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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

31. 7. 2016 - 19:00

Hi-Tech-Abverkauf in Großbritannien hat begonnen

Mit ARM geht das Filet der britischen Hi-Tech-Industrie an den japanischen Konzern Softbank. Damit könnte der Startschuss für eine Art von Sommerschlussverkauf gefallen sein.

Einen Monat nach dem Brexit-Votum steht das Filetstück der britischen Hi-Tech-Industrie zum Verkauf. Der neben Intel weltweit wichtigste Hersteller für Prozessorchips ARM ("Advanced RISC Machines") wird an das japanische Unternehmen Softbank gehen, der Kaufpreis liegt bei 32 Milliarden Dollar (29 Mrd. Euro). Während Intel seit den 90er Jahren den Markt für PC-Prozessoren dominiert, führt ARM bei Chips, die in Smartphones und Tablets verbaut werden.

Das ARM-Hauptquartier soll zwar in England bleiben und die Belegschaft dort soll laut Softbank sogar verdoppelt werden. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob dieser Status auch nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU beibehalten wird. Die Übernahme könnte der Startschuss für einen Sommerschlussverkauf zukunftsträchtiger Firmen aus dem IT-Bereich in Großbritannien gewesen sein, denn ARM-Prozessoren wird nach Eroberung des Handy- und Tabletmarkts auch eine tragende Rolle im "Internet der Dinge" vorausgesagt.

Soft Bank Logo

Public domain via Wikimedia Commons

Start-Ups aus Großbritannien und den USA, die London als Sprungbrett für den europäischen Markt nutzen wollten, müssen ihre Businesspläne nun ändern und auch ihre Investoren davon überzeugen. Berlin, Frankfurt, Paris und andere Großstädte auf dem Kontinent werben bereits aggressiv um diese Firmen, die nun einen Standort im EU-Raum brauchen, um in Europa zu expandieren. Viele dieser Firmen schaffen zwar den Durchbruch nicht, wenn sich jedoch Erfolg einstellte, dann fließen Millionen. So wurde das britische Start-Up "Magic Pony Technology" im Mai für 150 Millionen Dollar verkauft. Die Algorithmen dieser Firma trainieren neutrale Netze mit dem Ziel, Videos schlechter Qualität entscheidend zu verbessern.

Stromverbrauch als oberstes Kriterium

Der große Unterschied zwischen den Prozessorherstellern ARM und Intel liegt im Stromverbrauch der Hauptprozessoren (CPUs). Während Intel-Chips Computer ab einer bestimmmten Größe und Leistungsfähigkeit unangefochten dominieren, regieren CPUs von ARM die tragbaren Geräte, vom billigsten Smartphone bis zu den iPhones. ARM entwirft dabei nur die Chipdesigns, die Herstellung besorgen dann Chipfabriken in Fernost, die von Apple, Samsung und anderen Handyfirmen beauftragt werden.

Und während für Intel keine großartigen Wachsstumssprünge in näherer Zukunft abzusehen sind - PC- wie Servermarkt wachsen zwar seit Jahren, aber sehr gemächlich - trifft dies sehr wohl auf ARM zu. Im "Internet der Dinge" (IoT) ist der Stromverbrauch noch weitaus kritischer als bei Smartphones, die Prozessorleistung tritt dabei ziemlich in den Hintergrund. An der Peripherie aller ferngesteuerten Prozesse befinden sich Sensoren, die in Abständen kurze Daten-Bursts an einen kleinen Rechner senden, der diese dann verarbeitet, visualisiert und Steuerungsbefehle von einem entsprechenden Programm - oder einer Handy-App - umsetzt. Den IoT-Markt regieren also ganz andere technische Vorgaben als die Handy- oder Netzwerkwelt.

ARM

An der Peripherie der IoT-Installationen liefern stromsparende Schmalspurprotokolle wie CoAP Sensordaten an einen Aggregator, der hier "Proxy" heißt. Typischerweise ist das ein ebenfalls kleindiminsioniertes Gerät wie ein Raspberry PI. Dahinter, auf der linken Seite der Grafik geht es mit dem gebräuchlichen HTTP-Protokoll weiter.

Finanzierung von Start-Ups bricht ein

Der Abwärtstrend, der die gesamte britische Wirtschaft erfasst hat, zeigt sich im Sektor Informationstechnologie besonders deutlich, vor allem was die Finanzierung neuer Unternehmen betrifft. Vom ersten auf das zweite Halbjahr 2016 sind die Investitionen in britische Technologie-Start-Ups um 40 Prozent gefallen. Finanzierungsrunden wurden verschoben oder vorläufig ausgesetzt. Die nach dem Brexit-Votum für das zweite Halbjahr 2016 vereinbarten Deals liegen deutlich unter einer Milliarde Dollar, das berichtet die New Yorker Analystenfirma CB Insights in ihrem neuesten "Pulse Report".

Diese neuen Firmen, von denen viele im IT-Bereich tätig sind und daher nicht nur Großbritannien, sondern ganz Europa als ihr Geschäftsfeld sehen, werden bereits aktiv von europäischen Großstädten umworben, am auffälligsten agieren dabei Frankfurt und Berlin. Von der Papierform hat Frankfurt gute Chancen, Firmen aus dem Bereich Finanzdienstleistungen anzuziehen, ist die Stadt doch Zentrum der deutschen Bankenlandschaft. Auch bei den Hauptsitzen von Firmen ist Frankfurt führend, fast ein Drittel der Einwohner ist für ausländische Firmen oder Institutionen tätig, deshalb verfügt die Stadt auch über entsprechend viele internationale Schulen. Die angestrebte Fusion zwischen der Londoner Stock Exchange und der Deutschen Börse spricht ebenfalls dafür, dass Frankfurt bald mit Zuzug von Firmen aus dem britischen Bankensektor rechnen kann.

