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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

6. 8. 2016 - 17:30

Interessant ausgeleuchtetes Unbehagen

Krimispannung und Gesellschaftspanorama: Die HBO-Show "The Night Of". Solide.

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Seinem ungeschickten und unglücklichen Verhalten nach zu urteilen hat die Hauptfigur in der kürzlich angelaufenen, 8-teiligen HBO-Miniserie „The Night Of“ selbst noch nie im Leben einen Kriminalfilm oder einen Gerichtssaalsthriller gesehen.

Den Motor von „The Night Of“ liefern die weitgehend im Dunkeln liegenden Ereignisse einer verhängnisvollen – im wohl schlechtestmöglichen Sinne – und somit titelspendenden Nacht. Nach einer Verkettung ungünstiger Entscheidungen sieht sich ein New Yorker Student pakistanischer Abstammung im Zentrum eines Mordfalls: als Hauptverdächtiger bzw. einziger Verdächtiger und angesichts der Beweis- und Indizien-Lage mehr oder weniger schon von Anfang als wasserdicht Verurteilter.

The Night Of

HBO

"The Nigh Of": Parallel zur US-Ausstrahlung auf Sky On Demand, Sky Go und Sky Online zu sehen.

„The Night Of“ zeichnet Hauptfigur Nasir „Naz“ Khan (toll verschüchtert und großartig ärgerlich naiv: Riz Ahmed) als brav-biederen Musterschüler – als pflichtbewusster Sohn hilft er im Krimskrams-Shop seiner Eltern in Jackson Heights, Queens, aus, bemüht sich an der Uni als Tutor für die coolen Basketball-Kids, die von Büchern freilich nicht viel wissen mögen.

Eines Nachts jedoch will er doch ausnahmsweise die Party suchen, borgt sich ungefragt das Taxi seines Vaters und cruist Richtung Manhattan. Er lernt eine sich mysteriös gebende junge Frau kennen und, man ist sich sympathisch, landet in ihrer Wohnung. Es gibt Alkohol, Sex und Drogen – allesamt für gewöhnlich Fremdkörper für Naz – in rauen Mengen. Ein paar Stunden später erwacht Naz mit ordentlichem Filmriss und findet die neue Bekanntschaft brutal erstochen in ihrem Bett.

An der Oberfläche ist „The Night Of“ – vor allem in der 1. Episode – also eine Crime Show, in blassen Grau- und Blautönen, oft ist es schwarz, eine Crimeshow, die die üblichen Crime-Show-Fragen stellt: Was ist passiert? Wer ist der Mörder? Ist es vielleicht doch der sympathische Naz gewesen, im Rausch? Unter Hochspannung zieht sich Folge 1, langsam, ganz langsam, Naz macht Fehler um Fehler, scheint bald rettungslos verloren. Er verlässt den Tatort, wird wenige Minuten später wegen eines Verkehrsdelikts, noch resthigh und benebelt, von der Polizei – die noch nichts von dem Mord weiß – festgenommen.

The Night Of

HBO

Hier liegt eine große Stärke der ersten Folge von „The Night Of“: Wir ahnen und wissen, dass die Hauptfigur mit dem Mord in Verbindung gebracht werden wird, gleichzeitig spielt die Episode bis kurz vor ihrem Ende immer mit der hauchdünnen Möglichkeit, dass der tollpatschige, gutgläubige Antiheld eventuell doch bloß mit einem Strafzettel oder einer Verwarnung davonkommen könnte.

Während er von der Polizei – bloß wegen der Verkehrsbagatelle – aufs Revier transportiert wird, meint Naz zu einem Officer: „Is she dead?“ – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas von einem Mord oder einer „she“ zu ihm gesagt hat. Freilich trägt Naz auch die blutverschmierte Tatwaffe in seiner Jacke spazieren.

„The Night Of“ bemüht sich um die Herstellung von Realismus – in unangenehm neuer, zermürbender, schwieriger Situation, in Panik, unter Schock tut man wohl unvernünftige Dinge. Als Charakter in einem Film hätte man das sicher cleverer gelöst. Man kann Dutzende Cop-Shows gesehen und angesichts des guten, alten Good Cop/Bad Cop-Spielchens den Kopf geschüttelt haben – sollte man selbst einmal in eine ähnlich einzig vom Bildschirm bekannte missliche Lage geraten, dürfte alle Smartness eventuell schnell verfliegen. Und so lässt sich der gute Naz auch nur allzu leicht von einem scheinbar wohlmeinenden Polizisten – der den Fall in Wahrheit im Geiste schnell schon als geklärt abheftet – dazu ermuntern, mehr zu reden als er müsste und sollte.

„The Night Of“ basiert auf der englischen Show „Criminal Justice“ – ein Titel, der das Wesen der Serie besser fasst. Neben dem Thema der Lösung des zentralen Mordfalls erweitert nämlich „The Night Of“ rasch sein Spektrum: Die Serie beleuchtet das Arbeiten, oft auch das manipulative und nicht ganz lupenreine Arbeiten, im Polizeiapparat, beobachtet Abläufe und Hierarchien im Gefängnis, wirft einen genauen Blick auf das Justizsystem – vor allem anhand der Figur eines abgehalfterten, drittklassigen Anwalts (zerknirscht, opportunistisch, dabei doch halbliebenswert, von Krätze gebeutelt: John Torturro), der in dem prestigeträchtigen Mordfall seine große Chance sieht.

Rassismus, Religion, Familie, tendenziöse Berichterstattung durch die Medien – ähnlich wie „The Wire“ – dabei, dem Format geschuldet, in deutlich enger gestecktem Rahmen, mit weit weniger Personal und vordergründiger - versucht sich „The Night Of“ an einem vielschichtigen Panorama. Oft merkt man der Show den unbedingten Wunsch an, tiefgehendes Drama-Kunsthandwerk zu sein. Bisweilen bleibt das dann eben doch formelhaft und vorhersehbar. Über weite Stecken aber glückt das Verweben von solidem Suspense-Entertainment mit der Abbildung von Systemen, Communitys, Schauplätzen. Ein kleiner Kosmos, der finster funkelt.