Erstellt am: 20. 8. 2016 - 09:13 Uhr
Der Kapitän und seine seltsame Crew
Die Sache mit dem Aussteigen aus der Gesellschaft, so lehrt uns die künstlerische Aufarbeitung des Themas gern, funktioniert nur so lange gut, bis das von äußeren Einflüssen gestört wird, solange das Leben im Exil also ein geschlossenes System bleibt. Denn etablierte Zivilisation gewinnt scheinbar immer gegen utopische Alternativmodelle der Existenz.
In T.C. Boyles Roman "Drop City" beispielsweise läuft die kalifornische Hippie-Kommune nur solange erfolgreich, bis sich die Vorzüge des Lebens der friedlichen Aussteiger herumsprechen und ihre Welt von opportunistischen Neuzugängen erst unterwandert und dann zerstört wird. Was die Bewohner der Kommune letzten Endes dazu bringt, bis nach Alaska zu wandern, wo es so unwirtlich ist, dass die Idealisten nicht nur von niemandem gestört werden, sondern auch zu Überlebensexperten werden. Von der Romantisierung des Außenseiterlebens bis zum knallharten Realitätscheck ist es kein weiter Weg.
Constantin Film
Auf ähnlichen Pfaden wandert der diese Woche startende Film "Captain Fantastic", geschrieben und unter Regie von Matt Ross (manchen etwa bekannt als IT-Bösewicht Gavin Belson in der TV-Show "Silicon Valley"). Zarte Akustikgitarrenklänge und idyllische Naturaufnahmen stellen die Welt des Films vor, die Welt von Ben Cash und seinen sechs Kindern, die als Aussteiger in den nordamerikanischen Bergen leben. Zuerst als große Familie mit der Mutter, nachdem diese erkrankt und ärztliche Hilfe benötigt, dann nur mehr mit dem Vater. Die Erkrankung der Mutter ist es dann auch, die unsere zentralen Charaktere dazu zwingt, in ihren alten Schulbus zu steigen und in die Zivilisation zurückzukehren.
Man möchte leicht in die Falle tappen, das Außenseiterleben der Familie Cash zu idealisieren, vor allem wenn man ihre prächtige Utopie im Lauf des Films durch ihre Augen im Kontrast zur amerikanischen Mid-West-Realität zwischen Walmart und Fast Food sieht. Je mehr "Captain Fantastic" aber ins Detail geht, je tiefer die Charaktere und ihre Eigenheiten vorgestellt werden, desto schwieriger wird es, in blinde Sympathie mit den Aussteigern zu verfallen. Was letzten Endes die stärkste Eigenschaft des Films wird.
Constantin Film
Das sind hier keine Helden, denen wir auf ihrem Abenteuer folgen, nicht einmal Anti-Helden, sondern selbstsüchtige, idealistische und teils empathielose Außenseiter, die feststecken zwischen dem Wunsch, eine neue, bessere Welt aufzubauen und der Realität, vor der bestehenden kapitulieren zu müssen. Vor allem scheinen Vater Cash und seine Kinder nicht die Intention zu haben, ein schöneres Dasein für alle Menschen zu schaffen, sondern nur für sich. Eine Idee, die auch nur kurzfristig gut gehen kann. Und die vor allem den Nachwuchs der Familie vor die schwierige Herausforderung stellt, einerseits die Wünsche der Eltern zu erfüllen, andererseits das eigene Potential zu verwirklichen, studieren zu gehen und soziale Kontakte zu knüpfen.
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"Captain Fantastic" ist eine Komödie im Stil von "Little Miss Sunshine" in der ein Großteil des Humors aus der blinden Naivität der zentralen Charaktere heraus entsteht. Szenen, in denen etwa Bodewan, der älteste Sohn der Familie, so komplett übermannt von seinem ersten Kuss ist, dass er auf seine Knie geht und einen Heiratsantrag macht. In denen der jüngste Nachwuchs der Familie dank effizientem Home-Schooling die Unabhängigkeitserklärung oder das Werk Noam Chomskys erklärt.
So richtig Sinn macht dann alles in den finalen fünfzehn Minuten des Films. Wo die bizarre Welt, die sich die Familie Cash aufgebaut hat, endgültig offenbart wird. Mit allen seltsamen Eigenheiten, selbst konstruierten Regeln und für die Außenwelt komplett unverständlichen Ansichten, die so ein Drop-Out-Leben mit sich bringt. Was dank der hervorragenden Performances von Viggo Mortensen als Ben Cash und seinen Familienmitgliedern zu einem besonders empfehlenswerten Filmerlebnis wird.