Erstellt am: 12. 8. 2016 - 13:56 Uhr
Stichwahl, die Zweite
#BPW16
KandidatInnenporträts, Wahlkampfanalysen und natürlich die Ergebnisse der Wahl.
Warum wird erst am zweiten Oktober gewählt – ging das nicht früher?
Alfred J. Noll: Es wäre sehr viel früher gegangen. Die Festlegung des Wahltages obliegt der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates – und die Wahl des Wahltages ist relativ frei, weil es für eine sog. "Wiederholungswahl" überhaupt keine gesetzliche Vorschrift gibt. Deshalb kann die Bundesregierung das mehr oder weniger nach Belieben festsetzen. Die maßgeblichen Kriterien dafür waren, dass man es einerseits natürlich möglichst schnell machen will, andererseits aber im Sommer natürlich kein Parlament da ist, viele Leute auf Urlaub sind. Eine Wahl vor dem zweiten Oktober hätte eventuell bedeutet, dass eine Angelobung des neuen Bundespräsidenten in die Parlamentsferien fällt und alle Parlamentarier zurück in den Nationalrat kommen müssen. Das wollte man vermeiden. Der "erstmögliche" Termin schien Parlament und Bundesregierung eben der 2. Oktober.
Und die Bestimmung "an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag" gilt auch nicht für eine Wahlwiederholung?
Alfred J. Noll: Es gibt für eine derartige Wahlwiederholung überhaupt keine gesetzliche Vorschrift. Deswegen kann man sich nur durch den Hinweis behelfen, den der VfGH in seiner Entscheidung gegeben hat – dass "der Wahltag durch die Bundesregierung zu bestimmen ist" – und durch die analoge Herbeiziehung der bisher für die Stichwahl, für den ersten Wahlgang, maßgeblichen Bestimmungen. Die verwendet man halt. Das ist aber eine analoge Rechtsanwendung. Für so eine Wahlwiederholung gibt es grundsätzlich keine gesetzlichen Bestimmungen.
APA/ HANS PUNZ
Einige Leute sind seit der (ersten) Stichwahl verstorben. Andere haben inzwischen das sechzehnte Lebensjahr vollendet und damit das aktive Wahlalter erreicht. Was ist mit denen?
Alfred J. Noll: Da muss man zwei Dinge vorausschicken. Erstens: Es heißt zwar immer, es wäre eine "Wahlwiederholung". Nur: Eine Wahlwiederholung gibt es nicht. Für die sogenannte Stichwahl ist ja vorgesehen, dass sie innerhalb von vier Wochen ab dem ersten Wahlgang sein muss. Das ist einfach vorbei. Insofern kann es keine Stichwahl mehr sein. Das, was man z.B. bei naturwissenschaftlichen Experimenten kennt, nämlich eine Wiederholung des Experiments unter festgestellten und bestimmten Randbedingungen, das geht genau da nicht. In Österreich sterben pro Jahr ca. 80.000 Leute – und ca. 80.000 Leute kommen auch auf die Welt. Diejenigen, die für die Stichwahl wahlberechtigt waren, sind jetzt einerseits weniger: zwischen dem ersten Wahlgang und dem zweiten Oktober, das sind sechs Monate, sind ca. 40.000 Leute gestorben. Die können jetzt klarerweise gar nicht mehr wählen. Zweitens sind inzwischen ungefähr 32.000 Leute 16 geworden. Die haben zwar ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Wahlrecht, werden aber durch die Verordnung der Bundesregierung, dass der Stichwahl für diese Wiederholung am 23. Februar sein soll, jetzt ausgeschlossen. Das heißt, wir haben erstmals in Österreich das Faktum, dass die Bundesregierung durch Festsetzung des Wahltages unter Beibehaltung eines veralteten Stichtages gut 30.000 Jugendliche vom Wahlrecht explizit ausschließt. Das halte ich für verfassungswidrig. Ob das dann zu einer nochmaligen Wahlanfechtung führen wird, wird man sehen. Da will ich nicht spekulieren.
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Hätte man das auch anders handhaben können?
