Erstellt am: 6. 8. 2016 - 11:42 Uhr
Rio 2016 ist eröffnet: Bunte Favelas, schräge Outfits
So wie nach jedem Gebet das "Amen" kommt, bricht vor allen olympischen Spielen medial eine Panik aus, dass nichts rechtzeitig fertig wird und alles im Chaos untergeht.
Bei Rio 2016 ist es diesmal aber auch wirklich haarscharf dran. Das Zika-Virus, ausgeraubte Teilnehmer/innen, Korruption, der ganz normale IOC Wahnsinn, Gelder, die man lieber für Beamtengehälter, Infrastruktur, etc hätte ausgeben können und ungewollte Indoor-Wasserfälle in den Behausungen der Sportler/innen sind nur ein paar der Low-Lights der Vorlaufzeit des Bewerbs. Aber genauso wie die IOC Funktionäre, ihre Sponsoren und Ehrengäste (und das US-Basketball-Team), werde ich, statt in den ranzigen Unterkünften des Olympischen Dorfs, mich mental in die komfortablen Gefilde eines Kreuzfahrtschiffs in der Bucht voller Überraschungen vor Rio De Janeiro begeben und mich im Verdrängen üben.
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Es gibt aber auch gute Nachrichten. Golf - damit noch ein paar mehr priviligierte Leute eine Goldmedallie erputten können - und Rugby Sevens wurden als Disziplinen aufgenommen und wenn wir etwas Glück haben, wird in vier Jahren in Tokio auch olympisch geskated. Besonders schön ist, dass in Rio zum ersten Mal das "Team Refugees" dabei ist. Das Team setzt sich aus Sportler/innen, die aus dem Südsudan, Äthiopien, der Dem. Rep. Kongo und Syrien geflohen sind, zusammen.
Nicht ganz so schön, aber trotzdem "nett" war die Eröffnungszeremonie. Alles fing unscheinbar mit einem fiebrigen Traum an, der - wenn ich's richtig verstanden habe - die Leiden des täglichen Kampfs mit widerspenstiger Bettwäsche thematisiert. Dann stürmte die Stadion-Adaption von Isabella Rossellinis "Green Porno" die Bühne, um schlagartig die Geschichte Brasiliens aufzurollen. Kolonialismus, Sklaverei, Klaus Kinski in Fitzcarraldo, alles war dabei und wurde inspiriert von jedem Musical überhaupt auf einem Siedler-von-Catan-Touchscreen-Brett inszeniert.
Favelas à la Disney Land
Ich hatte die Sklaven in Hamsterrädern noch nicht mal ganz verdaut, schon wurde aus dem Jahr 2012 aufgewärmtes Parkour serviert. Während die Parkouranten auf einer Projektion herumsprangen, merkte man langsam, dass wir uns nun in den Favelas befinden. Also nicht den Mord, Prostitution und Drogen-Favelas, sondern in so hübschen Disney Favelas.
Trotz der traurigen Tatsache, dass das wohl die einzige Kenntnisnahme der brasilianischen Armenviertel im Rahmen der Olympischen Spiele sein wird und befriedete Favelas eher Ausreißer als die Norm sind, war das musikalisch der beste Teil des Abends. Funk, Carol Conka und die 12-jährige MC Soffia brachten ein bisschen Leben in eine Zeremonie, die eher auf ältere Semester zugeschnitten war. Nämlich für Menschen, die die Siebziger tatsächlich erlebt haben und sich freuen durften, dass die Farbkombinationen von früher wieder zurück sind.
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Klimawandel
Es wurde anschließend noch mehr getanzt und dann schon wieder ernst, als ein Video zur Erderwärmung eingespielt wurde, bei dem Judi Dench uns ein Gedicht von Carlos Drummond de Andrade vortrug. Alles sehr arg, alles sehr traurig und alles noch trauriger, wenn man bedenkt, dass Brasilien bis vor Kurzem die Goldmedalie im Regenwald roden verdient hätte. Aber ok, wenn die ganze Welt zuschaut, dann darf man auch mal mit Steinen aus dem Greenhouse werfen.
Ich fand auch sehr interessant, dass US Twitter, das mit einer einstündigen Verspätung zwitscherte, weil NBC nicht live übertrug, sehr viele Eyerolls und Debbie-Downer-GIFs postete, als das Passt-doch-auf-die-Umwelt-auf-Video bei ihnen ausgestrahlt wurde. Hat Trump es tatsächlich geschafft, Amerikaner/innen einzureden, dass der Klimawandel nur eine Urban Legend sei?
