Erstellt am: 23. 8. 2016 - 12:49 Uhr
No job? Nose job!
Liebe Mama, lieber Papa, ich wünsch’ mir zur bestandenen Matura ein Auto bitte! Oder doch lieber eine neue Nase? Die Schönheitsoperation zum Schulabschluss – in China ist sie ein immer beliebteres Geschenk für die Tochter. Vor allem während der Sommerferien herrscht Hochbetrieb in den chinesischen Schönheitskliniken.
Südkorea ist nach wie vor das Land mit den weltweit meisten Schönheits-OPs pro Kopf. Der Markt scheint nun aber gesättigt: Angeblich haben schon 60% der Südkoreaner*innen in ihren 20ern mind. eine OP hinter sich. Südkoreanische Kliniken investieren jetzt in den Markt der Zukunft: China.
Seit ihren vergleichsweise späten Anfängen vor nur etwas mehr als zwei Jahrzehnten boomt die ästhetische Chirurgie in China. Sie ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes. Es regnet die Yuan-Scheine und die Kassen klingeln bei stetig steigenden Milliardenumsätzen. „Chinese cosmetic surgery market to explode in the next few years“ titelt eine neue Analyse, die China für die unmittelbare Zukunft als weltweit drittgrößten Markt für kosmetische Eingriffe prognostiziert. Bald soll sogar den USA als das Land, in dem die meisten Schönheitsoperationen stattfinden, der erste Platz streitig gemacht werden. Denn mit einem jährlichen Wachstum von bis zu 40 Prozent ist China schon jetzt der am schnellsten wachsende Markt für plastische Chirurgie der Welt.
LIU JIN / AFP
Körpereinsatz
Chinesische Eltern investieren immer früher in die Schönheit ihres Nachwuchses. Bei Operationen im Kindesalter verheilen die Narben angeblich besser. Resultat: Ein „natürlicher“ Look.
Das plastisch modellierte Gesicht ist in China nicht nur ein Luxussymbol, das zur neuen Louis Vuitton passt. Vielmehr ist die Schönheitsoperation eine bewusste „Investition in die Zukunft“, darüber ist man sich einig. Sie soll die Jobangebote verbessern und die Karrierechancen steigern. Frauen in ihren 20ern, darunter immer mehr Studentinnen, sind die größte Zielgruppe der Schönheitschirurgie-Industrie. Mit einer Operation gestalten diese Frauen nicht nur aktiv ihr Äußeres, sondern gleichzeitig auch die Bandbreite an Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung steht, heißt es. Der Schritt unters Messer wird vermehrt als neue Form weiblicher Selbstbestimmung und Eigenermächtigung interpretiert. Strategische Optimierung des Körpers heißt demnach Erweitern des Handlungsspielraums, Steigerung von Schönheit heißt Steigerung von Kapital.
No Job + Nose Job = Top Job? Mit dieser Rechnung nehmen aber auch immer mehr junge Frauen gesundheitliche Risiken und physischen Schmerz für ihre Karriere wörtlich in Kauf. Unfaire Strukturen am chinesischen Arbeitsmarkt bestehen dabei letztlich weiter. Jobs sind vor allem auch unter Studienabsolventinnen hart umkämpft und Ausschreibungen eindeutig geschlechtsspezifisch. Für Frauen beinhalten Stellenanzeigen neben Altersbeschränkungen („Maximales Alter: 25“) oft Voraussetzungen für die äußerliche Erscheinung wie „Mindestgröße: 1.60m“, „gepflegt“ oder „hübsches Gesicht“.
It’s Raining Men, but ...
„Ich hole mir einen guten Ehemann“, because I’m worth it. Neben der Hoffnung auf einen guten Job ist das der zweitwichtigste Grund, den Chinesinnen für einen chirurgischen Eingriff angeben. Frauen sind nach der jahrelangen Ein-Kind-Politik in der Unterzahl und Männer stehen vermehrt bei ihnen Schlange. Trotzdem befinden sich viele nicht nur bei der Arbeits-, sondern auch bei der Partnersuche unter großem Druck, was ihr Äußeres angeht.
Schon 27 und immer noch nicht verheiratet? Mitleidige Blicke. Oje. Du bist also „übrig geblieben“. Das ist nicht nur die Meinung der besorgten Großeltern, sondern auch eine offizielle, von chinesischen Regierungsstellen verwendete Formulierung für ledige Frauen ab 27. Betroffen sind vor allem jene Chinesinnen, die die Möglichkeiten auf Bildung voll ausschöpfen und ein MA oder PhD Studium abschließen, vielleicht sogar ein Auslandssemester machen. Nach dem immer noch gültigen Klischee wünscht sich eine Ärztin Mitte 30 schließlich einen Arzt für die traute Zweisamkeit, der heiratet aber lieber eine 25-jährige Krankenpflegerin, die seiner Auffassung nach mehr Zeit für die kommenden Kinder hat – und jedenfalls jünger ist.
Rhinoplasty, Blepharoplasty
Hallyu bzw. K-Pop ist in China sehr beliebt. Gleichzeitig sind die chinesischen Medien durchzogen von Vorstellungen eines westlichen Schönheitsideals. Westliche Marken wie L’Oreal, Lancôme oder Maybelline sind die größten der Kosmetikindustrie.