Alfred J. Noll: Das hätte man ganz leicht anders machen können. Man hätte den Wahltag auf den 2. Oktober festsetzen können, und den Stichtag, der maßgeblich ist für das Anlegen des Wählerverzeichnisses, aktualisieren können. Das wollte man aber nicht, und das führt jetzt zu genau dem Missstand, der meines Erachtens verfassungswidrig und demokratiepolitisch höchst bedenklich 32.000 Jugendliche ausschließt.
Wurde durch den VfGH-Entscheid nahegelegt, dass der Wahlschluss jetzt einheitlich zu sein hat?
Alfred J. Noll: Der Wahlschluss war immer schon einheitlich – die Frage ist, wann ausgezählt wird. Innenminister Sobotka hat gesagt: Ein amtliches Wahlergebnis wird jetzt erst verlautbart, wenn auch die Wahlkarten ausgezählt sind am Montag nach dem Wahltag. Das wird auch so sein. Insofern ändert sich nichts, weil es ja auch keine zwingende Bestimmung gibt, wann etwas bekanntzugeben ist. Meiner Ansicht nach wäre es viel klüger, es zu machen wie in der Schweiz, wo seit Jahren fast 80% aller Stimmen über Wahlkarten abgegeben werden: Gar keine Differenzierung zwischen Wahlkarten und Urnenstimmen zu machen – denn eine Stimme zählt so viel, wie die andere, diese Differenzierung ist unsinnig – und zu gewährleisten, dass alle Stimmen bis Sonntag Abend ausgezählt sind, ohne diese nachfolgende Differenzierung. Da wird man bei einer Novellierung des Wahlrechtes dafür sorgen müssen, dass die Wahlkarten früher ausgezählt werden, um dann am Sonntag Abend auch ein entsprechendes Gesamtergebnis veröffentlichen zu können.
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Aber es gab schon Wahllokale, die früher schließen als jene in Ballungszentren, wo bis 17 Uhr gewählt werden kann?
Alfred J. Noll: Die einzelnen Wahllokale unterscheiden sich schon: Am Land wird häufig zu Mittag Schluss gemacht, weil dort weniger Wahlberechtigte sind, da gibt's ein großes administratives Problem. Wenn ich eine kleine Gemeinde mit ein paar hundert Einwohnern habe, ist es unsinnig, die Leute den ganzen Tag dort sitzen zu lassen. Eine Variante wäre, das auf den Nachmittag zu verlegen und dann einen gemeinsamen Wahlschluss für ganz Österreich zu machen. Dann kann das, was jetzt moniert worden ist – dass Teilergebnisse bekannt werden – nicht mehr geschehen. Momentan gibt es keine Novellierung dazu und die Wahl am zweiten Oktober wird so stattfinden wie bisher auch.
Müssen dieselben Beisitzer wieder kommen?
Alfred J. Noll: Das ist das nächste Problem. Weil für eine derartige "Wahlwiederholung" (eigentlich: Neuwahl, eingeschränkt auf die beiden übriggebliebenen Kandidaten) der Stichtag gleich geblieben ist – oder: neuerlich mit 23. Februar festgesetzt worden ist – müssen auch die Wahlbeisitzer dieselben sein. Von diesen ca. 50.000 Wahlbeisitzern in Österreich sind auch etliche gestorben. Die können natürlich nicht mehr teilnehmen. Und immer dann, wenn es einen Bedarf an Wahlbeisitzern gibt, muss die Gemeinde die entsprechenden Beisitzer stellen. Das ergibt zwei Probleme: ein Kostenproblem – das hat Gemeindebundpräsident Mödlhammer ja auch schon gegenüber Sobotka moniert: wer zahlt uns das, wir haben ja nicht Schuld an dieser Wahlwiederholung. Zweitens: Wenn die Gemeinde den Ersatz für die nicht mehr vorhandenen Wahlbeisitzer stellen muss, funktioniert genau das nicht, was man als demokratiepolitische Kontrolle für die Wahlbeisitzer im Auge hat: Dass aus allen Fraktionen, von allen politischen Gruppierungen eine Kontrollinstanz besteht. Wenn jetzt aber die Gemeinde bestimmt, wer dort sitzt, fällt genau dieses demokratiepolitische Kontrollinstrument weg, und man hat etwas, was ja im Rahmen der VfGH-Entscheidung über die Aufhebung mehrfach thematisiert worden ist: eine mangelnde demokratische Kontrolle der Wahlen.
