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Florian Wörgötter

Phonographien. In Wort und Bild.

26. 7. 2016 - 15:21

Sounds of Jamaica: "Welcome to Jamrock!"

"FM4 Excursions", Episode 3. Liner Notes: Wie Jamaika dem HipHop und Clubmusik seinen rot-gelb-grünen Groove eingehaucht hat.

Ohne Jamaika und seinem musikalischen Erbe würden der Popmusik heute wichtige Farben fehlen. Das musikkulturelle Wechselspiel zwischen Afrika, den USA und Großbritannien entfachte in der Karibik das Feuer des Reggae, des Dub, des Dancehall. Besonders HipHop-Heads dürfen sich beim jungen jamaikanischen Kool DJHerc bedanken, der in den frühen Siebziger Jahren den rhythmischen Sprechgesang der Radio- und Soundsystem-Deejays ("Toasting") von Jamaika nach New York brachte. Seine Blockparties in der Bronx markieren eine der vielen Geburtsstunden von HipHop.

In Episode 3 der "FM4-Excursions" verfolgt Trishes, wie weitere DNA-Spuren von der Insel, die kaum größer ist als Oberösterreich, weltweit die Gene von HipHop und elektronischer Tanzmusik manipuliert haben. Also schönen Urlaub, wir fliegen nach Jamaika!

"Out in the Streets they call it Merther!"

Dieser Satz stammt vom jamaikanischen Sänger Ini Kamoze aus seinem Song "World a Music", der das einstündige Set von Trishes eröffnet. Ini Kamoze wurde der breiten Öffentlichkeit Mitte der Neunziger bekannt, als sein "Here comes the Hotstepper" sogar in unseren Charts vorne mitmischte. Eine Karriere früher veröffentlichte er 1984 den Song "World a Music", dessen Bassline beweist, dass drei aufsteigende Töne für einen satten Groove schon reichen. Die Basis seines Songs bildetet der "World Jam Riddim" der jamaikanischen Rhythmus-Schleudern Sly and Robbie, die insgesamt auf mehr als 200.000 Platten vertreten sein sollen.

Damian Marley

CC BY-SA 2.0 by elizabeth cacho via Wikicommons

Damian Marley. CC BY-SA 2.0 by elizabeth cacho via Wikicommons.

Im Jahr 2004 erlebte "World a Music" seine Auferstehung im furiosen "Welcome To Jamrock", eingeleitet vom ersten rappenden Bob Marley-Spross Damian Marley. Der Dreadlock verkörpert eine Generation an Rastafaris, die bereits mit HipHop aufgewachsen ist. Sein Remake sampelt den Riddim und die schlagkräftige Zeile "Out in the Streets they call it Merther", was nicht für Mord steht, sondern für das Inhalieren heimischer Gewürzmischungen. Sein Song ist eine Tourismus-Werbung für das "echte" Jamaika, das sogar hartgesottene Reggae-Fans meiden sollten. Das Jamaika jenseits von All-Inclusive-Luxus und eingezäunten Strandcocktail-Bars. Wo Rastafaris bei weitem nicht so high sind wie Armut und Kriminalitätsrate. Wo politische Gewalt nach dem Zufallsprinzip Einheimische umbringt.

Ironischerweise schippert seit drei Jahren ein Reggae-Kreuzfahrtschiff namens "Welcome to Jamrock" über die Gewässer der Karibik. Fans erleben fünf Tage lang ihr persönliches Traumschiff mit Soundsystems und Reggae-Acts, die Kapitän Damian "Jr. Gong" Marley auch heuer wieder am Line-Up anführt.

Trishes legt noch eine weitere Variante von "World a Music" nach: 2011 haben die britischen Producer Africa Hightech den Bass von Ini Kamoze zerstückelt und das Vocal-Sample in einem hypnotischen Loop gefangen genommen. Der Trip von "Out in the Streets" rast mit 160 BPM von der Insel in den Club und explodiert in einem Jungle-Drum-Feuerwerk.

"Bam Bam"

Die Musikgeschichte von Reggae ist auch eine der Reproduktion des eigenen Erbes, daher stützen sich viele Instrumentals auf das Fundament bereits bestehender "Riddims" und kehren im Laufe der Geschichte als "Versions" wieder - mit neuen Interpreten, neuem Gesang, neuen Effekten, anderen Tonlagen. Einer der berühmtesten und eingängigsten Reggae-Grooves stammt von Wilson Riley: der "Stalag Riddim". Es soll 293 offizielle Interpretationen seines Riddims geben.

