Erstellt am: 18. 8. 2016 - 06:00 Uhr
Ethan Hawke ruft zur Tafelrunde
Phantasiewelten, große Träume, noch ungeplatzte Seifenblasen: Der Wunsch nach dem Leben in einer anderen - vielleicht vergangenen, vielleicht futuristischen Welt - ist das, was die Kindheit in großen Teilen ausmacht.
FM4 Buch
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Eben seinen, also Ethan Hawkes Kindern, hat dieser jetzt ein Buch mit passendem Sujet gewidmet: der eigentlich eher via Leinwand bekannte Hollywoodschauspieler und mittlerweile –regisseur veröffentlicht das auch im Format filigrane Büchlein „Regeln für einen Ritter“. Außen prangt dunkelgrüner Stoff, goldene Schrift und ein ebenso goldenes Schwert – glatt könnte es als die Sorte von Bibelnachdruck durchgehen, die auf der Betbank in kalten Hallen schon durch hunderte Hände gewandert ist.
Von Schottland nach Ohio
Shane McCauley/TACK Artist Group
Ganz so religiös ist Ethan Hawke natürlich nicht unterwegs, auch wenn er aus dem sakralgetränkten Mittelalter zitiert. Angeblich hat er - beim Aufräumen, Umziehen, Entrümpeln - Anfang der 1970er Jahre auf der alten Farm seiner Urgroßmutter in Waynesville, Ohio, einen sehr alten Brief gefunden. Geschrieben von seinem adeligen Vorfahren aus Cornwall, England, Sir Thomas Lemuel Hawke.
1483, am Vorabend einer bedeutenden Schlacht, fürchtet Sir Thomas um sein Leben – oder vielmehr fürchtet er, seinen Kindern nicht genug Lebensweisheiten mitgegeben zu haben.
Ethan Hawke, geboren 1970 in Austin/Texas, ist aus Filmen wie "Der Club der toten Dichter", "Training Day", Richard Linklaters "Before Sunrise"-Trilogie und "Boyhood" bekannt.
Deshalb richtet er einen Brief an Mary-Rose, Lemuel, Cvenhild und Idamay, um ihnen darin zu erklären, worum es in einem redlichen, ehrlichen, glücklichen Leben geht. In zwanzig Leitsätzen, die mit je einer Fabel veranschaulicht werden – und mit einer Zeichnung von Hawkes Frau Ryan illustriert sind – zählt er nacheinander die wichtigsten Tugenden und Charakterzüge eines vorbildlichen Ritters auf. Genderdebatte inklusive: immerhin wendet er sich nicht nur an seine ritterlichen Söhne, sondern auch an seine Tochter, eine „hochstrebende junge Dame“.
Das klingt dann, auszugsweise, so:
DANKBARKEIT. Die einzig kluge Antwort auf das andauernde Geschenk des Lebens ist Dankbarkeit. Für alles, was gewesen ist, sagt ein Ritter: „Danke“. Zu allem, was kommt, sagt ein Ritter: „Ja!“
Kiepenheuer & Witsch
Ethan Hawkes Anleitung zum ritterlichen Leben ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen (Übersetzung: Kristian Lutze).
STOLZ. Tue niemals so, als wärest du kein Ritter, oder versuche, dich kleiner zu machen, weil du vermutest, dass dein Gegenüber sich dann wohler fühlt. Wir erweisen anderen den größten Respekt, indem wir ihnen unser Bestes zeigen.
GERECHTIGKEIT. Es gibt nur eines, womit ein Ritter keine Geduld und Nachsicht hat: Ungerechtigkeit. Der wahre Ritter kämpft jederzeit für die menschliche Würde.
LIEBE ist das letztendliche Ziel. Sie ist die Musik unseres Lebens. Es gibt kein Hindernis, das genug Liebe nicht aus dem Weg räumen könnte.
Weisheiten für die Massen, aufbereitet für ein breites Lesepublikum. Die Art von moralischer Vorstellung, die irgendwie eh jeder teilt und deshalb eigentlich nicht laut ausgesprochen werden muss.
Muss nicht?
Skepsis ist bei großen Namen – oder in diesem Fall, berühmten Schauspielern, die sich außerhalb ihres Metiers versuchen – vorhanden, bevor man sie noch rechtfertigen kann. Was aber funktioniert an Ethan Hawkes Beschreibung eines vorbildlichen Lebens?
Edward Burne Jones
Homo homini lupus
Es gibt ein sehr prominentes Vorgängerbeispiel, Antoine de Saint-Exupérys „Le Petit Prince“. Naiv-lieblich kratzt die Geschichte vom Prinzen, der auf seiner Reise grundlegende philosophische Fragen stellt, nur auf den ersten Blick an der Oberfläche. Ohne Hawkes Sammlung diesen Status zu- oder abzusprechen, sind es vor allem Anekdoten wie die über die zwei Wölfe im Menschen, die hängen bleiben.
Hier gekürzt:
Während ich dich die Wege des Krieges lehre, sollst du wissen, dass der eigentliche Kampf der zwischen den beiden Wölfen ist, die in jedem von uns leben.
Der eine Wolf ist böse. Er ist Wut. Neid, Gier, Hochmut, Täuschung und falscher Stolz.
Der andere ist gut. Er ist Freude, Hoffnung, Gelassenheit, Demut, Güte, Nachsicht, Mitgefühl, Großzügigkeit, Wahrheit, Leidenschaft und Glauben.
Welcher Wolf wird gewinnen?
Der, den du fütterst.
Kinderbücher, das sind die, in denen Grausamkeit, Gewalt und Niedertracht häufiger als in jedem beliebigen Slasher-Horrorfilm vorkommen. Die Hexe, die die Kinder mästet, um sie in den Ofen zu stecken; die Kinder, die verhungern müssen, wenn ihnen die Suppe nicht schmeckt. Kinder schlucken etwaige Greueltaten - ja oft schon Foltermethoden - als gegeben. Zurück zu Ethan Hawke: gegen die Brüder Grimm ist er, was Grusel, Greuel, Blut und Schauer angeht, eher die Sorte Teddybär.
Vielleicht macht gerade das seine Ideen zum besseren Leben für Erwachsene so charmant und zugänglich.