Erstellt am: 23. 7. 2016 - 12:26 Uhr
Hip Hop auf Sommerfrische
Hip Hop packt seine sieben Sachen: Rap, DJaying, Graffiti, Breakdance, Beatboxing, Soulfood, sein Wohlstandsbäuchlein - und zieht wie jeder betagte Bobo mit ihrer Familie aufs Land. Nachdem das Vienna Sunsplash von der Waldbühne in Wiesen heuer in die Arena Wien übersiedelte, wandert nun das HipHop Open Austria in seinem dritten Jahr von der Arena Wien in die Ottakringer Arena Wiesen ins Burgenland. An zwei Tagen weht auf zwei Bühnen ein frischer Wind dicke Beats und vorwiegend deutschsprachige Rhymes durch das 1,2 Hektar große Festivalgelände im Erdbeerland.
Patrick Wally
Die Headliner des ersten Tages - Beginner, Blumentopf, Fünf Sterne Deluxe - haben bereits im Jahr 2000 das erste HipHop Open in Deutschland eingeweiht. Das Mutterfestival ging letztes Jahr in Rente, sein Nachfolger führt die Tradition in Österreich fort und setzt ein klares Zeichen für Beständigkeit in einer entwurzelten Rapwelt, in der heutzutage alles erlaubt ist.
Die Spiele eröffnen die Wiener Stadtkinder Huhnmensch & Böser Wolf („aber das macht nichts“) und lesen dem Publikum die Zukunft in Fritösen und prognostizieren einen heißen und fettigen Abend. Chefket überwindet technische Probleme mit Charme, besänftigt mit einem B-Boy and B-Girls-Cypher und einem Set mit beinahe jeder erdenklichen Spielart von Hip Hop. Beim Beatbox-Workshop im Wiesen Village zeigt Fii seinem Chor, wie nahe Hubert von Goiserns "Koa Hiatamadl" und Rammsteins "Du hast" doch beieinander liegen können, wenn der Beat stimmt.
Antilopen Gang
FM4 Player
Die Antilopen Gang im Interview am HipHop Open
„Deutschrap muss sterben, damit wir leben können“, erklärt die Antilopen Gang eingangs - und schwingt gleich den goldenen Presslufthammer. Der Drummer prügelt das selbstgeschweißte Schlagzeug aus rostiger Mülltonne, Blecheimern und Ölfässern mit Anarcho-A. Das Publikum kuschelt im ersten Moshpit des Abends miteinander und geht in der Wall of Death dann entschlossen aufeinander los. Die Antilopen Gang aus Aachen und Düsseldorf begreifen ihr Konzert auch als Bildungsveranstaltung und erklären neben dem "Antilopengeldwäschecallcenterenkeltrick", dass die Flüchtlingskrise eigentlich eine Populisten- und Arschlöcherkrise sei. Fazit: "Deutschrap muss leben, damit wir sterben können."
Genetikk
Anonymität hat ihren Preis. Im Falle von Genetikk heißt das: Schwitzen, bis die Wolle trieft. Cro hat sich für die Pandamaske entschieden, Sido einst für den silbernen Totenschädel, MF Doom für die Gladiatorenmaske - und die Herren aus Saarbrücken für die Skelett-Variante des kleinen Ich bin Ich. Nichtsdestotrotz verlängern sie die Woche um den achten Tag - mit knochenharten Beats, verrauchter Lyrik und einem rostigen BMW auf der Bühne, der offenbar aus dem Alteisen-Schlagzeug von der Antilopen Gang zusammengeschweißt worden ist. Die Lehre: Ohne Schweiß kein Preis.
Oddisee & Good Compny
Ein Stau war schuld, dass Oddisee und seiner Band The Good Compny erst am Abend eingetroffen sind. Doch das Warten lohnte sich: Ihr Gig beweist heute am besten, wie lebendig das Zusammenspiel von Rap und Instrumenten sein kann, wenn beides von Meistern ihres Faches beherrscht wird.
Der MC aus Washington versprüht Charme und Intelligenz, Höflichkeit und Belesenheit. Außerdem fließt er wie The Pharcyde zu ihren besten Zeiten, hat was zu sagen wie Kendrick Lamar, was er mit Soul, Jazz und Funk verschmilzt wie The Roots. Sein Konzert auf der Second Stage erhitzt den Dukatenchips-Tunnel zur Tropfsteinhöhle.
Fünf Sterne Deluxe
Die "Champagneros" aus Hamburg sind zurück - mit eigener Bar auf der Bühne, drei Hockern, zwei Laptops und Schnapsjockey DJ Coolmann, der Tobi Tobsen und das Bo die Beats und Cocktails serviert. Auf einer Menütafel steht die komplette Setlist: ein Poutpourri aus „Sillium“, „Neo.Now“ und noch älteren Tagen von Tobi und das Bo. Außerdem: Cola Korn und Frikadelle. Also: alles beim Alten.
In den Neunzigern etablierten die Fünf Sterne Deluxe gemeinsam mit den Beginnern, Eins Zwo, Ferris, Doppelkopf Hamburg als Hip-Hop-Standort Nummer 1 in Deutschland. Ihr haarsträubender Humor und neckisches Storytelling lockerte die ernsthafte Hip-Hop-Szene auf, für ihren Schabernack steckten sie aber auch Kritik ein.
