Erstellt am: 3. 8. 2016 - 15:53 Uhr
Don't lose your soul
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov und sein satirischer Blick auf das Zeitgeschehen - jeden Mittwoch in FM4 Connected und als Podcast.
"Die Leiden des jungen Todor" - Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Ich arbeite jetzt schon das dritte Jahr in Folge bei einem Reggae- und Dubfestival im Weinviertel. Zwischen den Weinreben, nahe der österreichisch-tschechischen Grenze feiern ausgelassen alle mitteleuropäische Rastaleute. Niemand streitet miteinander, niemand ist betrunken. Positive Vibrations everywhere!
Bevor ich mich auf dem Weg zum Festival machte, rief mich meine Mutter an. Sie klang sehr besorgt. Eigentlich rufen alle Mütter ihre erwachsenen Kinder an, wenn sie besonders besorgt sind. Und meine Mutter ist dauernd besorgt. Sie verfolgt die Nachrichten und weiß immer über alle Katastrophen dieser Welt Bescheid. Dieses Mal rief sie an, da ich mich auf dem Weg zu einem Musikfestival machte. Kurz davor hatte sich ein Selbstmordattentäter beim Eingang eines Musikfestivals in Bayern gesprengt. Ich beruhigte meine Mutter, dass Kamikaze-Attentäter nie zwei Mal hintereinander gleich handeln. Ich versicherte ihr, dass dieses Festival kamikazefrei sei.
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Trotzdem hatte sie mir einen Teil ihrer Besorgnis weitergegeben. Ich versuchte, sie aus meinen Gedanken wegzujagen, doch das Gesicht des Attentäters aus Deutschland erschien immer wieder in meinem Kopf. Ich hatte ein Interview mit ihm im bulgarischen Fernsehen gesehen. Dort erzählte er, wie er seine Frau und sein Kind im Krieg verloren hatte. Danach bedankte er sich heiß bei den bulgarischen Behörden dafür, dass sie ihn aufgenommen hatten. Danach, als er aus Deutschland nach Bulgarien abgeschoben werden sollte, habe er den Deutschen erzählt, er wurde von der bulgarischen Polizei gefoltert. Wann hat er die Wahrheit gesagt? Warum hat er zuerst Bulgarien gedankt und danach als Folterstaat dargestellt? Könnte seine Geschichte über seine getötete Familie eine kaltblütige dschihadistische Taktik gewesen sein? Oder vielleicht war er tatsächlich psychisch instabil? Sind denn nicht alle Attentäter verrückt?
Ich stelle mir innerlich all diese Fragen und ertappe mich, wie ich aufmerksam die Gesichter der Besucher des Rastafestivals betrachte. Ich suche nach potentiellen Attentätern. Der Kamikaze in Bayern kam nicht auf das Festivalgelände, da er kein Ticket hatte. Ich schaue mir das Ticket von jedem Rasta ganz aufmerksam an. So viele davon haben einen Rucksack. Ich erwarte eine Bombe in jedem davon. Die Paranoia meiner Mutter hat mich überwältigt.
Haben die Terroristen ihr Ziel erreicht? Unser gewohntes Leben in Angst zu versenken? Und die Angst isst langsam unsere Seelen auf? Die lächelnden Gesichter der Festivalbesucher schauen mich vertrauensvoll an. "Don´t gain the world and lose your soul", sagt Bob Marley.