Berlin, Hauptstadt deutscher Start-Ups

So werben Frankfurt und die "Start-Up-Metropole" Berlin um neue Firmen.

Berlin wiederum wirbt mit vergleichsweise niedrigen Mietpreisen und mit seinem gemischten Flair als Sitz der deutschen Bundesregierung und heimliche Hauptstadt der deutschen Boheme um britische Firmen. Zudem sind in Berlin auffällige viele deutsche Start-Ups niedergelassen, laut Ernst und Young wurden 2014 um die zwei Milliarden Euro in etwa hundert neue Firmen investiert, die in Berlin niedergelassen sind. Insgesamt soll es in Berlin bereits 2.500 Start-Ups geben , wie Frankfurt wirbt auch Berlin mit einer eigene Website um ausländische Unternehmen, die nach einem Standort im EU-Raum suchen.

Berlin bezeichnet sich dabei selbst als "Start-Up-Metropole", führt aber die Firmensitze von Unternehmen wie Axel Springer, Deutsche Telekom, Nokia oder Universal Music an. Der Grund dafür ist, dass die Namen der dort angesiedelten Start-Ups noch zu wenig bekannt sind, denn außer Zalando bzw. Sound Cloud sind Firmen wie 6wunderkinder, Onefootball oder Wooga wohl nur Brancheninsidern geläufig.

Austritt aus dem Erasmus-Programm

Nach dem "Brexit"-Votum wird auch die weitere Teilnahme britischer Universitäten am EU-weiten Programm "Erasmus" zur Forschungsförderung in Frage gestellt. Diese Stipendien ermöglichen jährlich zigtausenden Studenten, an Universitäten im EU-Raum zu studieren, die auf jeweils verschiedene Forschungsgebiete spezialisiert sind. Aus diesem unbestritten sehr erfolgreichen Programm wird Großbritannien ausscheiden, wenn nicht neue Vereinbarungen auf bilataler Ebene getroffen werden.

Erasmus Logo

European Union

Das wird jedenfalls eine Weile dauern, bis dahin können keine Erasmus-Stipendeien an britische Studenten weitergegeben werden. Umgekehrt steht eine ganze Reihe britischer Universitäten plötzlich vor einem Finanzproblem. Von etwa 120.000 Studenten aus dem Ausland studieren mehr als 27.000 unter dem Erasmus-Programm im Vereinigten Königreich, eine ganze Reihe von Universitäten bezieht über die Studiengebühren also EU-Gelder, die nun wegfallen werden.

Höhere Kosten für Datenzentren

Seit der vierzehnten Runde zum transatlantischen Freihandelsabkommen, ob und wieweit Großbritannien nach dem "Brexit"-Votum noch daran beteiligt ist.

Die Akquisition von ARM durch das japanische Konglomerat zu diesem Zeitpunkt hat auch mit dem Kursverlust des britischen Pfund zu tun, das mittlerweile 15 Prozent gegenüber dem Dollar eingebüßt hat. Dieser Kursverlust verteuert natürlich auch alle Produkte aus den USA. HP hatte in der letzten Juliwoche bereits angekündigt, dass sich die Server und andere Endgeräte um etwa zehn Prozent verteuern würden. Firmen wie der Weltmarktführer bei Routern, Cisco, rechnen überhaupt in Dollar ab, der Kursverfall des Pfunds wird daher laufend eingepreist. Für die Betreiber britischer Datenzentren sind dies schlechte Nachrichten, da sich der Preisanstieg für das komplette Interieur der Datenzentren auf Großbritannien beschränkt.

Die große Wette von Masayoshi Son

Softbank wettet mit dieser größten Akquisition in der Geschichte des Konzerns auf einen ähnlichen Erfolg von ARM im "Dinge-Internet" wie davor bei den Smartphones. Masayoshi Son, der Eigentümer von Softbank hat seinen lange geplanten Rückzug aus dem Unternehmen eigens für diese Übernahme hinausgeschoben. Erfolgsgarantien dafür gibts es freilich nicht. Alleine im ersten Quartal 2016 wurden zwar beindruckende 4,1 Milliarden ARM-Chips abgesetzt, die nicht für den Verbau in Smartphones gedacht sind. Handychips waren aber im selben Zeitraum für etwa zwei Drittel des Umsatzes der Firma verantwortlich.

Softbank Gründer Masayoshi Son

APA/AFP/KAZUHIRO NOGI

Softbank-Gründer Masayoshi Son 2016 in Tokio

Hier wird der Paradigmenwechsel sichtbar, der sich bereits bei Handyprozessoren abgezeichnet hatte: Neue Set-Ups stellen die Prozessorbauer vor völlig neue und andere Herausforderungen und es ist nicht gesagt, dass ein bisheriger Marktführer auch im neuen Marktsegment reüssieren wird. So gelang es etwa Intel nie, seinen beispiellosen Erfolg bei CPUs für PCs und Server auf dem Markt für Smartphones zu wiederholen. Ebensowenig ist nun ausgemacht, ob ARM seinen Erfolg mit schlanken stromsparenden Prozessoren bei Smartphones im Internet der Dinge wiederholen kann.