Nach all der Jahre müssen die Rapper Tobi und das Bo erst ein bisschen vorglühen, bis sie heiß laufen - ebenso das Publikum. Doch als sie fragen „Willst Du mit mir gehen“, lässt die Nostalgie das Herz der Fans schneller schlagen. Es folgen Partyheuler wie „Nordish by Nature“, „Könnt Ihr ma Bidde“, „Die Leude“, „Wir sind die Besten“. Sie bringen Konfettiregen, zerschlagen sich Flaschen über dem eigenen Kopf - und fragen die VIP-Tribüne, ob sie eh genug zum Bechern haben. Die oben am Balkon schunkeln verhalten im Stehen mit, als dürften sie nicht mit den anderen vor der Bühne mittanzen, wenn es heißt: „Türlich, Türlich“.
Blumentopf
Blumentopf-Fans markieren sich dieses Jahr in ihrem Tagebuch mit einem schwarzen Rand: Der Topf löst sich 2016 auf, wie einst Take That in ihrem ersten Hit „6 Meter 90“. Doch Topf-Fans springen nicht aus dem Fenster, sondern brav im Takt bei einem der letzten Konzerte ihrer Boy-Band. Auch wenn deren Mikrofone schon mal besser klangen, ihre Beats kommen frisch dank Live-Instrumentierung ihrer Band.
Seit 1992 haben die vier Rapper aus München mit ihrem DJ Sepalot auf über 600 Konzerten höchst professionelles Entertainment geboten. Als intelligente Anti-These zum harten Straßenrap. Immer in bester Reimform. Dem geistreichen Wortwitz verpflichtet. Ohne sich zu ernst zu nehmen. Und: als furiose Freestyle-Fanatics erster Güte.
Auch heute lockern die Jungs aus dem Reihenhaus die Routine ihrer vielfältigen Hits („So la la“, „Party Safari“, „Eins A“) mit spontanen Reim-Impros: Wunder zwingt sein österreichisches Publikum, endlich mehr als fünfzig Prozent zu geben. Da ortet Schu Wahlbetrug und fordert die Sechzig. Dank der Briefwahl bringt Wunder sie über 70 Prozent. Sieg für Roger: Er hat die „absolute Mehrheit“ - er will, dass jeder „mehr schreit“!
Das Konzert endet tatsächlich mit der Frage: „How deep is your love?“. Es waren „6 Meter 90“ - und 23 Jahre Leidenschaft. Doch die Fans wissen: Direkt neben dem Hibiskus wachsen bald Blumen mit blühenden Schallplatten, die niemals verwelken werden.
Beginner
Die einen treten ab, die anderen kehren zurück: Dreizehn Jahre gingen die Beginner öffentlich getrennte Wege: Jan Delay wurde Popstar, Denyo Singer-Songwriter und Moderator. Gemeinsam haben sie den Hip-Hop-Hype der späten Neunziger angeführt, den Mainstream herrlich subversiv unterwandert. Unvergessen „ihr“ Auftritt bei der Bravo-Pop-Sause The Dome, zu dem sie Kumpels in Fuchsmasken zum Playback-Singen entsandten. Heute stehen beide Füchse im Original auf der Bühne in Wiesen - und zementieren ihren Status als Könner.
Das Nebelhorn ihrer Comeback-Single „Ahnma“ versammelt die letzten Besucher vor der Mainstage, wo das Containerschiff vom Hamburger Hafen mit großem Herz und paukenden Trompeten einläuft. „Wir packen Hamburg wieder auf die Karte“, heißt es im Refrain von Street-Soldier Gzuz, dessen Einberufung hartgesottene Fans etwas irritierte. Live funkt der Song ordentlich. Auch dank der Background-Sängerinnnen, die Gentlemans Part übernehmen.
Nachdem sich die Tontechnik eingependelt hat, geht es los mit einem Feuerwerk an Deutschrap-Klassikern, von denen die Alben „Bambule“ und „Blast Action Heroes“ eine Menge zu bieten haben: „Hammerhart“, „Gustav Gans“, „Das Boot“, „Fäule“, „Füchse“, „Liebeslied“, „Rock On“, „Mikro in der Hand“.
Die Beginner präsentieren auch Neues vom Album „Advanced Chemistry“, das am 26.8. erscheinen wird. In Songs wie „Schelle“ fischen sie in neuen Gefilden, lassen entschleunigten Roots-Reggae und upturnenden Trap aufeinander prallen, was live wunderbar aufgeht.
Besonders eindrucksvoll gestaltet sich ihr Bühnenbild: ein mehrstufiges Podest aus LED-Screens, die jeden Song unterschiedlich untermalen - mit hypnotischen Spiralen, Schriftzügen wie „Dope Beats, Dope Rhymes“ oder enigmatischen Füchsen. Am Kopf der Pyramide thront DJ Mad, dessen Cuts auf die Visuals abgestimmt zu sein scheinen. Die Arena in Wiesen tanzt so fest, dass ein Regen kommen muss. Abkühlung.
Die Beginner beenden einen Deutschrap-Revival-Abend, der beweist, dass die neue Generation stark genug ist, Hip Hop weiterzuentwickeln, die alte Generation aber noch immer erstaunlich Schritt halten kann.