Erstellt am: 9. 8. 2016 - 15:59 Uhr
Soundtracks: Leinwande Beats
Wie klingen die mörderischen Streicher in der Dusche von Hitchcocks „Psycho“? Welche dunkelschwarze Melodie begleitet Darth Vaders Auftritte? Was bläst die Mundharmonika, wenn Ennio Morricone das Lied vom Tod spielt? Auch ohne detaillierte Lautschrift kommt wohl jedem sofort eines dieser Motive ins Ohr. Stimmungsvoll. Prägnant. Unvergessen.
FM4 Excursions
Bunt gemixte Assoziationsketten, die Wurzeln aktueller Sounds und Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursions-Themen-Mixtapes gibt es in der Nacht von Montag auf Dienstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player. Ein Klick auf die Links führt zu den Songs direkt im Mix von Trishes.
Kein Wunder also, dass aufgeschlossene Musikproduzenten über den Plattentellerrand hinausschauen und sich Schnipsel von der großen Leinwand in ihren Sampler laden. Denn Filmmusik ist meist atmosphärisch, spannungsgeladen, ohne Gesang oder Schlagzeug aufgenommen, subtil in Einzeltöne zerlegt. Sample-Schürfer freuen sich, wenn gerade keiner in die Szene rein quatscht. Oder stöbern im Plattenladen nach dem Original Soundtrack (O.S.T.), der sich glücklicherweise oftmals unter den Billigscheiben versteckt.
Trishes widmet seinen DJ-Mix in Episode 5 der "FM4 Excursions" den Cineasten unter den Producern. Wir hören Film-Soundtracks, die über Samples ihren Eingang in den HipHop-Kanon und die elektronische Musikgeschichte gefunden haben.
Blaxploitation: „Come on feet, do your thing.“
Den Filmabend eröffnet der afroamerikanische Alleskönner Melvin Van Peebles mit „Come on Feet“ aus dem selbst produzierten Blaxploitation-Film „Sweet Sweetback's Baadasssss Song“ (1971). Heulende Sirenen, hektische Bassläufe, psychedelische Orgel-Sounds jagen durch die Straßen des New Yorks der frühen 1970er. Der von Van Peebles selbst verkörperte schwarze Held flieht unschuldig vor der weißen Polizei, kämpft seinen Weg frei mit Gewalt - und gegen die Chefin der Hells Angels sogar mit Sex.
CC BY-SA 3.0 JJ Georges on Wikicommons
„Sweet Sweetback's Baadasssss Song“ repräsentiert das Genre des Blaxploitation-Films, ein Kofferwort aus Black und Exploitation, also schwarzen Low Budget-Movies mit expliziter Darstellung möglichst sündhaften Verhaltens. Das Revolutionäre an Blaxploitation-Filmen war, dass sie im Aufwind der Bürgerrechtsbewegung erstmals den Alltag der schwarzen Amerikaner auf die weiße Leinwand projizierten. Kultfilme wie „Shaft“ (1971), „Foxy Brown“ (1974) oder „Truck Turner“ (1974) waren von Schwarzen für Schwarze erdacht, inszeniert, gespielt.
Die Themen gleichen der Filmvorlage zum stereotypen Blockbuster-HipHop-Album: Potente Helden mit großer Klappe, Pimps und leichte Mädchen, Sex, Drogen und Gewalt. Dennoch galten Blaxploitation-Filme als ein Emanzipationssymbol schwarzen Selbstbewusstseins, als unabhängiger Kinozweig inmitten einer weißen Industrie. Und: als Garant für eine Menge grandioser Soundtracks. Trishes wählt zwei weitere Beispielsongs: Curtis Mayfields „Little Child Running Wild“ vom Film „Superfly“ (1972) und J.J. Johnsons „Parade Strut“ vom Film „Willie Dynamite“ (1974).
Im Jahr 2000 schickt Chefproducer Madlib sein Alter Ego Quasimoto mit Helium-Antrieb auf eine Reise zum Planeten Mushroom. Für seine Single „Come on Feet“ (2000) sampelt Madlib die Vocals von Melvin Van Peebles gleichnamigen Song. Mehrfach instrumentale und visuelle Anleihen nahm er bei einem weiteren Soundtrack: „La Planète sauvage“ (1973). Der französische Zeichentrickfilm spielt auf einem wilden Planeten, auf dem sich blaue Riesen kleine Menschenwesen als Haustiere halten.
Madlib/Stones Throw Records
Madlib inspirierte nicht nur das Hauptthema des Films „Le Bracelet“, das er sich von Compositeur Alain Goraguer auslieh, auch eine Figur und grafische Effekte entlehnte er für sein Cover- und Videoclip-Design. Filme nehmen demnach auch visuellen Einfluss auf Musiker und ihr Image.
Jazz im Kino: „Groove Is In The Heart“
Seit den ersten Filmen der Brüder Lumière 1895 entwickelt sich auch die Filmmusik weiter. Das Live-Piano der Stummfilm-Tage, das einst das Rattern der Filmprojektoren übertönen sollte, wanderte im Tonfilm samt Orchester ins Studio. Nach dem zweiten Weltkrieg setzten Komponisten vermehrt auf Jazz und die aufkommende Popmusik.
Einer der großen Film-Komponisten mit einem Händchen für Jazz ist der Argentinier Lalo Schifrin. Er verkörpert eine Ära Hollywoods, in der die Musik im Film noch was zu sagen hatte und uns nicht - wie im heutigen Fließband-Kino der Traumfabrik - mit pausenlosen Chart-Pop-Flächen erdrückte.
