Erstellt am: 24. 7. 2016 - 13:14 Uhr
Hippie-Hop und Straßenrap
Während Tag 1 beim HipHop Open Austria mit den Beginnern, Blumentopf, Fünf Sterne Deluxe ein konsistentes Line-Up bot, stellt Tag 2 die Glaubensfrage: Easy going bei Fiva, Yasmo und De La Soul? Oder die harte Tour bei Sido, Nazar, Haftbefehl & Xatar?
Patrick Wally
Seit seiner Existenz besteht Hip Hop aus sich anziehenden Gegensätzen, die einander erst ermöglichen. Also nutzen wir die Chance eines Festivals und prüfen die eigenen Vorurteile im Konzertbesuch. Daher: Alles geht!
Yasmo
Die Wienerin Yasmin Hafedh aka Yasmo eröffnet den Nachmittag bei 28 Grad Celsius. Ihr Konzert ist eine Liebeserklärung an die Musik, die größer ist als Hip Hop. Ihre Band, die Klangkantine, bringt zum Brunch den Jazz auf die Bühne und zeigt in den Freiräumen für ihre Soli, was hier in der Ottakringer Arena vor mehreren Wochen beim neuen Jazz Fest Wiesen los hätte sein können - wäre es nicht abgesagt worden.
Wiesen Village
Am Nachmittag erklären die Waxolutionists im Workshop die hohe Kunst des Auflegens. DJ Zuzee zeigt, wie man die Platten kratzt und den Fader krault. Auf eine Frage einer älteren Dame, ob die Nadel beim Scratchen nicht kaputt geht: „An Maler bricht a der Pinsel, wenn er zu wild malt.“
Ein Turntable-Set weiter erklärt DJ Buzz, dass die Suche des Perfect Beat über viele Wege führen kann. Sample-Digger wie er träumen noch immer von der Wunderwaffe, die eine Stimme von einem Instrumental klanglich vollkommen isolieren kann.
Texta
Über dem Pult von Dj Dan prangt überlebensgroß das Cover des neuen Albums "Nichts dagegen, aber", auf dem Texta die österreichische Identität in Reimen und in Samples ergründen. Der von Karrikaturist Josef Haderer gezeichnete Herr Karl-Verschnitt blickt fragend unter seiner Sonnenbrille herab, während Texta ihre ureigeinste Form des österreichischen Hip Hop zelebrieren: Im zeitlosen Vokabelunterricht von „Sprachbarrieren“; in der Linzer Umsetzung eines Trap-Turnups, wie er auch Scooterfans gefallen könnte; im Anheizen auf Sex im Zelt und dem Abservieren danach mit kaltem Kaffee. Österreich jedenfalls wäre ohne die Hip-Hop-Klassik von Texta um einige Dichter und Denker ärmer.
Nazar
Ebenfalls in den Kanon heimischer Beat-Lyrik eingehen wird Nazar, allerdings eher im Verzeichnis Straßenslang. Heute am HipHop Open hat der gebürtige Iraner mehrfach das Bedürfnis, sich erklären zu müssen. Offenbar, weil er weiß, dass im Publikum nicht nur Fans seines „Fucker-Lifestyles“ sitzen. Er nennt diese Kategorie Festivalbesucher liebevoll „Opfer“. Tatsächlich zieht sich das Publikum zurück, das mag an den chauvinistischen Inhalten liegen - oder an der mit seiner Musik aggressiver werdenden Sonne.
Nazar betont, er will Emotionen vermitteln, wenn er vom Getto-Lifestyle in Wien Favoriten rappt, einer Welt aus getönten Scheiben und freien Nasengängen. Er will auch was ändern - und vermutlich - einfach nur spielen - mit seiner Kalaschnikow.
Wie auch immer, Nazar bringt den Gedanken von Hip Hop in einer seiner ausgedehnten Zwischenreden so auf den Punkt: „Jeder Rassist, der Hip Hop hört, ob amerikanischen oder deutschsprachigen, ist ein Hurensohn.“
Knock Out Rap Battle
Zu jedem ordentlichen Hip-Hop-Jam gehört auch ein gepflegtes Freestyle-Battle. Dieses Jahr übernimmt die Rolle des lyrischen Freistilringens der Knockout Rap Battle Hosted by Dreistil. Im von Average moderierten Finale stehen sich die Deutschen MCs Tobi Nice und Muro gegenüber. Sie argumentieren in improvisierter Reimform, wessen Eltern Geschwister sind, wessen Mami mehr Berufserfahrung im horizontalen Gewerbe hat, wer wem der bessere Schwiegervater wäre. Das neue Familienoberhaupt heißt: Tobi Nice. Er gewinnt Ruhm, Ehre und einen 300-Euro Gutschein.