ORF/Melanie Balaskovics
Wie bestimmen die Gemeinden diese Beisitzer?
Alfred J. Noll: Die Gemeinde hat dann durch Gemeindebedienstete das aufzufüllen, was ihnen an Wahlbeisitzern fehlt. Das sind die Wahlbeisitzer, die das als Gemeindebedienstete weisungsgemäß einfach machen müssen. Ich glaube, dass es gar nicht unvernünftig wäre, darüber nachzudenken, dass Beamtinnen und Beamte den Job der Wahlbeisitzer erfüllen: Sie sind auf's Gesetz verpflichtet, haben einen entsprechenden Diensteid geleistet, unterliegen dem Disziplinarrecht, und ich bin ganz zuversichtlich, dass die das gut machen. Eine weitere Alternative wäre, wie in Deutschland, die Auszählung an sich öffentlich zu machen. Dort darf jede und jeder zuschauen. Nur scheint mir das ein bisschen aufwändig zu sein. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn das System der parteilichen Wahlbeisitzer abgelöst würde durch eine verbindliche Beamtenaufsicht bei der Auszählung.
Können die Beisitzer vom letzten Mal jetzt sagen, sie wollen nicht mehr?
Alfred J. Noll: Die können das immer sagen. Weil die sind ja nicht verpflichtet, das zu tun. Wenn man dem Gezwitscher in den Gassen Glauben schenkt, gibt es etliche, die sagen: "Das tu ich nicht mehr an, denn ich weiß, dass ich bei der 'ersten' Stichwahl immer brav und redlich gearbeitet habe. Und jetzt steh ich generell unter dem Verdacht, dass ich hier etwas Rechtswidriges gemacht habe. Das lass ich mir doch nicht nachsagen, zumal ich dafür ja auch (sehr oft) nichts bekomme. Warum soll ich mir das antun?" Ich kann mir – und das ist auch das, was mir Bürgermeister erzählen – durchaus vorstellen, dass viele sagen, habt's mich gern. So, unter diesen Bedingungen mach ich das nicht mehr.
Bis wann müssten die das bekanntgeben?
Alfred J. Noll: Das Problem ist, dass es natürlich auch dafür keine Frist gibt. Sondern diese Namen wurden schon lange vor dem ersten Wahlgang notiert und aufgestellt. Das Problem für die Gemeinden besteht darin, dass die sich ja nicht abmelden wie beim Schulausflug, sondern einfach nicht da sind. Was gewiss ist: dass die Wahlleiter die Beisitzer einzuladen haben. Dann wird man sehen wer kommt. Und das schafft eine Unwägbarkeit, die nicht sehr erfreulich ist.
Wie wird die Informationsweitergabe vor Beendigung der Auszählung jetzt "neu" gehandhabt?
Alfred J. Noll: Die Daten werden zwar sehr wohl gleich nach Wahlschluss in den Wahllokalen "im Amtsweg" weitergemeldet. Das BMI hat so wie bisher auch die laufenden Daten in seiner EDV. Allerdings werden die dann nicht weitergegeben. Ab 17 Uhr gibts aber wieder einen Verteiler, und damit kanns knapp nach 17 Uhr auch erste Hochrechnungen geben. Im Unterschied zu früher gibt's aber vorher keine Datenweitergabe nach außen und auch keine BMI-interne Hochrechnung.
Ergeben sich mit dem VfGH-Entscheid leichter zugängliche Ansatzpunkte für eine erneute Anfechtung?
