strukturen. Auch komisch, weil Darabos nach London, auch in einem zutiefst populistischen Akt die Strukturen umkrempelte und dem erfolgreichen Wintersport-Zampano Peter Schröcksnadel eine carte blanche für den österreichischen Olympia-Auftritt 2016 überantwortete.

6

Der, Schröcksnadel, spricht - nachdem klar wurde, dass es bei der einen Segler-Medaille, mit der niemand rechnete (ein Emigrantenkind und eine superintelligente Studentin, das schlimmste Grausbild jedes anständigen Stammtisch-Sportfunktionärs) bleiben wird - erst recht wieder von der Notwendigkeit der Veränderungen der brachliegenden Strukturen; ganz so, als wäre er nie der Chef vom Ganzen gewesen. Zudem kündigt er den Schröcksit an, seinen Rückzug.

Die (vergleichbare) Schweiz hat ihre Medaillen (3-2-2) über sieben Disziplinen gestreut (Radfahren, Rudern, Triathlon, Turnen, Schießen, Tennis, Mountainbiking), Slowaken, Slowenen, Tschechen auch, von Kroatien oder gar Ungarn (gar 12. im Medal-Ranking, mit 8-3-4, und einer dicken, durchaus prä-orbansken Tradition in Fechten, Schwimmen oder Kanu) gar nicht erst zu reden.

Dass es bei den Seglern immer so halbwegs hinhaut (diesmal mit den Plätzen 3, 8 und 9) bleibt davon unbeeinflusst: die brauchen offenbar nur die finanzielle Grundausstattung und die Absicherung der Athleten um dank einer logistisch hervorragenden und umfassenden Vorbereitung, eines Teams in dem sich keiner zu schade ist und einer sportpsychologischen Betreuung, die von der Hartemänner-Allianz (alteingesessenen Funktionäre, Medienmacher, Rogans und ÖFB-Kicker) immer noch als irgendwie unmännlich (bestenfalls was für Schwache, Frauen und Schwule halt) abgetan wird, zu liefern.

Die Veränderung der Strukturen, von der der neue Sportminister, ein polit-populistischer Hardliner, den Image, Umfragewerte und Schlagzeilen auch deutlich mehr jucken als das, was wirklich umgesetzt wird, wird keine Verbesserung der mentalen Betreuung beinhalten, you bet.

7

Hinter oder neben der (auch schön auszustellenden) Ignoranz existiert eine Elite, die genau wüsste, wo die Stell-Schrauben zu drehen sind, um die Strukturen zu verbessern. Weil aber der österreichische Spitzensport abseits seiner großen populären Player, des Fußballs und des Skisports, aber eine zu kleine Nummer ist, zu wenig Image-Punkte bringt, der (politische und ökonomische) Aufwand in Relation zum Ertrag nicht lohnt, weil ein Olympia-Event alle vier Jahre nicht gegen das Dauerfeuer der Kicker und SkifahrerInnen anstinken kann und weil das Glimmen und Lodern einzelner, eher zufällig entstandener Helden-Mythen (Tisch/Tennis, Schwimmen, Judo) werden Tanja Frank und Thomas Zajac die Ausnahme bleiben.

Schröcksnadel wird sich in seine Winter-Domäne zurückziehen, wo Tourismus, Wirtschaft und Sport als Imageträger Hand in Hand gehen und im geschützten Terrain der Alpen keine natürlichen Feinde kennen und die Region gleichzeitig ausbluten und am Leben erhalten. Aus dieser Position der Stärke heraus kann Österreichs Wintersport Dominanz entwickeln und internationale Verbände beeinflussen. Der österreichische Sommersport, abseits des quasi nichtolympischen Fußballs, kann all das nicht; und wird es auch künftig nicht können, allem Gerede zum Trotz.