Erstellt am: 24. 8. 2016 - 09:53 Uhr
Big Fish
universal
Dass der Haifisch Zähne hat und die im Gesicht trägt, das hat ja bereits Bert Brecht in einem Lied der Dreigroschenoper vermerkt. Mit Steven Spielbergs "Der weiße Hai" im Jahr 1975 wird der Haifisch zur Bestie, zum fixen Mitglied im Monsterkabinett des Kinos und taucht seither immer wieder auf, um sich in Beinen zu verbeißen.
Nachdem "Open Water" 2006 die Ballade vom Killerhai aus besonders aussichtsloser Lage besungen hat (ein Pärchen wird bei einem Tauchausflug auf hoher See vergessen), kam ein paar Jahre später die hyper-ironische Trashkeule namens "Sharknado" und die auch mit dem Trash liebäugelnde, komödiantische Ballade vom "Hai-Alarm am Müggelsee" von Sven Regener und Leander Haußmann. Nun ist aber wieder Schluss mit Haiterkeit. Regisseur Jaume Colle-Serrat macht Ernst und schickt Blake Lively in "The Shallows" in gefährliche Gewässer.
Sony
Das Smartphone legt Nancy (Lively) nur aus der Hand, wenn sie surfen geht. Das hier ist schließlich "Jaws" für die Millenials und deswegen finden sich zu Beginn des Films auch ein paar schiefgegangene Experimente, wie man Videotelefonie oder Messaging-Dienste visuell ins Gesamtbild integrieren kann, mit dem Ergebnis, dass der Film für ein paar Momente wie eine Handywerbung aussieht. Doch, es sei "The Shallows" verziehen, denn schnell ist Schluss mit derartigen Spompanadeln.
"The Shallows" startet am 26. August 2016 in den österreichischen Kinos.
Die blonde, athletische Frau schüttelt ihre blonden Haare aus, trägt trotz Neoprenjacke ihr Dekolleté zur Schau und stürzt sich in die türkisblauen Wellen. Was beginnt wie ein Duschgel-Werbespot aus den 1980er Jahren, wird schnell zum nervenzerfetzendsten filmischen Strandausflug seit langem. Ein toter Wal, der im Wasser treibt, macht diesen Ort, diesen geheimen Strand irgendwo in Mexiko zum momentanen Futterplatz eines Hais. Das begreift Nancy allerdings auch erst, als sie kurzfristig auf dem riesigen Kadaver Zuflucht suchen muss, nachdem der Hai sie vom Surfbrett geschleudert und sich in ihr Bein verbissen hat.
Hai-Hysterie 1975
Summer Of 1975. Der weiße Hai und seine Folgen: Wie der Film „Jaws“ das Kino und die Badegewohnheiten veränderte.
Dieser riesige Wal-Kadaver als temporäre Insel der Sicherheit, das ist nur eines der vielen originellen Bilder, die "The Shallows" zu bieten hat. Wenn Nancy vom Hai unter Wasser gezogen wird und sich das Meer rund um sie in Slow Motion Rot färbt, dann wird klar, dass Regisseur Jaume Collet-Serra nicht nur billige Schockmomente auftischt. Wenn die junge Frau später durch einen Schwarm leuchtender Feuerquallen durchtaucht, so ist das trotz Nesselzellen, Blut, Schmerz und Angstschweiß ein Filmmoment von epischer Schönheit. In diesen Unterwasseraufnahmen schafft "The Shallows" auch Verschnaufpausen vom Nervenkitzel - also fürs Publikum, nicht für die texanische Surferin.
