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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 8. 2016 - 10:54

Summer of 1999

Das Jahr der Millenniums-Paranoia produzierte dazupassendes Kino: Mit "The Matrix" und vor allem "Fight Club" wuchern Verschwörungstheorien und Zukunftsängste im Hollywood-Mainstream.

Summer of...

Summer of... - Pictures, Pop and other Postcards from the Past: Ein Blick zurück auf umwälzende Sommerereignisse, die den Lauf der Popkultur(-Industrie) nachhaltig verändert haben. Im Sommer 2016 auf FM4.

Neunzehnhundertneunundneunzig. Ich kann mich an ein Gefühl der popkulturellen Ermüdung erinnern, an das heulende Wehklagen mancher Bands, bereits alles erlebt, gekauft und emotional abgestumpft wieder ausgespuckt zu haben. Radiohead hatten bereits einige Jahre vorher verkündet, dass da draußen keine Überraschungen mehr auf uns warten.

Die Innovationsmaschine, die uns jeden neuen Style als heißen Scheiß verkaufte, steht kurz still. Das 20. Jahrhundert verabschiedet sich ermattet.

Für einen gewissen Kitzel sorgt aber die globale Untergangsstimmung, die wieder einmal in der Luft liegt. Eine dezent apokalyptische Atmosphäre herrscht vor dem Jahrtausendwechsel, die medial aufgeheizt wird. Schuld ist der sogenannte Millenium Bug, der die Schlagzeilen beherrscht. Experten befürchten unzählige Computerabstürze rund um den Planeten. Eine Weltwirtschaftskrise könnte die Folge sein und vielleicht, mutmaßen manche Schwarzmaler im Boulevard, kommt es sogar zu einer Fehlauslösung nuklearer Waffensysteme.

Matrix

Warner

"The Matrix"

Auswegslose Maschinen-Diktatur

Die kribbelige Krisenstimmung, die sich in westlichen Gefilden breitmacht, spiegelt sich auch in manchen Kinofilmen. Zwar steht der größte Filmhit des Jahres, "Star Wars - Episode 1: The Phantom Menace”, im Zeichen des infantilen Eskapismus und einer noch billig wirkenden, unausgreiften CGI-Technologie. Aber andere Hollywoodproduktionen bestechen mit einem Gespür für den verängstigten Zeitgeist und brillieren auch auf der formalen Ebene.

Mit "The Matrix" gelingt dem Wachowski-Geschwisterpaar (damals beide noch männlich, heute Transgender) ein überraschend erfolgreicher Kassenhit, der den Alltag als Computer-Simulation entlarvt und uns Menschen als Marionetten der Technologie. Neben all den philosophischen Theorien, die der Film clever verarbeitet, fasziniert dieser ungewöhnliche Blockbuster auch visuell und tricktechnisch.

Während etwa Kathryn Bigelows düstere Milleniums-Vision "Strange Days" 1995 noch das politische Chaos mit einem ambivalenten Happy End abmildert, steht die Maschinen-Diktatur von "The Matrix" für kafkaeske Ausweglosigkeit. Zumindest bis zwei erschreckend schrottige Sequels das Wachowski-Universum als peinlichen Mix aus Esoterik-Kitsch und dubiosen Erlöser-Mythen entlarven.

Fight Club

CentFox

"Fight Club"

This is your life

Zurückblickend könnte man sagen: 1999 ist das Jahr, in dem vielleicht die Paranoia unserer Gegenwart, die kluge Blogger wie dumpfe Trolle antreibt, einen ihrer Ursprünge hat. Dunkle Verschwörungstheorien, heute Teil des Mainstreams, werden damals in Untergrund-Zirkeln verhandelt. Regisseur David Fincher greift, nach einem furiosen Roman des messerscharfen Popkultur-Analytikers Chuck Palahniuk, diese grassierende Skepsis am politischen Status Quo auf. Die rabenschwarze Satire "Fight Club" bringt die herumgeisternde Verunsicherung und Frustration auf den Punkt.

Brad Pitt und Edward Norton verkörpern zwei Seiten einer männlichen Medaille, junge Kerle, denen das Leben als Konsumzombies in den westlichen Metropolen keinen entscheidenen Kick mehr gibt. Mittels Schmerzen wollen sie sich in einer immer virtuelleren Umgebung ihrer Existenz versichern.

Wie Tyler Durden auf das gänzlich körperlose Hier und Jetzt der asozialen Netzwerke reagieren würde, lässt sich schwer abschätzen, 1999 ist gerade der Anfang vom Ende des Realen spürbar, der Versuch der entzauberten, Ikea-gestylten, Muzak-untermalten Kampfzone zu entkommen, in der die Reste des Humanismus längst korrumpiert sind und der Reality-TV-Terror allgegenwärtig ist, führt in die offene Aggression. Terrorzellen werden gegründet, die Banken attackiert, die herrschende Ordnung angegriffen.

Fight Club

CentFox

"Fight Club"

In der Silvesternacht knallen dann doch nur die Feuerwerke, die Computer stürzen nicht reihenweise ab, der Weltuntergang bleibt aus. Aber wenn man "Fight Club" heute sieht, mit seinem Finale der einstürzenden Wolkenkratzertürme, wirkt der Film wie ein beklemmender Trailer auf die Jahre danach.