Erstellt am: 6. 8. 2016 - 13:47 Uhr
Sex mit der Kammerzofe
Es ist eigentlich verwunderlich, dass die Geschichte der Kristina von Schweden nicht schon ein Dutzend Mal verfilmt wurde (wie etwa "Anna Karenina"), denn das Zerrspiel von weiblicher Macht und sexueller Identitätssuche birgt großes filmisches Potential. Vor allem für männliche Regisseure ("Anna Karenina" ist meines Wissens nach noch nie von einer Frau verfilmt worden).
"The Girl King" läuft seit 5. August in den österreichischen Kinos.
Aber nun zu Kristina von Schweden und Mika Kaurismäki. Letzterer ist der unberechenbare Bruder von Aki - ein zirkusartiges Road Movie hat er gedreht ("Honey Baby"), Dokus über Musik aus seiner Wahlheimat Brasilien, zuletzt ein Portrait der großen Miriam Makeba ("Mama Africa"). Jetzt also Kostümfilm. Nein, im Grunde alles andere als das. Kaurismäki bedient sich mehr der historischen Figur Kristina von Schweden, einer Frau, die als Kind zum Buben erzogen und zur Königin wurde, die mitverantwortlich war für das Ende des Dreißigjährigen Krieges, die sich einer Ehe widersetzt, schließlich vom Thron abgedankt hat und zum Katholizismus übergetreten ist. Kurz: eine Skandalnudel, eine der interessantesten der europäischen Geschichte.
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"The Girl King" beginnt mit der Krönung Kristinas zum König von Schweden an ihrem 18. Geburtstag. Mit nordischer Sparsamkeit hat sie von Beginn an wenig am Hut: 480 Wagenladungen Bücher lässt sie heranschaffen, "Nahrung für unser geliebtes Schweden" nennt sie das. Ihre Armee schickt sie auf einen gewaltigen Kunstraubzug nach Prag. Sie lädt den Philosophen René Descartes auf ihren Hof ein und lässt sich von ihm die Rätsel der Liebe und die Tiefen der Seele erklären. Auf der in Prag erbeuteten Teufelsbibel treibt sie es mit ihrer Kammerzofe (tatsächlich eine etwas platte Metapher).
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Bei Mika Kaurismäki findet eine Anbiederung an eine Epoche, in diesem Fall an das 17. Jahrhundert, nicht statt. Natürlich gibt es eine Burg und Kammern, es gibt Kerzenschein, Kelche und schwere Kleider, doch Kaurismäki geht schnoddrig ans Werk, jede Szene formt er zum Extrem, er hat keine Angst vor heilloser Übertreibung. Er konzentriert sich auf das psychisch-emotionale Innenleben seiner Protagonistin. Malin Buska als magisches Zentrum eines grandiosen Ensembles (dem auch Maria Gedeck und Hippolyte Girardot angehören) spielt die Königin als halsstarrige Jugendliche, als intellektuelles Wunderkind, als Vulkan.
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Ihre Figur nimmt mehr Anleihen bei medialen Figuren wie riot grrrls oder androgynen Aktivistinnen, als dass eine (zumindest filmisch) reale historische Figur kreiert wird. Es mag kurzfristig irritieren, dass die Sezierung dieses Innenlebens einer Exzentrikerin, eines wilden Geistes, einer einsamen Idealistin in historischem Kostüm daherkommen muss. Und streckenweise ist "The Girl King" recht statisch. Aber im Kern geht es darum, eine Person zu ergründen, deren Ideale, deren Vorstellung, ja, deren Lebensentwurf ihrer Zeit weit voraus waren. Das ist durchaus brilliant.