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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

15. 8. 2016 - 19:00

Aktuelle Gefechtsfeldkarten vom Syrienkrieg im Netz

Nicht nur der IS verliert an Terrain, auch die Rebellen gegen das Assad-Regime werden zunehmend marginalisiert, das zeigen aktuelle Karten des syrischen Kriegsgebiets.

In der Schlacht um Aleppo, wo 300.000 Zivilisten eingeschlossen sind, wurden am Wochenenende vom syrischen Regime erneut Aerosol- und Splitterbomben eingesetzt, die gegen die Genfer Konvention verstoßen. Der Syrienkrieg wird jedoch nicht nur als die längste und brutalѕte Auseinandersetzung seit den Kriegen in Ex-Jugoslawien in die Militärgeschichte eingehen. Es ist auch der am umfassendsten dokumentierte Konflikt.

Kartographen des Assad-Regimes, aber auch die kurdische YPG publizieren aktuelle taktische Gefechtsfeldkarten in sozialen Medien. Über Twitter kamen die Nachrichten von Kampfhandlungen am Wochenende im Minutentakt ins Netz, auch die Rebellenallianz "Freie Syrische Armee" (FSA) ist hier beteiligt. Detaillierte Informationen der Kämpfe, die bisher Stabsoffizieren vorbehalten waren, sind damit allen Benutzern nahe an Echtzeit zugänglich.

Die Schlacht um Aleppo

Miladvisor

Der Durchbruch der Rebellen des Belagerungsrings im Süden vo Aleppo. Der nicht eindeutig zugeordnete Fleck mitten im Korridor ist das Artilleriedepot der nördlich gelegenen Al-Assad-Militärakademie, die hier hellrot eingezeichnet ist. Die Karte wurde am Samstag veröffentlicht,

Konterkarierte Falschmeldungen

Aktuell dazu in fm4.ORF.at
Kobane zwei Jahre nach seiner Belagerung durch den IS, Interview zum Thema mit dem Buchautor Thomas Schmidinger

Wirkliche Falschmeldungen sind dabei selten, weil sie von der gegnerischen Seite durch aktuelle Fotos und Videos einfach und schnell zu konterkarieren sind. Die Meldungen der FSA und jene der Assad-Truppen widersprechen einander in erster Linie dann, wenn es um die Lage in umkämpften Gebieten geht, wie am Sonntag in Aleppo. Hier meldeten vor allem Quellen, die der FSA nahe stehen, seit vergangenem Dienstag voreilig Geländegewinne, die bis heute Schimäre sind.

Peto Lucem

Die Lage im Süden Aleppos Anfang der vergangenen Woche war fast gleich.

Der Urheber der obigen Karte, der unter dem Pseudynom "@miladvisor" ("Militärberater") twittert, ist hingegen dem Assad-Regime zuzuordnen. Auch Tage nach dem Durchbruch des Belagerungsrings hat sich bis zum Wochenende nichts Entscheidendes an der Gefechtsfeldlage verändert. Das illustriert nicht nur die Karte von "Peto Lucem", die am Mittwoch veröffentlicht wurde, sondern wird auch von kurdischen Quellen unterstützt, die relativ neutral berichten. Die kurdischen YPG-Milizen bekämpfen fast ausschließlich den "Islamischen Staat", in Aleppo beschränken sie sich auf die Sicherung des Kurdenviertels "Sex Messud" (arabisch "Sheik Mesoud"), greifen aber ansonsten nicht in die Kämpfe zwischen der Syrischen Armee und FSA-Rebellen ein.

Die Einnahme von Manbidsch

Liveuamap.comm

Die Lage um Manbidsch Mitte Juni, gelb sind die Kurden, grau der IS

Anders als diese taktischen Gefechtsfeldkarten macht die Website Liveuamap.com die großen strategischen Manöver sichtbar. Dort hatte sich die am Samstag abgeschlossene Eroberung von Manbidsch schon Ende Mai abgezeichnet. Seidem war die zweitgrößte, noch vom IS gehaltenen Stadt vollständig abgeriegelt. Ihre Einnahme dauerter deshalb mehr als zwei Monate, weil die von Kurden geführte Allianz "Demokratische Kräfte Syriens" (SDF), der auch arabische Kämpfer angehören, aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung auf den Einsatz schwerer Waffen weitgehend verzichtete. Kurden und Araber stellen die Mehrzahl der Einwohner von Manbidsch.

Liveuamap.com

Das einzige, noch nicht angeschlossene kurdische Siedlungsgebiet namens "Efrin" liegt ganz im Nordwesten Syriens. Zwischen Manbidsch und Efrin befinden sich noch etwa 50 Kilometer Territorium, das vom IS besetzt ist. Rot sind die Assad-Truppen, grün die Opposition.

