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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 7. 2016 - 13:58

The daily Blumenau. Friday Edition, 22-07-16.

Das Monster im Inneren. Warum rechtsextreme Morde für uns nur Folklore sind.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Nach der Euro ist zwar vor der WM-Quali und vor der nächsten Liga-Saison und überhaupt, es ist aber auch wieder Zeit fürs richtige Leben.

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Es ist also 5 Jahre Utoya genau heute vor 5 Jahren, am 22. Juli 2011 ermordete ein selbsternannter Kreuzritter im Namen einer fiktiven rechtsextremen paneuropäischen Bewegung von Radikal-Nationalisten 77 Menschen. Der Mann, an dessen Psychogramm bis heute geforscht wird, war selbstverständlich Einzeltäter und gilt in einschlägigen Netzwerken und Rechtsaußen-Kreisen als großer Held und Vorbild - nicht offiziell natürlich, nur hinter vorgehaltener Hand.

2

Breivik ist die Art von Mörder und Terrorist, den Politik und Strafverfolgungs-Behörden nie einkalkulieren, wenn es um Sicherheits-Maßnahmen (Rasterfahndungen, Grenz-Kontrollen, digitale Überwachung etc) geht. Er gehört zu denen, die da sind, zu den Autochtonen, ein bisserl zur Folkore. Rechtsradikale und Neonazis werden selbst in der Bundesrepublik Deutschland, dem Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, anders angefasst. So wie der NSU in Deutschland: man beobachtet, unterwandert das Umfeld, lässt geschehen; ein bisschen autochtone Folklore eben.

3

Dass der Begriff des Terrors eigentlich den Staat als (legitimen) Urheber von Gewaltherrschaft ausweist, ist eine historische Fußnote, die jetzt zu weit führt, zugegeben.

Der bewusst (auch) nach Europa gebrachte Terror aus dem arabischen Raum hat sich seit seinem Erstauftreten in den 70ern und 80ern (als es panarabischen Organisationen darum ging Palästina als Player im Nahost-Konflikt anerkannt zu kriegen) im Vergleich zu heute (wo es dem IS darum geht vom Westen anerkannt zu werden) verändert. Die Ziele sind nicht mehr Botschaften oder Flughäfen, treffen nicht mehr Regierungen und Institutionen, sondern, indem sie scheinbar zufällig ausgewählt werden, die ganz normalen Menschen; die daraus einen Islam-Hass beziehen, der wiederum die Muslims in Europa spalten/radikalisieren und die militärischen Gegner in Irak/Syrien in seinem eigenen Hinterland schwächen sollen. Oder so; ganz stringent ist der IS-Plan nämlich nicht.

Die Opfer-Zahlen waren damals, in den 70ern und 80ern höher - ich hab' dazu hier unter Punkt 2 zwei Statistiken verlinkt - aber das subjektive Gefühl von Ohnmacht und Verwundbarkeit wird quasi zur Potenz schlagend. Die Furcht vor einem Außenfeind, vor einer Bedrohung durch das Fremde (eine Ur-Angst jeglicher Zivilisation, die sich über andere erhoben hat) überlagert alle Emotionen und so auch sämtliche politische Handlungen.

Die Furcht vor dem Monster im Inneren hingegen ist gering. Es wurde und wird als Folklore in unsere Narrative eingeschrieben; als arg, aber unvermeidlich und unverhinderbar. Als brachliegendes Potential, mit dem man achselzuckend zu leben hat.

4

Der Täter, der die britische Abgeordnete Jo Cox wegen ihres Einsatzes gegen den Brexit ermordete (und es war der erste politische Mord seit vielen Jahren), verfügt über weitreichende Kontakte in die Neonazi-Szene. Die Tat hatte kaum Einfluss auf das Referendum.

Gesetzt den Fall ein seit Geburt in London lebender Muslim, am besten jemand, der auch schon einmal Sadiq Khan die Hand geschüttelt hat, hätte Boris Johnson oder Nigel Farage nicht einmal umgebracht, sondern auch nur attackiert oder angelullt - die Pro-Brexit-Prozente wären nur so geflogen.

5

Der im Mai in Nenzing amoklaufende Vorarlberger Biker/Rocker, der mit seiner Kalashnikov in eine Konzertmenge ballerte (3 Tote, 11 teils schwer Verletzte) war Skinhead, bekennender Neonazi, als gewaltbereit polizeibekannt und aktenkundig. Sein - gezielt auf Unbeteiligte - gerichtete Gewaltakt wurde als Beziehungstat abgetan.

Der vor etwas mehr als einem Jahr in Graz amokfahrende Austro-Bosnier aus Kalsdorf, der mit seinem SUV durch die Innenstadt raste (3 Tote, über 30 teils Schwerverletzte) war ein aggressiver Schläger und häuslicher Gewalttäter, polizeibekannt und aktenkundig. Sein gezielt auf Unbeteiligte gerichteter Gewaltakt wurde nicht als Beziehungstat abgetan, sondern als religiös motivierter Terror-Akt eingestuft. Zuletzt verglichen einige österreichische Politiker, etwa Vizekanzler Mitterlehner, die Amokfahrt mit der Gräueltat in Nizza.

6

In beiden Fällen, Nenzing wie Graz, waren Auseinandersetzungen mit der Frau/Freundin Auslöser für eine mörderische Tat.

Der Täter, der politisch und ideologisch eindeutig zuzuordnen ist, wurde keine Sekunde lang, von keinem österreichischen Medium als politischer Attentäter verdächtigt. Niemand ging der Sache jemals nach.

Der Täter, der aufgrund seiner Herkunft und Religion ins Schema Islamist passt, war von Beginn an Terrorist. Den (vagen, aber existenten) Hinweisen einer tatsächlichen Radikalisierung gingen die Ermittlungsbehörden nicht wirklich nach, was die Tür für Spekulationen weit öffnet.

7

Ich finde das deshalb so interessant, weil ich die Feinde aus dem Inneren der Schollen, die Alt- und Neu-Nazis, die rechtsextremen Hyper-Patrioten, die Radikal-Nationalisten, die Kreuzritter, die White Supremacy-Rassisten, die Freunde der Autokratie, die von Säuberungen und Gewaltherrschaft träumen (und deshalb aktuell Erdogan so bewundern) mitsamt ihrem politischen Arm, den rechtsradikalen Populisten für deutlich bedrohlicher halte als jegliches Kalifat. Ganz realpolitisch: selbst die klug ausgeführte Dystopie von Houellebecq hat im Vergleich zu etwa einem identitären Putsch (und das wäre die kindlichste Möglichkeit im breiten Portefeuille von Rechtsaußen-Machtübernahme-Szenarios) nur einen Bruchteil der Chance auf Wirklichwerdung. Zumal die europäischen (und vor allem die österreichischen) Böden bereit sind; für die Rückkunft der Folklore.