Sony
Nach all den "bigger faster louder"-Steigerungen, mit der die "Jaws"-"Reihe ab dem zweiten Teil sich in die Trash-Ecke katapultierte und den irren "Sharknado"-Plotkonstrukten, ist "The Shallows" eine angenehm entschlackte Geschichte von Mensch gegen Hai. Schrecklich schön auch, wie der Film die Hai-Attacke vom offenen Meer in seichtere Gewässer verlegt. Mit einer schweren Bein-Verletzung rettet sich Nancy auf einen kleinen Felsen im Wasser, der, sobald die Flut einsetzt, auch keine Rettung mehr bieten kann. Hier, nur 200 Meter vom sicheren - aber menschenleeren - Strand entfernt, hängt sie nun fest. Umkreist vom Hai. Und der Countdown bis zur Flut läuft. Ich muss an James Franco in "127 Hours" denken und an Robert Redford in "All is Lost". Und während ich diesen Gedanken nachhänge, näht sich Medizinstudentin Nancy eine klaffende Wunde am Oberschenkel mit einem spitzen Anhänger ihrer Halskette zu. Der Kinosaal stöhnt auf.
Der Hoffnungslosigkeit von Nancys Situation fügt der Film Absurdität hinzu, da der Strand in Griffweite scheint. Aber eben doch so weit weg. Immer wieder hebt sich die Kamera in die Luft und liefert atemberaubend schöne Bilder des Meeres aus der Vogelperspektive und ruft uns wieder die Nähe des Strandes in Erinnerung. Manchmal muss Blake Lively bestimmte Entfernungen auch vor sich hinmurmeln und da weiß man dann, da hat sich ein Produzent gedacht, da sollte man lieber die Figur was sagen lassen, sonst versteht der Zuseher am Ende etwas nicht. Zu diesem Zweck sitzt auch für eine ziemlich lange Zeitspanne eine verwundete Möwe mit Nancy am Felsen, entwickelt sich aber glücklicherweise nicht zu einer Art Volleyball-Freund Wilson, wie ihn Tom Hanks in "Cast Away" sein Eigen nannte.
sony
Die Einheit des Ortes - der Film spielt fast ausschließlich auf dem kleinen Felsen - wird zur Stärke von "The Shallows". Eine Frau im Bikini gegen einen Hai. Das 87-Minuten-Spektakel mit dem schlanken Budget von 17 Millionen Dollar ist der Gegenentwurf zu all den Sequel-Materialschlachten, die das Hollywoodkino im Sommer gerne ausspuckt. Das Drehbuch nutzt effizient und originell jede Boje, jede Feuerqualle und jede Möwe. Manchmal kommt einem Sisiyphos in den Sinn und manchmal Murphy's Law. Aber eigentlich denkt man gar nicht soviel nach, sondern klebt an der Kinosesselkante und fiebert mit.
Blake Lively liefert einen schauspielerischen Kraftakt ab, der Film ruht auf ihren nackten Schultern. Man kann ihr fast ansehen, dass es ihr eine diebische Freude gemacht haben muss, nicht nur die schöne Blonde zu sein. Von der unbekümmerten Gringa mit den strahlend weißen Zähnen ist am Ende nämlich nicht mehr viel über. Bisswunden, Sonnenbrand, geplatzte Lippen und Wundbrand. Der Körper wird langsam schwach, doch Nancys Kampfgeist ist ungebrochen. In keiner Sekunde fällt diese Figur in die traditionelle Opferrolle, die Frauen immer noch häufig in solchen Geschichten zugewiesen wird.
Sony
Einer anderen Tradition folgt leider auch "The Shallows". Wie so oft, wenn eine weibliche Hauptfigur ins üblicherweise eher männlich besetzte Action- bzw. Thrillergenre eintaucht, setzt auch „The Shallows“ auf eine patscherte psychologisierende Hintergrundgeschichte. Frauen können im Kino nicht einfach ums Überleben kämpfen, da muss auch immer noch ein bisschen Trauma und Emotion mit aufs Surfbrett. Ansonsten aber ist "The Shallows - Gefahr aus der Tiefe" ein unglaubliches Vergnügen, das die Ironie außen vor lässt und es trotzdem schafft in einigen wenigen Momenten grandios den Trash zu umarmen.