Americans watching the climate change segment of #Rio2016 ceremony are reminded that in most of the world this is not controversial.
— Bill McKibben (@billmckibben) 6. August 2016
Irgedwann wurde es auch Zeit für Sport beziehungsweise Zeit für eine Disziplin, die ich, neben dem Skaten, 2020 auch gerne bei den Olympischen Spielen sehen würde. Der 100-Meter-Catwalk, den Gisele Bündchen bravourös absolvierte und damit jeder unnötig wirkenden Challenge bei GNTM oder ANTM Gültigkeit gab. Heidi Klum weiß schon wovon sie redet, wenn sie "ihre Mädels" stundenlang auf und ab marschieren lässt und mit "Ihr werdet das mal im Business brauchen!"-Rufen motiviert.
Gisele's still walking. She's out the stadium and heading into downtown Rio. She cannot be stopped. #OpeningCeremony
— Dave Turner (@mrdaveturner) 5. August 2016
Nachdem Gisele es vorgezeigt hatte, waren dann endlich auch die Sportler/innen mit dem Hereinspazieren dran. Dem portugisieschen Alphabet folgend, betrat eine nicht enden wollende Schar an Nationen das Stadion. Wusstet ihr, dass es britische und amerikanische Jungferninseln gibt? Ich nicht. Und wusstet ihr, dass es für die Briten wahrscheinlich ein bisschen awkward war, in einem Stadion voller Ex-"Liebschaften" zu stehen?
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Eine gefühlte Olympiade lang dümpelte der Delegationsfluss so vor sich hin. Die Athlet/innen wurden von überladenen Fahrrädern und quasi Blumenkindern, die Minibäumchen trugen, angeführt und von einem menschgewordenen Leitsystem und riesigen Käsereiben, in die die Olympioniken Keimlinge deponierten, flankiert.
Um an meinem zynischen Weltbild angesichts der freudigen Gesichter festhalten zu können, habe ich mich auf das Bewerten der Outfits, statt auf die glücklichen Menschen konzentriert.
Best Dressed
Norwegen, weil nicht so schlimm, wie der Rest.
Polen, weil so weit hinten im Alphabet, dass mein Sinn für Geschmack schon zusammengekauert in der Ecke lag, als sie rauskamen.
Bermuda, weil Bermuda Shorts.
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Worst Dressed
Mosambik wandelt "schneller, höher, stärker" zu "schlimmer, schircher, flanelliger" um.
Deutschland, nicht so schlimm, wie bei Sochi 2014, aber dank der Deutschen Beständigkeit immer noch sehr übel.
Aruba, genau das Outfitt würde mein Vater gerne bei jeder Grillerei tragen.
Liberia, eh cool, dass ihr euer Land liebt, aber sich selbst zu einem Fahnenmast umfunktionieren ist nur im neuen Salute Video cool.
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Außer Konkurenz
Die Fahnenträger aus Fidschi und Tonga und die Dirndl der österreichischen Delegation, die nie sein werden, da die Athletinnen sie verweigert haben.
BREAKING: Tonga has now has a shortage of oil. Please donate. #OpeningCeremony pic.twitter.com/8wsTkcl0cZ
— Graeme O'Neil (@GraemeONeil) 6. August 2016
Nachdem alle brav einmarschiert waren, Russland wenig und das Refugee-Team viel Applaus erntete, explodierten die Käsereiben mit den Keimlingen und wurden so zu einer BOKU-Variante der Olympischen Ringe. Danach wurde der derweil mal brasilianische Präsident Michel Temer ausgebuht und noch ewig lange Reden gehalten. Dabei legte der IOC-Präsident Thomas Bach allen auf der Welt nahe, weniger "selfish" zu sein. Er muss es ja wissen.
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Schließlich und endlich wurde dann auch die Fackel entzündet und ich konnte mit Sambarhythmus-Überbleibseln im Kopf schlafen gehen sowie dem Wissen, dass die Zeremonie zwar eher Low Budget war, das aber genau passt, weil Brasilien gerade eh nicht so viel zum Ausgeben hat und es trotzdem so gewirkt hat, als hätte jeder sehr viel Spaß gehabt. Und ab heute verfalle ich ganz und gar dem Olympia-Fieber (hoffentlich kein Symptom des Zika-Virus).