Erstellt am: 6. 8. 2016 - 13:03 Uhr
Rio Reisers Bruder erinnert sich
Rio Reiser ist auf Wandfassaden geschrieben, am Ufer an der Spree gesprayed, prangt von Plakaten, wird von Sido gerappt, von der Band "Echt" gecovert, Theater spielen seine Stücke bzw. Musicals. Rio Reiser war Produzent, Liebender, Humanist und ist vor allem das Anarcho-Punk-Vorbild der deutschen Musik. Rios Werk lebt weiter. Er ist zeitlos.
Keine Macht für Niemand, auch nicht für den Tod
Rio Reiser starb am 20. August 1996 an Herz- und Kreislaufversagen im Beisein seines Lebensgefährten Jan. Bei der Trauerpredigt gelang es dem Theologen Alfred Buß geschickt auch dem ganzen Medienbetrieb eine Mitschuld an Rios Tod zu geben. "Mit Ton Steine Scherben wäre er physisch verhungert, und mit dem Eintritt in die kommerzielle Musikindustrie drohte ihm die psychische Entkräftung." So zumindest erzählt es Gerd Möbius, einer der Brüder von Rio Reiser, in seinem Buch "Halt dich an deiner Liebe fest".
Gerd Möbius beschreibt panoramaartig die Geschichte der Familie, der Ära der Möbius-Brüder, schreibt über Politik und Musikgeschichte. Diese Biografie ist ein poetisches und privates Tagesbuch der kulturellen Prozesse der jungen Bundesrepublik Deutschland - vom Rock'n'Roll bis zum Punk - das die Erlebnisse und Kämpfe der Familie Möbius, also Rio Reisers Familie, erzählt.
Der geborene Ralph Möbius musste seine Kindheit mit sehr vielen Umzügen bestreiten, die Familie war immer fremd in der Fremde. Gerd Möbius sagt in Interviews, dass sie dadurch auch einen so überaus starken Familienzusammenhalt hatten, sie waren Brüder und beste Freunde.
Top-Anekdote: Beim Tourneeauftakt der Ton Steine Scherben spielten sie auf dem ersten Open Air Deutschlands, dass zugleich auch das letzte Konzert von Jimi Hendrix war. Das Open Air geriet außer Kontrolle, die Veranstalter waren während des Festivals abgehauen. Das war das Ende des Festivals und der Anfang der Ton Steine Scherben. Nach ihrem Auftritt stand die Bühne nicht nur symbolisch in Flammen!
Daher sei seine Erzählung so wertvoll, viele Jahre Mut habe es ihn gekostet, die Tagebücher seines Bruders Rio zu lesen und dann auch in diesem Buch zu veröffentlichen. Detailliert beschreibt er die Anfänge, da die Eltern so oft umgezogen waren, das fehlende "Zu Hause-Gefühl" und das viele Scheitern und Kämpfen des Hoffmanns Comic Theaters. Mit dem selbst gegründeten, reisenden Theater wurde Rio Reiser groß. Die Phantasie, die das Theater und die Musik einem abverlangten, hatte Rio Reiser von Anfang bis Ende. Den Kampf mit der Industrie drum herum ebenso.
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Rio Reiser, der Humanist
Das Buch gibt vor allem Aufschlüsse darüber, was für ein zutiefst humanistisch gesinnter Mensch Rio Reiser war. Über sein sich auflehnendes und humoristisches Wandertheater, die fortwährende Zusammenarbeit mit Teenagern aus West- und Ostdeutschland und den unglaublich starken Zusammenhalt seiner Familie.
Wie ein Tagebuch
Wie ein Tagebuch erzählt Gerd Möbius die Anfänge und schweift oft in politische Geschichten ab, von kurzen, persönlichen Meinhof-Erlebnissen, bis hin zum Kampf mit der Polizei im ersten besetzten Haus. Oft verliert man sich an DDR-Schauplätzen, in Berliner Straßen vor dem Mauerfall und liest sich einmal durch die ganze Republik von 1930 bis ins Heute.
Rios Lebensthema: Die Liebe
Spätestens wenn Rio Reiser nach Berlin zieht und die Schöneberger und Kreuzberger Zeiten anbrechen, nimmt das Buch sehr persönliche Züge an.
Durch die zahlreichen privaten Dokumente und Auszüge eines Tagebuches, das Rio Reiser in den Jahren 1972 bis 1974 führte, kann man ihn sehr nah erleben. Diese veröffentlichen Einträge zeigen: die Liebe ist Rios Lebensthema. Beschreiben seine Zerrissenheit und zeigen, dass er all seine Liedtexte selbst durchkämpft hatte.
Nähe beschreibt dieses Buch am besten, eine Nähe in die Vergangenheit deutscher Politik und Musikgeschichte und die Nähe zwischen drei Brüdern, die diese Zeit maßgeblich veränderten und mitprägten. Aber vor allem Nähe zu Rio Reiser und seinem kurzen wilden Leben, die bitter nötig ist! Zack-Beng!