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Nina Hochrainer

Sweet Indie Music, Kleinode globaler Alltagskultur, nachhaltiges Existieren. And New York.

25. 7. 2016 - 19:07

Die Magie des Lakeside

Das Acoustic Lakeside Festival ist das Kokomo in Kärnten.

Letztes Jahr war Voodoo, heuer Magie im Spiel beim vielleicht entspanntesten und entzückendsten Festival Österreichs. Doch einen Besuch am Acoustic Lakeside muss man sich erst verdienen. Indem man sich zeitgerecht um den Ticket-Erwerb kümmert, da das strikt limitierte Kartenkontingent meist innerhalb weniger Tage ausverkauft ist. Oder indem man – wie im Fall von Kollegen Christian Stipkovits und mir – eine sechsstündige Anreise aus Wien bewältigt. Kurz erzählt als Reizwortgeschichte: Auto – Getriebeschaden – Pannenstreifen – Abgeschleppt von Polizei – Raststation Loipersdorf – Warten auf ÖAMTC – Ersatzauto – Glück im Unglück.

Wir können jedenfalls nur vermuten, dass Granada mit ihrem aktuellen Dialekt-Sommerhit „Pina Colada“ beim Auftritt im Zelt die Karibikparty eingeläutet haben – denn die entsprechende Stimmung empfängt uns bei der späten Ankunft am Eröffnungsabend.

Während draußen das obligatorische alljährliche Gewitter über die Bühne geht, wird im Partyzelt gefeiert als ob es keine zwei weiteren Festivaltage gäbe.

We want to be loved by you

Die gibt es aber, und die Open Air Bühne präsentiert sich tags darauf bei strahlendem Sonnenschein und Hochsommertemperaturen. Fuzzman und seine Singing Rebels haben Heimvorteil und servieren Indie-L’amourhatscher und subversive Schlager. „Ich brauche eure Liebe nicht!“, schmettert der Mann des Fuzzes, Herwig Zamernik, dem im Gras liegenden Publikum entgegen. Dabei haben wir doch so viel Liebe zu geben!

Die werden wir heute schon noch los, zum Beispiel an Enno Bunger und seine Backingband, die unaufgeregteren Annenmaykantereit wenn man so will. Oder an Seinabo Sey, schwedische Künstlerin mit Wurzeln in Gambia, die mit mächtiger R’n‘B-Stimme, Gospel-Chören, afrikanischen Rhythmen und Funk-Elementen das tiefenentspannte Publikum zum Shaken anregt. Viel Liebe gibt’s auch für die beiden irischen Brüder Harry und Alfie, ehemals Straßenmusiker, die unter ihrem Nachnamen Hudson Taylor mitreißende Akustik-Folksongs performen und sich mit ihrer Gay Rights-Hymne „Don't tell me … I can't be who i am“ zu Publikumslieblingen hochkatapultieren.

Die Sonne ist mittlerweile untergegangen über dem Sonnegger See, die ist Luft noch immer warm und Dan Mangan liefert den Soundtrack zur perfekten Sommermelancholie. Nicht oft hat man die Chance, musikalische Darbietungen derart pur und runtergestrippt auf ihre Essenz zu erleben: Dan Mangan braucht nur seine Stimme und zwei Akustikgitarren um einen magischen Bund mit dem Publikum erzeugen. „They want to be loved by you“ heißt die Zeile im Abschlusssong „Robots“, die von allen jubelnd mitgesungen wird. Schon wieder so viel love.

The best of times in the worst of times

Calexico sind die Headliner des Abends und hängen schon seit dem frühen Nachmittag gutgelaunt und mit Trucker Caps am Kopf am Gelände herum. Bei einem Gespräch in der Wiese erklärt mir Frontmann Joey Burns: „One of the reasons why we play music and why we need music is because it brings us out of our dark days, our closedmindedness. It reminds us of the importance of coming together and celebrating life, especially now with what’s been going on in the news. It’s been so heavy.“ Nur wenige Stunden später verbreiten sich die Nachrichten über den Amoklauf in München. Was kann man diesem Wahnsinn im Rahmen eines Festivals entgegensetzen außer die vereinende Kraft der Musik?

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Joey denkt über das anstehende Set nach: „For sure there are always a lot of acoustic instruments on our stage, but of course we have amplification. But if we can totally unplug, that would be cool as well. It can be as acoustic as we want to make it“. Von wegen. Vom Moment an in dem Calexico die Bühne betreten, werden alle verfügbaren Instrumente samt Verstärker eingesetzt. Auch wenn es spannend gewesen wäre, ein rein akustisches Set zu erleben, beschweren darf man sich über das Dargebrachte wirklich nicht: Mariachi-Trompeten, Stücke in spanischer Sprache, die gedanklichen Weiten der Sonorawüste, erhabene Western-Melancholie. Calexico in all ihrer Fulminanz. Buenas noches.