Ein neuer Staat zeichnet sich ab

Das webbasierte Tool Liveuamap.com stammt von zwei ukrainischen Programmierern, es generiert aus Tweets und anderen Nachrichten aktuelle Karten von Kampfhandlungen in Krisengebieten rund um den Globus

Von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet ist von Nordwestsyrien bis in den Nordirak ein großes , zusammenhängendes Gebiet entstanden, das unter Kontrolle kurdischer Milizen steht. Es erstreckt sich von Manbidsch im Nordwesten Syriens bis an die irakische Grenze zum Iran und reicht etwa 200 Kilometer in Richtung Süden bis auf die Höhe Bagdads. Mit der am Sonntag begonnenen Offensive zur Einnahme des vom IS besetzten Mossul wird diese von kurdischen Streitkräften kontrollierte Zone noch ausgeweitet. Bereits am Sonntag hatten kurdische Peschmerga elf Dörfer freigekämpft, die mehr als zwei Jahre in der Hand des "Islamischen Staates" gewesen waren. Die Nachrichten wurden samt Fotos und Videos von Peschmerga-Kämpfern und anderen fast in Echtzeit via Twitter bekanntgegeben.

Strategische Gesamtschau

Die strategische Gesamtlage zeigt im Falle von Aleppo, dass Spekulationen westlicher Medien, der Durchbruch der sogenannten "moderaten Rebellen" könnte eine Wende im Krieg gegen das Assad-Regime bringen, auf einer Verwechslung von Strategie und Taktik beruht. Eine Gesamtschau auf die Lage zeigt nämlich, wie marginalisiert das Rebellenbündnis "Freie Syrische Armee" (FSA) mittlerweile ist.

Obendrein haben radikale Islamisten wie die jüngst in "Jabhat Fatah al-Sham" ("Front zur Eroberung Syriens") umbenannte Al-Nusra-Front die Führung übernommen. Die gleichzeitige Distanzierung vom Al-Kaida wird von Beobachtern als reine Formsache eingeschätzt. An der ideologischen Ausrichtung der Al-Nusra-Truppe habe sich nichts grundlegend verändert, so der allgemeine Tenor.

Nicht nur der IS verliert Terrain

Bis auf Teile von Aleppo hat das Assad-Regime mittlerweile die vollständige Kontrolle über alle größeren Städte Syriens zurückerlangt. Die Provinz Idlib ist das einzige große, zusammenhängende Terrain, das vom Rebellenbündnis Freie Syrische Armee (FSA) kontrolliert wird, die Rebellengebiete im Süden Syriens sind isolierte Inseln, die unter den Bombardements russischer und syrischer Kampfjets zunehmend erodieren. Im Süden kontrolliert die FSA-Allianz zwar einen langen Streifen entlang der jordanischen und irakischen Grenze, doch das gesamte Gebiet ist Wüste, größere Siedlungen gibt es dort nicht.

Southfront.org

Auch von der am Sonntag gestarteten Offensive irakischer Peschmergas gegen das vom IS besetzte Mossul erschienen noch am selben Tag erste Karte. Die hier abgebildete Karte zeigt die Lage am Montag Mittag.

Mit dem Durchbruch des Belagerungsrings im Süden von Aleppo Mitte der vergangenen Woche ist dieser zudem keineswegs gesprengt. Den FSA-Rebellen war es bis zum Wochenende nicht gelungen, den Korridor in die zu weiten Teilen zerstörte Stadt, die vor Ausbruch des Krieges mehr als zwei Millionen Einwohner hatte, nennenswert auszuweiten. Der Korridor liegt mitten im Feuerbereich der Artillerie der Regierungstruppen, am Sonntag bombardierten russische und syrische Kampfjets zudem erneut die Nachschubwege in die Stadt. Obwohl Russland eine tägliche mehrstündige Feuerpause zur Versorgung der Stadt mit dringend benötigter humantärer Hilfe angekündigt hatte, ist die bis jetzt ausgeblieben. Die Kampfhandlungen gingen von beiden Seiten ohne Pause auch über das Wochende weiter. Auch am Montag war das Industriegebiet im Süden Aleppos weiterhin heftig umkämpft.

Wer auf wen schießt und wer nicht

Das syrische Regime kämpft derzeit kaum gegen den IS sondern in erster Linie gegen die FSA, dafür wurde die Eliteeinheit "Tiger-Brigaden" ("Al-Nimr"), die Palmyra im Süden Süden vom "Islamischen Staat" zurückerobert hatte, von dieser Front abgezogen und nach Aleppo verlegt. Die Kurden wiederum attackieren die FSA-Rebellen ebensowenig wie die Truppen des Assad-Regimes, die auch ihrerseits das mit der kurdischen YPG vereinbarte Abkommen zur gegenseitigen Tolanz einhält. Die Luftschläge der von den USA geführten Allianz richten sich ausschließlich gegen den IS, die russischen Kampfjets wiederum bombardieren sowohl FSA-Stellungen wie auch solche des IS.

Notwendiger Nachsatz

Zahlen über die Opfer dieser neuen Offensive gibt es nicht. Niemand weiß derzeit, wieviele Menschen in Aleppo täglich im Hagel von Bomben, Granaten und Maschinengewehren sterben. Die kurdische Nachrichtenagentur ANHA gab bekannt, dass alleine bei der Eroberung von Manbidsch 436 Kämpferinnen und Kämpfer der YPG gefallen seien.