Der Chef des legendären jamaikanischen Plattenlabels Techniques entdeckte in den Achtzigern den weiblichen Deejay Sista Nancy, die erste Frau, die als Dancehall-Deejay beim weltweit größten Reggae-Festival Reggae Sunsplash auftreten durfte. Für ihren größten Hit "Bam Bam" (1982) hat Urvater Riley ein weiteres Mal seinen "Stalag Riddim" ausgegraben. Der simple, aber unfassbar mitreißende Bassgroove, das hupende Saxofon und der ohne Patois-Kenntnisse verständliche Chorus "Bam bam, bam bam dilla", der auf Toots & The Maytals (1966) zurückgeht, machten ihn zu einem der meist gesampelten Reggae-Songs.

Trishes führt in seinem Mix zwei Beispiele seiner Wiederkehr in der HipHop-History an: 1991 montiert US-Sample-Meister Large Professor den "Stalag Riddim" samt Chorus für Main Source im Song "Just Hangin Out", dessen Rap´n´Reggae-Fusion am produktionstechnischen Meilenstein "Breaking Atoms" erschienen ist. 2016 adaptiert Kanye West den Groove samt Vocals für sein kürzlich erschienenes "Famous" mit Pop-Stern Rihanna, die im Video barbusig neben einem nackten Donald Trump im Bett liegt.

Offenbar hat Yeezus Gefallen am "Stalag Riddim" gefunden, daher sampelt er auch die Version des Jamaikaners Super Beagle "Dust A Sound Boy" und dessen Acapella-Intro für seine Swagger-Hymne "Mercy" featuring Big Sean, Pusha T und 2 Chainz, die Trishes gleich hinten nach schießt.

"I´m gonna send him to Outer Space"

Der jamaikanische Reggae-Sänger Max Romeo schrieb mit seinem "Chase The Devil" eine der eindrucksvollsten Geister-Austreibungen der Musikgeschichte. Die Botschaft: Die inneren Dämonen zu vertreiben könnte so einfach sein, wenn jeder nur ein "Iron Shirt" im Kleiderschrank hängen hätte. Der Klassiker vom Album "War inna Babylon" (1976) entstammt der genial-wahnsinnigen Produktionsschmiede von Lee "Scratch" Perry, der mit seiner verrückten Effekt-Verspieltheit maßgeblich an der Evolution des Dub beteiligt war. Der Legende nach nahm Perry "Chase the Devil" in nur zwanzig Minuten auf, da der Exzentriker für jede Situation den geeigneten Sound parat hatte.

Max Romeo

CC BY-SA 3.0 DE by Emha via Wikicommons

Max Romeo. CC BY-SA 3.0 DE by Emha via Wikicommons

1992 holen The Prodigy auf ihrem Space-Trip in die Zukunft den Geist von Max Romeo aus dem All zurück. Die Briten synthetisieren dessen entspannte Roots-Reggae-Passage "I'm gonna send him to Outer Space, to find another Race" mit fiebrigen Breakbeats, schrillen Synths und der hochgepitchten Zeile "I'll take your Brain to another Dimension, pay close Attention" von Ultramagnetic MC Kool Keith aus dem Song "Critical Beatdown" (1988). The Prodigys wildes Ding aus einer anderen Welt nahm damals vorweg, was später als Bigbeat die Tanzflächen der Clubs belasten wird.

Weitere Episoden der "FM4 Excursions":
Episode 1: Jazz und HipHop
Episode 2: Pop-Visionäre

Gute zehn Jahre später heißt es noch einmal "Lucifer, Son of the Morning, I´m gonna chase you out of Earth", als Rap-Grande Jay-Z die Stimme von Max Romeo über Beats von Kanye West spuken lässt. Jay-Z ringt auf "Lucifer" in harten Worten mit dem inneren Teufel, der blutige Rache fordert an den Mördern seines Kumpanen Notorious B.I.G. Der New Yorker-Raplegende fehlte leider ein "Iron Shirt", als er 1997 in einem Drive-By-Shooting hinterhältig erschossen wurde.

Der gesamte Mix von Trishes kann sieben Tage lang hier nachgehört werden. Unten findet ihr die Playlist. Und nächste Woche geht's ab in die Disco!

Ini Kamoze World A Music
Damien Marley Welcome To Jamrock
Africa Hitech Out in the Streets + VIP
Barrington Levy Under Mi Sensi (X Project Remix)
Barrington Levy Under Mi Sensi
Jay-Z Lucifer
Max Romeo Chase The Devil
The Prodigy Out Of Space
Kanye West ft. Big Sean, Pusha T & 2 Chainz Mercy
Super Beagle Dust A Sound Boy
Main Source Just Hanging Out
Sister Nancy Bam Bam
Kanye West ft. Rihanna & Swizz Beatz Famous
Nina Simone Baltimore
Brother Ali Freedom Ain't Free
The Tamlins Baltimore
Welton Irie Hotter Reggae Music
The Avalanches ft. Danny Brown & MF Doom Frankie Sinatra
Wilmouth Houdini Bobby Sox Idol
Protoje Sandra Foster
Willie Lindo Midnight