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Florian Wörgötter

Phonographien. In Wort und Bild.

2. 8. 2016 - 13:50

Disco-Fever: "Movin!"

"FM4 Excursions", Episode 4. Liner Notes: Der Disco-Sound der 1970er Jahre brachte HipHop und House zum Tanzen.

FM4 Excursions

Bunt gemixte Assoziationsketten, die Wurzeln aktueller Sounds und Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursions-Themen-Mixtapes gibt es in der Nacht von Montag auf Dienstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.

Soul, Funk und karibische Musik haben sich zur unaufhaltsamen Discowelle hochgeschaukelt, die zuerst die Clubs des New Yorker Undergrounds, dann den Mainstream-Sound der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre überschwemmt hat. Über Wasser hielt man sich nur noch in hohen Plateau-Sohlen und im Club, dem liebgewonnenen Refugium vor dem Alltag. Wo der DJ zum Hohepriester erstarkte und Tanzverrückte in Ekstase stürzte. Wo Homosexuelle sein konnten, wer sie sein wollen. Wo die Lust am Genuss grenzenlos war.

Der Disco-Sound veränderte auch die Musikindustrie: Plattenlabels produzierten Singles mit eigenen Club-Remixes. Rock-Radios stiegen auf Disco-Sound um. Produzenten wie Giorgio Moroder oder Nile Rodgers wurden zu Stars, während die großen Musiker-Genies in den Hintergrund traten und Session-Musiker ihren Zweck erfüllten. Den Höhepunkt erreichte Disco 1977, als John Travolta und der Sound der Bee Gees in "Saturday Night Fever" das Lebensgefühl von Disco auf die Leinwände dieser Welt projizierte.

Saturday Night Fever

Paramount Pictures

"Disco sucks?" Vielleicht für einen tanzfaulen Mob, der in der Disco Demolition Night 1979 öffentlich Schallplatten verbrannte. Nicht aber für eine endlos gut geschmierte Revival-Maschinerie. Trishes widmet daher dem regenbogenfarbenen Erbe zurecht eine weitere "FM4 Excursion".

"Street sounds swirling through my mind"

Den Tanzabend der Episode 4 eröffnet die Brass Construction mit ihrem Song "Movin´". Die Funk-Garde aus Brooklyn, NY, veröffentlichte 1976 mit ihrem Debüt ein Parade-Exemplar des frühen Discosounds: Getragene Bläser-Sätze, funky E-Basslines, zitternde Rhythmus-Gitarren, glitzernde Synths und ein alles erklärender Chorus wie dieser: "Got myself together, yeaheah. Gonna get higher. Oooh. And I'm movin' on".

Brass Construction

Brass Construction / United Artists

Rund zwanzig Jahre später verschmelzen US-Producer Kenny Dope und seine Bucketheads den Disco-Funk der Brass Construction zu clubtauglicher House-Music in "Got Myself Together" (1995).

Der Disco-Sound der Siebziger nahm großen Einfluss auf die Evolution elektronischer Tanzmusik, konkret auf den in den 1980er Jahren aufkommenden House. House-DJs arbeiteten damals ähnlich wie HipHop-Jockeys, sie legten die Club-Edits der Disco-Maxis auf und reihten ihre tanzbarsten Passagen aneinander. House-Produzenten entwickelten mit Drum-Sequenzern den Disco-Sound weiter, indem sie dominante Basslines hinzufügten und die Bassdrum im Four to the Floor-Rhythmus jedes einzelne Viertel stampfen lassen.

Kenny Dope

flickr.com/photos/coupdoreille / CC BY-SA 2.0

Kenny Dope aka Bucketheads CC BY-SA 2.0

Trishes legt mit "The Bomb" (1995) noch ein zweites Beispiel der Bucketheads nach, das mich unweigerlich an erste illegale Dorfdisco-Tanzabende und den süßen Geschmack des Alkopops Hooch erinnert. Das repetitive Sample "Street sounds swirling through my mind" entstammt der über die Jahre weich gewordenen Jazz-Rock-Band Chicago, die im Jahr 1979 - wie viele ihrer harten Kollegen - ebenfalls vom Disco-Zug überrollt wurden. Ihr Song "Street Player" verdeutlicht, wie orchestral eine Disco-Nummer aufgebaut sein kann: Die vier Teile des Songs dehnen sich über ganze 9 Minuten, ihre Übergänge fließen wie von einem Discjockey gemischt ineinander. Besonders auffällig ist ein minutenlanges Percussion-Break, dessen Schlagzeug, Trommel und Claps das Stück lang und breit schlagen. Die Bucketheads sampelten lediglich das Intro, trotzdem kostete sie eine Urheberrechtsklage von Chicago satte 30.000 Dollar an Vergütungszahlung.

The Message in the Bottle

Weitere Episoden der "FM4 Excursions":

HipHop verdankt seinen instrumentalen Grundriss gemeinhin den Breaks aus Soul und Funk. Ohne Disco-Platten wäre das HipHop-Fundament der frühen Achtziger jedoch um einiges langsamer errichtet worden. Gerade Pionierleistungen wie "Rapper's Delight" (1979) der Sugarhill Gang oder "The Breaks" (1980) von Kurtis Blow bauten auf Disco-Einflüssen. Wobei die Sugarhill Gang schon immer die HipHop-Geister schied, da die von der Managerin Sylvia Robinson gecasteten Rapper mit der brodelnden New Yorker Subkultur wenig am Hut hatten.