Bei einer Bevölkerungszahl von fast 1,4 Milliarden träumen sehr viele chinesische Frauen vor allem davon „aus der Masse hervorzustechen“. Viele erhoffen sich das durch eine Schönheitsoperation in den neuen chinesischen Kliniken mit Namen wie „A Dreaming Girl’s Fantasies“. Hier sollen Träume wahr werden. Sehr viele der Patientinnen bitten um eine schmälere, spitzere Nase und die Erhöhung ihres Nasenrückens. Größere Augen – das wünschen sich die meisten. Hierfür wird durch Einbrennen einer heißen Nadel oder Entfernung von Fettgewebe aus dem Monolid ein künstliches doppeltes Augenlid erzeugt. Durch einen weiteren Schnitt werden die inneren Augenwinkel geweitet.
Diese Eingriffe an Augen und Nase sind die häufigsten Schönheitsoperationen, die in China und unter Asiat*innen weltweit durchgeführt werden. Alle diese Operationen betreffen Gesichtszüge, die stereotypisch mit der ethnischen Zugehörigkeit assoziiert werden. Für Chines*innen im Ausland sind diese Gesichtszüge der klassische Aufhänger jeder rassistischen Alltagserfahrung.
GengMei
„The Asian Eye“
Das Ziel der genannten Schönheitsoperationen sei ein „westlicheres Aussehen“, meinen viele europäische und US-amerikanische Berichte über die ästhetische Chirurgie in China. Sehen chinesische Frauen nach den erwähnten Eingriffen tatsächlich weniger „chinesisch“ aus oder entsprechen sie einfach nicht dem Klischeebild einer typischen chinesischen Frau? Und ist es nicht eine etwas eurozentrische Annahme, dass diese Patientinnen unbedingt westlich aussehen wollen und sich dafür sogar unters Messer legen?
Dem weiblichen chinesischen Körper sind seit Jahrtausenden künstliche Eingriffe im Namen der Schönheit bekannt: Brüste wurden umwickelt und vom Wachstum abgehalten, um sie in ihrer Kindlichkeit zu bewahren. Füße wurden gebrochen und gebunden, um die „ideale“ Schuhgröße 17 zu erreichen.
Schönheitsideale sind das Resultat verschiedenster Faktoren. So kann man etwa nach traditionellem chinesischem Glauben aus dem Gesicht das Schicksal eines Menschen ablesen. Bei einer Frau bestimmt die Form der Nasenspitze beispielsweise, ob sie einen reichen Ehemann finden wird. Mit Schönheitsoperationen könne man das eigene Schicksal formen, glauben viele chinesische Patient*innen. Etwa die Hälfte der Chines*innen hat außerdem von Natur aus doppelte Augenlider oder einen höheren Nasenrücken. In der China Daily meint eine chinesische Patientin: „Ich versuche nicht so auszusehen, wie irgendein amerikanisches Celebrity. Ich möchte einfach aussehen, wie eine bessere Version von mir selbst“.
AFP / Peter Parks
„Du schaust müde aus“
Die Problematik des Themas ist augenscheinlich. Besonders bei einem Blick in frühe Aufzeichnungen über die Schönheitschirurgie in Ostasien: Dr. Ralph Millard, amerikanischer plastischer Chirurg, wird Anfang der 1950er nach Korea geschickt, um einheimische Verletzte zu heilen. Seine plastische „Hilfe“ ist schließlich umfassender als geplant. Er vergrößert unter anderem koreanischen Prostituierten die Augen, um sie „weniger orientalisch“ und somit „attraktiver“ für die in Korea stationierten amerikanischen Soldaten zu machen. Außerdem sollen westlicher aussehende Asiat*innen es leichter haben, sich dem wachsenden internationalen Wirtschaftsmarkt anzupassen. Denn „das asiatische Augenlid“ erzeuge nämlich „einen passiven Ausdruck, der eine gleichmütige und unemotionale Art des Orientalen zu verkörpern scheint.“ Das schreibt Dr. Millard in einem medizinischen Journal.
Auch im heutigen China besetzen viele Frauen ihre Augen mit negativen Attributen wie „nicht schminkbar“ oder „schläfrig“. Ob die Augen auf dem letzten Selfie „überhaupt offen“ sind, könne man da nicht so genau einschätzen. Große, rundlichere Augen hingegen werden oft als aufmerksam und ausdrucksvoll, hohe und spitzere Nasen als stark und scharfsinnig verstanden.
Ethnic plastic surgery
Der Sensibilität von Eingriffen an Gesichtszügen, die als typisch für eine ethnische Gruppe gelten, ist sich die Schönheitschirurgie heute durchaus bewusst. Außerhalb Asiens heißen die neuen Arten zu operieren „Asian plastic surgery“ bzw. „Ethnic plastic surgery“. Hier könne man das eigene Gesicht verschönern, ohne dabei „die ethnische Identität zu verlieren“. Ab wann so ein Verlust genau gegeben ist, bleibt fraglich. Schon jetzt bilden jedenfalls Asiat*innen den größten potentiellen Patient*innenpool plastischer Chirurgie der Welt.