Nochmal auf die Liebe

Der Samstag Nachmittag am Acoustic Lakeside gestaltet sich so sonnig und entspannt wie der Vortag, mit Auftritten von A Life A Song A Cigarette und Avec – zwei heimische Bands die ihre Stücke in teils reduzierten Versionen perfekt arrangiert für den Rahmen darzubieten wissen. Für Avec geht mit diesem Auftritt auch ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung: „Ich war vor drei Jahren privat hier und es hat mich komplett geflashed. Ich dachte mir, hier will ich irgendwann mal spielen und heute ist der Tag gekommen“, lacht die junge Songschreiberin aus Vöcklabruck.

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We are Scientists schalten bei ihrem Auftritt einen Gang höher und spielen voll verstärkt. Die New Yorker Indierocker sind alte Hasen im Festivalzirkus. Sie machen keine Faxen, klingen tight und kontrolliert, spielen nur leider ihr Set etwas allzu routiniert ab. Da haben sich die nachfolgenden Acts hörbar mehr Gedanken gemacht.

Die allseits mit großer Vorfreude erwarteten Steaming Satellites planen für den Herbst eine Akustiktour und könnten somit nicht besser geeignet sein für einen Auftritt am Lakeside. Dass die Salzburger im Sitzen performen tut der Euphorie keinen Abbruch, im Gegenteil: Steaming Satellites sind in Höchstform und liefern alle Hits, samt einiger Coverversionen wie etwa David Bowies „Ziggy Stardust“. Sänger Max ist der Zeremonienmeister des Abends, der das textsichere Publikum durch die Mitsingrefrains dirigiert, teils völlig ohne eigenes gesangliches Zutun. „Auf die Liebe!“ lautet der Schlachtruf. Schon wieder. Und zurecht. Sogar Jon Bon Jovi schaut zwischendurch in Form eines großformatigen Plakats in der Menge vorbei. Er hat ja doch Geschmack.

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Kurzer Abstecher zum Lagerfeuer. Wo die Acts im Vorjahr noch in der Wiese gespielt haben, steht jetzt eine Minibühne mit Palmendeko. Die Karibik lässt wieder grüßen und Ian Fisher, der in Wien ansässige Indie-Countrymusiker aus Missouri beweist herausragende Entertainer-Qualitäten beim Einstudieren seiner Singalong-Parts mit dem Publikum. Das macht Spaß.

Fell in love with the lakeside … all over again

Etwas gar schräg mutet dann zu Beginn Adam Greens Set an. Der New Yorker Antifolker, Autor, Regisseur, Maler und Lebenskünstler traut sich wagemutig nur mit einer Gitarre und einem, ihm in glorioser Exzentrik nichts nachstehenden, französischen Kompagnon auf die Bühne um das Abschlusskonzert des Festivals zu bestreiten. „It‘s honestly challenging to face you guys with just a guitar. This shit is truly acoustic“, lacht er nach einigen Nummern. Aber das liebenswerte Lakeside-Publikum hat sowieso die magische Fähigkeit, sich auf alles einzulassen.

Adam Green

Christian Stipkovits

Gewandet als postmoderner Aladdin aus seinem aktuellen Film, trägt Adam seine schlicht absurden bis erfrischend empörenden Texte vor, in denen es viel um Genitalien geht. Das Ganze unter erschwerten Bedingungen, denn seine rechte Hand ist durch einen Verband eingeschränkt: „I broke my hand at a dick signing contest in Glasgow against a machine. 100 dicks in ten minutes! I broke my hand at the 98th dick but I beat the machine!“. Nice job, Adam.

Jessica Simpson fehlt genauso wenig wie einige Songs der legendären Moldy Peaches, die er seit einiger Zeit wieder spielt. Dann erfindet Adam noch einen neuen Gitarrenspiel-Stil, indem er mit der rechten Hand das Mikro hält und reinsingt während er gleichzeitig zupft. Beim letzten Stück, dem gefälligen „Dance with me“, zieht er kurz vor Ende den Stecker aus dem Amp und lässt die Crowd alleine weitersingen. Gute 15 Minuten. Bis er nochmal auftaucht, sich das Hemd aufreißt und noch eine Weile Requests aus der Menge erfüllt. Jon Bon Jovi schaut auch nochmal vorbei und am Ende haben alle Bauchweh vor Lachen.

Das Acoustic Lakeside hat es geschafft, sich selbst zu toppen - dank liebevoller Gestaltung, super entspannter Stimmung, einem unglaublich enthusiastischen, aufmerksamen Publikum und etwas Magie. Und wer nicht dran glaubt, der soll mal selber hinfahren.