Alfred J. Noll: Ich glaube nicht, dass sich hier grundsätzlich etwas geändert hat. Der VfGH hat seine ständige Rechtsprechung, die er seit 80 Jahren hat, fortgesetzt. Das ist insofern konsequent. Wiewohl ich meine, dass es falsch gewesen ist. Man hätte besser anders entschieden: alleine weil im Verfahren kein Indiz für irgendeine Verfälschung des Wahlergebnisses hervorgekommen ist, und es bei uns im Artikel 141 des B-VG heißt, "Rechtswidrigkeiten spielen nur dann eine Rolle bei der Aufhebung, wenn diese Rechtswidrigkeiten von Einfluss auf das Wahlergebnis waren". Das war nicht erkennbar. Der VfGH hat hier eine andere Position. Damit muss man leben. Langer Rede, kurzer Sinn: Die Anfechtungs-Möglichkeiten sind nicht gewachsen. Aber man ist natürlich sensibler geworden durch dieses Erkenntnis und das Verfahren – und es ist damit auch ein bisschen die Lust oder der sportive Elan gestiegen, es zu probieren. Wenn eine Wahl schon dann aufgehoben wird, obwohl es überhaupt keine Verfälschung sichtbar gegeben hat; na, dann probiert man es halt noch einmal – die Eingabegebühr ist relativ gering, das kann man versuchen, und dann wird man sehen, was herauskommt. Der VfGH hat jedenfalls die Schraube noch einmal ein bisschen enger gezogen und insofern atmosphärisch das Klima geändert und die Anfechtungswilligen "ermuntert", es zu versuchen. In der Sache hat sich nichts geändert.
Amelie Schillhuber
Es hat ja auch einige Einlassungen von statistischer Seite gegeben, wo Leute gesagt haben: Wenn ihr unsere Materie nur ein Stück weit miteinbezogen hättet, wäre ganz klar gewesen: man kann ganz einfach nachvollziehen, dass da nichts gewesen ist.
Statistische Analyse
- Erich Neuwirth: Wahlkarten und Urnenwahl - Anteilsdifferenzen
- The Washington Post: No evidence of fraud
Alfred J. Noll: Das bisherige Argument des VfGH und auch von vielen Rechtswissenschaftlern ist: Wenn man sich tatsächlich auf den Wortlaut der Verfassung beschränken würde, nämlich tatsächlich zu prüfen, ob es eine Verfälschung gegeben hätte, würde man nie ein Ende finden und könnte das kaum je beweisen. Deshalb gibt es diese Judikatur in der Möglichkeitsform und es wird nur darauf abgestellt, ob etwas von Einfluss sein könnte. Jetzt lässt sich aber mit heutigen statistischen Methoden – und das hat insbesondere Prof. Neuwirth zunächst einmal ganz klar und eindeutig gemacht und das ist insbesondere auch das Ergebnis einer wirklich sehr fundierten Analyse der Washington Post – naturwissenschaftlich nachweisen, dass es keine Fälschung gegeben hat. Hätte der VfGH hier einen Blick auf die Wirklichkeit gerichtet, wäre ihm das aufgefallen. Es ist ihm deshalb nicht aufgefallen, weil er auf die Wirklichkeit gar nicht schauen will. Das sagt er auch ganz explizit: uns interessiert als Gerichtshof nicht, was tatsächlich passiert ist, uns reicht aus zu prüfen, ob etwas möglich gewesen wäre. Und wenn man sich diese Brille aufsetzt, sind diese statistischen Argumente keine Argumente mehr, weil sie quasi "quer" zu dem liegen, was der VfGH überhaupt in Sichtweite bekommen will. Wenn ich danach frage, ob etwas theoretisch irgendwie möglich wäre, reicht es aus, sich einfach anzuschauen, in welcher Anzahl Stimmen von einer Rechtswidrigkeit betroffen sind, und so kommt es zu diesem Ergebnis. Ich halte das für falsch. Ich glaube, der VfGH hätte sowohl vom Text der Verfassung her, als auch von den empirischen Möglichkeiten her überprüfen können und deshalb auch müssen, ob es zu einer Wahlverfälschung gekommen ist. Das hat er nicht getan, aber da ist man halt auseinander.