Coup
Die beiden Berufsgangster Haftbefehl und Xatar hauen sich als Coup für ein Album auf ein Packel. Für die Promo-Phase des frisch erscheinenden „Der Holland Job“ sind die Deutschen erst einmal untergetaucht - inklusive Webseite offline und Facebook-Suizid.
Ihre Rückkehr auf der Waldbühne Wiesen inszenieren sie weniger spektakulär als die Beginner die ihre gestern. Ihr Auftritt gleicht einem schnell geschnittenen Blockbuster-Movie, dessen Kugelhagel und Verfolgungsjagden diesen Nachmittag noch in Zeitlupe ablaufen. Leider misslingt es der Tonmischung – wie bei den meisten Konzerten beim HipHop Open Austria – der Stimme ein klar verständliches, differenziertes Klangbild zu geben. Die einzige gültige Entschuldigung dafür: der Jugendschutz.
Denn Xatar hat vielen Gangster-Rappern eines voraus: Er war tatsächlich schon im Knast. Der bärtige Bulle mit kurdischen Wurzeln verkörpert den Obergangster-Charakter wie aus dem Comic-Heft: goldene Kette, goldene Uhr, goldene Sonnenbrille, goldener Buddha-Bauch. Daher dürfte er es gewohnt sein, dass ihn die Schwechater Polizei vorm türkischen Friseur fragt, was er denn hier eigentlich so mache. Keine Panik, antwortet Xatar, er wartet nur auf seinen Kumpel Hafti, der sich gerade Haare und Bart machen lässt. Trotzdem: Diese Anschuldigung hat Spuren hinterlassen: „Die Schwechater Polizei hat mich unterbewusst unterdrückt,“ sagt er seinem jungen Publikum - und spielt "Copkiller". Der Polizist sah mit Xatar wohl den ersten echten Gangster auf den Straßen von Schwechat – und mit ihm vielleicht seinen großen Coup.
Fiva
Goldfisch Fiva holt ihr Publikum raus aus dem Haifischbecken - und geht mit ihm einen Sommer lang baden. Die reizende Rapperin und Wortkünstlerin verzaubert ihr Publikum vom ersten Moment an. Man spürt, dass sie auf der Bühne groß geworden ist - als Rapperin, als Slampoetin, als TV- und Radiomoderatorin. Ihr direkter und sympathischer Duktus macht es einem leicht, ihren Texten zu folgen. Ihre Leidenschaft bei der Sache ist mitreißend, das Publikum folgt ihr grinsend. Sie ist die Botin, von der man sich die schlechte Nachricht überbracht wünscht.
In ihren Texten und Freestyle-Einlagen findet die Münchnerin klare Worte: Der Amoklauf in ihrer Heimatstadt lasse Fiva nicht kalt, doch wir alle dürfen nicht in die Angstfalle tappen. Sie bekennt sich klar zur Alten Schule des Hip Hop und seinem Wertesystem, das sie in Sachen Machismo klug hinterfragt. Und ihr gelingt es, auf einem Hip-Hop-Event kitschfrei Liebeslieder zu singen, die auch Männer schunkeln lassen. Einer davon mit seiner kleinen Tochter auf den Schultern, die übergroße Ohrenschützer trägt - sie bekommt von Fiva eine besondere Zeile gewidmet.
Dass bei Fivas erst zweitem Live-Konzert beinahe „Alles leuchtet“, verdankt sie der untergehenden Sonne, der auf Nachtmodus schaltenden Bühnenbeleuchtung - und den Herren Wallenstein, die mit Bass, Schlagzeug und E-Piano zu den Cuts von DJ Radrums organische Farben ins elektronische Spektrum des Nachmittags werfen.
De La Soul
De La Soul, die Legenden aus Long Island, New York, zeigten Hip Hop neue Wege, als sie den in den späten Achtzigern aufkommenden Gangster-Rap unterwanderten - mit Flower Power, knallbunten Kleidern, musikalischer Offenheit und humorvoller Lyrik. Sie waren wohl die ersten Schwarzen, die den Country-Evergreen „Sweet Home Alabama“ gesampelt haben. Mit ihren Kollegen „Jungle Brothers“ und „A Tribe Called Quest“ verbreiteten sie als Native Tongues diesen positiven Spirit. Daher fahren „Can I kick it?“ und „Electric Relexation“ noch eine Spur mehr ins Herz, wenn DJ Maseo sie zur Einstimmung auflegt.