Rykodisc/Warner
Trishes spielt Schifrins „The Danube Incident“ (1969), eines seiner komponierten Themen für die TV-Serie „Mission: Impossible“. Schifrins markante Bass-Sequenz verarbeiteten im Jahr 1994 die britischen Trip-Hopper Portishead in einem ihrer ersten Stücke „Sour Times“.
Jazzpiano-Grandseigneur und Oscar-Preisträger Herbie Hancock schrieb seinen ersten Score für Michelangelo Antonionis Kultfilm „Blow up“ (1966). Der Film zeigt ein zeitgeistiges Porträt des Londons der Swinging Sixties. Herbie Hancock performte den Soundtrack mit den Kumpanen Freddie Hubbard, Ron Carter und Joe Henderson. Trishes bringt deren immens groovendes Stück „Bringing down the Birds“, das Hancock heute noch auf seinen Konzerten in der Wiener Staatsoper auspackt.
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1990 erlebte Hancocks Hardbop-Klassiker ein Revival: Die New-Yorker Weißbrote Dee-Lite, die ihren ganz eigenen 1970er-Retro-Film fuhren, coverten das Stück für ihren Dancefloor-Smashhit „Groove Is In The Heart“. Und sie holten sich James Browns einstige Weggefährten ins Party-Boot: Funk-Pionier Bootsy Collins zupfte den E-Bass, Maceo Parker spielte Sax, Fred Wesley die Posaune. Das Mikrofon rippte ein junger Q-Tip, der ein Jahr später mit seiner Band A Tribe Called Quest den „FM4 Excursions“ ihren Namen gibt.
Spaghettiwestern: Für eine Hand voll Samples
Filmmusik vertont und verstärkt die Emotionen der Bilder, akzentuiert Bewegungen und Handlungen, charakterisiert Personen in einem wiederkehrenden, variierenden Leitmotiv. Ein Meister der Leitmotiv-Komposition, wie sie einst Wagner in seinen Opern prägte, ist der Italiener Ennio Morricone. Vor allem seine nervenaufreibenden Themen für Sergio Leones epische Italo-Western haben bleibendes Schaudern hinterlassen.
CC0
Trishes wählt als Anschauungsmaterial das minimalistische „Il Colpo“ aus dem Film „Für ein paar Dollar mehr“ (1965). Im Sequel von „Für eine Hand voll Dollar“ zieht Kopfgeldjäger Clint Eastwood erneut schneller als sein Schatten und Ennio Morricone strapaziert die flirrende Spannung mit Trommeln, einer Piano-Note und der Todestrompete. The Prodigy bearbeiten diese später für ihren Remix von Method Mans „Release Yo' Delf“ (1995). Im Jahr 2002 verbreiten Method Man und die Trompete am Soundtrack von „Resident Evil“ (2002) erneut Angst und Schrecken.
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Zum Finale des Filmabends spannt Trishes mit dem britischen Komponisten John Barry noch einen weiteren Altmeister in den Projektor. Sein Hauptthema „The Ipcress File“ charakterisiert den von Michael Caine gespielten James Bond der Arbeiterklasse „Ipcress“ (1965). DJ Premier sticht dieses Traumsequenz-gleiche Thema im Jahr 2003 ins Ohr, als er damit einen der letzten GangStarr-Songs „Peace of Mine“ (2003) produziert. Sein verstorbener Partner Guru spricht darüber noch einmal wahre Worte: „The mind is a terrible thing to waste, I show love cause it's a terrible thing to hate.“
Weitere Episoden der "FM4 Excursions":
- Episode 1: Jazz und HipHop
- Episode 2: Pop-Visionäre
- Episode 3: Sounds of Jamaica
- Episode 4: Disco-Fever
Ein weiteres Meisterwerk ermöglichte John Barry mit seinem Hauptthema zu Richard Lesters „Sommer of Love“-Drama „Petulia“ (1968). Das britische Kino-Orchester in Personalunion, Jason Swinscoe aka The Cinematic Orchestra sampelte dieses Stück für das großartige „All Things To All Men“ (2002), das er mit seiner Band aufnahm. Dass dieses brillante Stück es wirklich jedem recht macht, liegt auch an der vokalen Würze von Rapper Roots Manuva, der sich auf Gottsuche begibt. Ob er ihn gefunden hat, erfahren wir vielleicht, wenn wir bis zum Ende des Abspanns sitzen bleiben.
Den vollen Mix von Trishes könnt ihr bis kommenden Montag im FM4 Player anhören. Für einen musikalisch spannenden Filmabend empfehlen wir folgendes Programm:
- La Planete Sauvage
- Mission Impossible
- Blow Up
- Superfly
- For A Few Dollars More
- The Ipcress File
Hier die Playlist von "Excursions"- Episode 5:
Melvin Van Peebles | Come on Feet |
Quasimoto | Come On Feet |
Alain Goraguer | Le Bracelet |
Lalo Schifrin | The Danube Incident |
Portishead | Sour Times |
Lalo Shifrin | Jim on the move |
Wiseguys | Ooh La La |
Dee-Lite | Groove Is In The Heart |
Herbie Hancock | Bringing Down The Birds Original |
Ludacris | Two Miles An Hour |
Curtis Mayfield | Little Child Running Wild |
Massive Attack | Unfinished Sympathy |
J J Johnson | Parade Strut |
Wu-Tang Clan | Uzi (Pinky Ring) |
Method Man | Release Yo Delf (The Prodigy Remix) |
Ennio Morricone | Il Colpo |
Ennio Morricone | Sospesi Nel Cielo |
Cibo Matto | Sugar Water |
John Barry | The Ipcress File (Main Theme) |
Gang Starr | Peace of Mine |
John Barry | Petulia (Main Title) |
The Cinematic Orchestra ft. Roots Manuva | All Things To All Men |