Einige Leute, auch Sie, haben seit der Anfechtung ins Spiel gebracht, dass das Publizieren sogenannter "dissenting opinions" die Debatte konstruktiver gestalten könnte. Worum geht es da?
Alfred J. Noll: "Dissenting opinion" heißt nichts anderes als einzelnen RichterInnen die nicht der Mehrheit angehören, die Möglichkeit einzuräumen, ihre abweichende Meinung dem Urteil anzuschließen und damit auch öffentlich zu machen. Das gibt's in den USA beim Supreme Court seit ewigen Zeiten, in Deutschland am Bundesverfassungsgericht seit Anfang der 70er Jahre, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und man hat damit insgesamt ganz gute Erfahrungen gemacht. Drei Gründe sprechen dafür: Erstens ein ganz banaler Grund: Die Mehrheit der Richterinnen und Richter die entscheidet, müssen immer damit rechnen, dass von der Minderheit dann eine Meinung publiziert wird, die ihre Mehrheitsmeinung delegitimiert oder sogar widerlegt – d.h. sie strengen sich mehr an. Das ist ein ganz einfaches soziologisches Faktum: Wenn ich Angst haben muss, dass ich in der Öffentlichkeit blöd dastehe, strenge ich mich mehr an, meine Meinung besser zu begründen, plausibler und argumentativ stärker zu machen. Zweitens: Es hat einen enormen Befriedungseffekt. Wenn man zu einem Höchstgericht geht und dort verliert, steht einerlei wer gewinnt, der Verlierer immer blöd da. Es wird ihm autoritativ gesagt, "Du bist ein Trottel. So kann's nicht sein und so ist es nicht." Wenn man hier durch die dissenting opinion argumentiert erhält, dass in der eigenen Argumentation – auch wenn ich verloren habe – etwas dran war, weil ja sogar ein Teil der Richterinnen und Richter der Meinung war, dass man es hätte anders sehen können, dann kann man sich sagen, na so blöd war das irgendwie gar nicht, das war durchaus legitim. Die Mehrheit entscheidet zwar anders, damit kann man leben, aber man wird nicht hingestellt als jemand der ganz neben der Rolle steht. Und daraus resultiert auch der dritte positive Effekt: Man kann empirisch nachvollziehen, insbesondere in den USA, aber auch in Deutschland, dass in einer Vielzahl von Fällen die Rechtsmeinung die zunächst in der Minderheit war, in weiterer Folge dann die Mehrheit überzeugen konnte. Weil Rechtsprechung eines Höchstgerichts ja nichts ist was im Elfenbeinturm stattfindet, sondern einen direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit, den sozialen Grundlagen jeder Justiz usw. hat. Und eine Öffentlichkeit, die sich zunächst einmal in der Minderheit sieht, was die Rechtsmeinung betrifft, kann dann natürlich auch politischen Druck – das ist auch legitim – entwickeln, zweitens aber ihre eigenen Argumente schärfen, und dann bei einem nächsten Mal vielleicht die Mehrheit überzeugen. Nicht überreden, überzeugen. Dafür gibt es viele empirische Fälle. In Österreich wurde das seit Anfang der 70er Jahre von Manfried Welan, einem ÖVPler, angeregt und dann 1998 in einer großen parlamentarischen Enquete auch besprochen – dass es hoch an der Zeit wäre, hier auch den österreichischen Richterinnen und Richtern der Höchstgerichte die Möglichkeit zu geben, dissenting opinions öffentlich zu machen. Zwei Voraussetzungen sind aber ganz wichtig. Erstens: Das ist nur eine Möglichkeit. Es kann nie eine Verpflichtung geben. Zweitens: Die Abgabe von abweichenden, von Minderheitsmeinungen, macht Arbeit. Das heißt, man muss auch dafür sorgen, dass die Höchstgerichte die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen haben, um diese Mehrarbeit auch zu erledigen. Es wäre finde ich nicht nur unhöflich sondern ganz unsachlich, dem Gericht eine Möglichkeit einzuräumen, die es dann aber nicht erfüllen kann, weil es an den Ressourcen fehlt.