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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 7. 2016 - 17:29

Plus/Minus 8

Ekstatisch jauchzen, kaputt in Embryostellung unter der Decke weinen: "Porcelain", die Memoiren des New Yorker Allrounders Moby.

An einer Stelle im dritten Viertel seines Buches "Porcelain" führt der New Yorker Producer, DJ, Gesamtkünstler Moby recht eindringlich und glaubhaft seine Faszination für das gute, alte Rimbaud-Bonmot "Ich ist ein anderer" aus. Er habe es sich auf einem Zettel gar als eine Art Leitspruch in seiner Wohnung an einen Spiegel geklebt, so Autor Moby.

Er stellt den Symbolcharakter dieser Zeile deutlich aus. In "Porcelain" sind das Hadern mit und das Zweifeln an der eigenen Identität, die unergründlichen Wege des Universums und die eigene kleine, seltsame Existenz darin zentrale Themen. Und auch kaum zufällig trägt dieses kürzlich im Piper Verlag in deutscher Übersetzung erschienene Buch den Titel, den es trägt: "Porcelain" ist ein Song von Moby, das Porzellan hat bekanntlich die Eigenschaften, die es hat.

Der Untertitel von "Porcelain" lautet im englischen Original "A Memoir" und so versichert der Autor auch im Nachwort, dass sich - abgesehen von ein paar Namensänderungen - alles im Buch Beschriebene tatsächlich so zugetragen hat - trotzdem ist das alles hier doch viel mehr als die schnöde, öde, übliche Künstlerbiografie.

Moby biegt seinen Tonfall ins Romanhafte, hangelt sich zwar klarerweise an Stationen seines Lebens entlang, verzichtet dabei aber oft auf allzu genaue Daten- und Faktenhuberei und bohrt lieber tief im eigenen Gemüt.

"Eines Tages würde ich aus dieser toten Vorstadt herauskommen. Ich würde in eine Stadt kommen und dort in einen Schoß zurückkriechen - einen Disco-Schoß, der von futuristischer Musik erfüllt war. Ich stellte mir vor, wie ich eine Diskothek, auf dem Dach des höchsten Gebäudes der Welt betrete und Tausende Menschen sehe, die mich lächelnd willkommen heißen."

Ganz klar ist "Porcelain" von Moby zu weiten Teilen ein Liebesbrief an die Musik, an die Kunst, an die Leidenschaft. Das Buch zeichnet Mobys Weg aus ärmsten Verhältnissen und baufälligen Schrottkabäuschen nach, aus dem tristen Kleinststädtchen Darien, Connecticut in die Wunderwelt New York. Den Weg hinter die DJ-Pulte und auf die Konzertbühnen dieser Welt.

Moby Porcelain

Piper

"Porcelain" von Moby ist bei Piper erschienen. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer

Gleichzeitig entwirft "Porcelain" ein Porträt von Mobys Stadt New York Ende der Achtziger, Anfang bis Mitte der Neunziger: Moby findet hier den Ranz, den Dreck, die Euphorie und das gute, wilde Leben. Eine gefährliche, wilde Stadt, die die Party und den Hedonismus lebt. Kaputt und sexy.

"Porcelain" ist von der Zerrissenheit geprägt: Moby, das einstige Straight-Edge- und Punkrock-Kid, Veganer und Christ, der dann doch zum Partyanimal wird, inklusive massiver Mengen von Alkohol und One-Night-Stands. Recht schnell hat Moby als junger Mann mit gutgelaunten Rave-Tracks wie "Go" und "Feeling so Real" Anfang der Neunziger mehr als bloße Achtungserfolge, umrundet den Globus, während ihm zuhause in New York seine geliebte Clubszene entgleitet, die Musik düsterer wird und die Drogen härter.

"Ich verspürte Lust, nach Hause zu gehen, meine Instrumente einzuschalten und etwas Minimalistisches und Düsteres mit viel Hall zu komponieren, das ein DJ für einen Keller voller zugedröhnter Raver auflegen konnte. Aber als ich zurück in meine Wohnung kam, wartete mein Karottensaft auf mich und leuchtete in der Sonne."

Moby schenkt sich in "Porcelain" nichts. Er zeigt sich verletzlich, überheblich, selbstherrlich, nennt die Übergänge anderer DJs "stümperhaft". Er verzweifelt an der eigenen Unzulänglichkeit, spricht von der eigenen "arroganten Abstinenz" und windet sich am Boden zerstört. Dann wieder kommen das Glück und die Ekstase.

Moby vermischt Privates, Familien- und Liebesgeschichten, eitle Sexabenteuer, ewige, ewige Beziehungs-Dramen mit dem Glamour und den Abgründen des Musikerdaseins. Das ist mal tief rührend, mal komisch, mal schwer melancholisch. Moby erwähnt nicht bloß stolz Rimbaud, nicht bloß Sartre, Camus, Descartes und Sylvia Plath, sondern auch Coltrane, Joy Division und Public Enemy. Diese Liste endet nie. So aber ist das Leben eines Besessenen und eines Lovers.

Das alles ist mit knapp 500 Seiten Umfang ein bisschen viel, meist aber ist es ein einziges, großes Glühen. Und funktioniert - abgesehen von einigen misslungenen Popjargon-Versuchen wie "hacke voll" und "pickepacke" - auch in der deutschen Übertragung von Jürgen Neubauer überraschend gut.

"Porcelain" endet kurz vor Ende der Neunzigerjahre. Kurz bevor Moby nach einigen Niederschlägen - vor allem dem zermürbenden Totalreinfall seines Punk-Albums "Animal Rights" aus dem Jahr 1996 - knapp davor ist, seine Musikkarriere zu beenden. Und bevor ihn dann schließlich doch noch sein Smash-Album "Play" zum endgültigen Superstar und eine Zeit lang zum Vertoner jedes dritten Werbespots machen wird. Warum fühlt sich mein Herz so gut an?

"Für das Arrangement wählte ich eine ganz einfache Struktur - Intro, Strophe, Refrain, Strophe, kurzes Outro. Dann war der Song wirklich fertig. Ich wusste nicht, ob er gut war oder ob er jemandem gefallen würde. Aber wie ich so abgeschieden in meinem kleinen Studio saß, geschützt vor Kälte und Regen, schien er mir rund und wunderschön."