Grandmaster Flash & the Furious Five und ihr Ghetto-Manifest "The Message" (1982) verkörperten darauf den straßenpoetischen Gegenentwurf zu der aalglatten Party-Lyrik und dem schnellen Rhythmus der bereits außer Atem gekommenen Disco-Bewegung.

Oftmals schaffte es Disco erst über Umwege anderer Dancetracks in die Arrangements von HipHop-Tracks. Trishes liefert hierfür das Beispiel Kanye West, der für seinen Song "Stronger" (2007) Anleihen bei der Disco-Revival-Instanz Daft Punk nimmt. Die Franzosen entdeckten für ihr "Harder Better Faster Stronger" (2001) den kommerziell wenig erfolgreichen Amerikaner Edwin Birdsong und dessen "Cola Bottle Baby" aus dem Jahr 1979. Dem Funk/Disco-Organist wird von einem Mädchen mit unehrenhaften Absichten und einem Colaflascherl der Kopf verdreht. Daft Punk beschleunigen den Song und jagen ihre Turbo-Kapitalismus-Slogansammlung durch den Vocoder: "Work it harder, make it better. Do it faster, makes us stronger. More than ever, hour after. Our work is never over." Kanye West sampelt nicht Birdsongs Discosound, sondern die Computerstimmen von Daft Punk. Ihm ist es egal, wie spezifisch diese ihr Material mit Trademark-Effekten bearbeitet haben.

Gil Scott-Heron

Mikael Altemark / Wikimedia Commons / CC BY 2.0

Gil Scott-Heron CC BY 2.0

Verglichen mit Kanye West sampeln Dr. Dre´s R&B-Darling Anderson.Paak und Beatmaker Knxwledge geradezu traditionalistisch, beinahe erzkonservativ, wenn sie als NxWorries für ihre gemeinsame Single "Suede" (2015) zurück in die 1970er Jahre reisen. Der L.A. Producer Knxwledge, Beatmaker für Kendrick Lamars "To pimp a Butterfly" und Joey Bada$$´ "1999", sampelt den Großmeister des beseelten Spoken Words Gil Scott Heron und seine tanzbare Sozialkritik "The Bottle" (1975). In seinem größten Hit beschreibt der 2011 verstorbene R&B-Sänger über einem flottem karibischen Groove eine andere Art der Verführung, die von einer Flasche ausgeht: die ausweglose Flucht in den Suff und ihre grausamen Folgen.

From Funkytown to Flasche leer

Zum Abschluss zeigt Trishes anhand eines weiteren Sample-DNA-Stranges, wie musikalische Gene aus der Disco sich über vier Generationen weiterentwickeln können.

Generation 1: Die britischen Disco-Dudes Delegation veröffentlichen 1979 die Hymne "You and I" mit dem etwas schnulzigen Chorus: "You and I, stand with our heads held up high. Me and you, together whatever we do".

Generation 2: Ministry of Sound-Produzent Triple X erkennt 20 Jahre später das clubtaugliche Sample-Potenzial von "You and I" für "Feel the Same", füttert dessen instrumentales Rückgrat samt Bass und Gitarre mit einem Four-To-The-Floor-Stampfer und ergänzt den ebenfalls leicht verdaulichen Refrain: "We feel the same, this ain't no game your love is my guiding light that sees me right and don't you know."

Generation 3: Die britische Deep- und Techhouse-Produzentin Maya Jane Coles schnappt sich für "What They Say" (2010) die Vocals der Version von Triple X und streut die verhallten Schnipsel ("Don't you know") über ein abfallendes Orgel-Riff; die Bassdrum pumpt kühl jede Viertelnote.

Nicki Minaj

Christopher Macsurak / CC BY 2.0

Nicki Minaj CC BY 2.0

Generation 4: Keine vier Jahre später entschleunigt die US-Trini-Dada-Rapperin Nicki Minaj den House-Beat von Maya Jane Coles, schraubt lediglich Tempo sowie Tonhöhe runter und rappt mit den Weltstars Drake und Lil Wayne über "Truffle Butter" (2014).

Was bei diesem Stillen Post-Spiel rauskommt: Die warmen Regenbogenfarben verblassen, das funkelnde Glitzern erstickt. Übrig bleiben synthetische Kühle, dumpfes Resampling, ausgesaugte Substanz. Dennoch: Du kriegst den Groove nicht aus Disco und Disco nicht aus dem Groove.

Den vollen Mix von Trishes könnt ihr bis kommenden Montag im FM4 Player anhören. Nächste Woche gehen wir ins Kino und hören Soundtracks.

Hier die Playlist von "Excursions"- Episode 4:

Brass Construction Movin'
Bucketheads Got Myself Together
Bucketheads The Bomb
Chicago Street Player
Edwin Birdsong Cola Bottle Baby
Daft Punk Harder Better Faster Stronger
Kanye West Stronger
Busta Rhymes Touch It (Remix)
Daft Punk Technologic
Chrome Sparks Marijuana
Idris Muhammad Could Heaven Ever Be Like This
Jamie XX ft. Romy Loud Places (Altered Tapes Rework)
NxWorries Suede
Gil Scott-Heron The Bottle
Anthony White I Can't Turn You Loose
Flume Holdin On (Kaytranada Edit)
Kaytranada Track Uno
Delegation I Figure I'm Out of Your Life
Delegation You And I
Triple X Feel The Same
Maya Jane Coles What They Say
Nicki Minaj ft. Drake & Lil Wayne Truffle Butter’