Die alten Herren aus dem Daisy Age kamen nach Wiesen mit offenbar einem einzigen Auftrag: Party! Das spürten als erstes die Fotografen im Fotograben, als der gemütliche Rapper Plug Won den ersten Song „The Grind Date“ gleich drei mal abbrach, damit diese anstatt zu knipsen mitfeiern. Das lernte auch das Publikum, das beim Song „Ego Trippin´" in zwei Fronten geteilt wurde, die sich über den Abend hinweg um den Lautstärkepegel batteln und Old-School-Party-Arm-Aerobic tanzen, bis es auch der letzte kapiert hat.
Es ist mächtig schade, dass die Mikrofone ein weiteres Mal zu leise waren, die Bässe intransparent und man teilweise die Beats schon kennen musste, um ihre Samples zu erahnen. Gerade der charismatische Dave aka Trugoy ging vollkommen unter. Man muss hier schon die Frage stellen, warum innerhalb einer einstündigen Show es niemand schafft, die ungleiche Pegelgrenzen ordentlich anzupassen. Dennoch, die Klassiker sprechen für sich: "Ring, Ring, Ring", "Oodles of O´s“, "Stakes is high", "A Roller Skating Jam Named "Saturdays", "Me, myself and I". Das Finale krönt das Feature mit den Gorillaz "Feel Good Inc". Natürlich hätten De La Soul noch tonnenweise eigenes Material im Gepäck, das die Show mindestens ebenso würdig abschließen hätte können - oder einen weiteren Festivaltag füllen. Ihr Positive Vibe aber bleibt unvergessen.
Sido
Mit dem Headlinerslot für Sido haben sich die Veranstalter Arcadia Live für einen Straßenrap entschieden, der mittlerweile im Schlagerhimmel angekommen zu sein scheint. Sidos Auftritt spiegelt seinen musikalischen Werdegang wieder, als er als Elternschreck mit seiner Sekte den aufgeklärten Mittelstandsrap der Neunziger auf die schiefe Bahn brachte („Schlechtes Vorbild“, „Mein Block“) hin zum Popstar, der seine explizite Lyrik goldenen Schallplatten und Fernsehauftritten opfert („Ich heb ab“).
Der Berliner, sein Kollege in Crime Bushido und das Label Aggro Berlin waren in den frühen Nullerjahren hauptverantwortlich dafür, dass deutschsprachiger Gangster-Rap den Mainstream gekapert hat. Heute wird klar, warum: Sido beherrscht die große Erzählung des Jungen von der Straße, seinen Herausforderungen zwischen Drogenticken und Bullenbashing. Er beschreibt in klarer, direkter Sprache (und bester Tonqualität!), dass ein Leben im Viertel ausweglos sei, sein Leben aus großen Fehlern besteht. Doch ein Gewinner kann es schaffen - so wie er, aus eigener Kraft dem Getto zu entkommen - so wie er. Jeder kann mit Arbeit und Disziplin erfolgreich sein - so wie er. Plötzlich steht Sido als predigender Pädagoge auf der Bühne, der sein junges Publikum sogar auffordert, bessere Menschen zu sein. Was für eine (un)heile Welt.
Ganz ohne Dissen geht es bei Sido dann doch nicht: Die Acts vor ihm bekommen Seitenhiebe, weil sie mit Band auftreten; das Publikum auf der V.I.P.-Tribüne bezeichnet er als „Schnösel“ (Berechtigt: Was hat eine V.I.P.-Tribüne auf einem Hip-Hop-Jam verloren?); seine Backpfeifen gegen Dominik Heinzl hinter den Kulissen von „Die große Chance“ sieht er als das Karriere-Ende des Society-Reporters, der seit dem offenbar von der Bildfläche verschwunden sei. Und das Publikum kürt dann noch seinen „Arschficksong“ zum Rausschmeißer der Mainstage beim 3. HipHop Open Austria. Die Euphorie ist groß, Mädchen zücken reihenweise die Handycams.
Das HipHop Open hat sich Mühe gegeben, an zwei Tagen zwei Bühnen zu bespielen. An beiden Tagen haben sich jeweils 4.500 Besucher im gemütlichen Areal der Ottakringer Arena Wiesen eingefunden, das rund 8.000 Gäste fassen könnte. Das sind mehr als beim Out Of The Woods-Festival (knapp 4.000 Besucher/ein Tag). Zum Nu Forms-Festival erschienen 6.000 Besucher (vier Tage). Der Veranstalter Arcadia Live kann also zufrieden sein. Wenn er wissen möchte, wie er das Publikum noch glücklicher machen kann: Hört besser auf die Stimmen eurer Bands auf der Mainstage, dann versteht das Publikum alles, was sie zu sagen haben. Fazit: Hip Hop ist auch 2016 nicht klein zu kriegen.