Erstellt am: 26. 7. 2016 - 10:56 Uhr
Summer of 1973
Summer of...
Summer of... - Pictures, Pop and other Postcards from the Past: Ein Blick zurück auf umwälzende Sommerereignisse, die den Lauf der Popkultur(-Industrie) nachhaltig verändert haben. Im Sommer 2016 auf FM4.
"Where were you in '62" steht auf dem Plakat von "American Graffiti" zu lesen - zwischen dem Filmtitel im Neonleuchtschrift-Font und einer Illustration des "Mad Magazine"-Zeichners Jack Davis und die Frage löst im Jahr 1973, als der Film in den Kinos startet, kollektive Nostalgie in den USA aus. Zwar waren seit 1962 nur 11 Jahre vergangen, doch die Welt schien eine völlig andere zu sein.
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Nicht nur der "Summer of Love" mit seinen idealistischen Visionen hatte sich 1973 längst in Luft aufgelöst. In Vietnam tobt immer noch der verheerende Krieg und Präsident Richard Nixon behauptet bei den Watergate-Anhörungen keck, er sei kein Gauner. Da bekommt man schon leicht Sehsucht nach einer Zeit, als der amerikanische Traum noch intakt zu sein schien. "American Graffiti" spielt in einer Sommernacht des Jahres 1962, die Kubakrise und die Ermordung Kennedys hängen nur für das Publikum wie ein Damoklesschwert über dem Kleinstadtidyll im Retrochic. Die schon von weitem zu sehende Neon-Leuchtschrift von "Mel's Diner" ist quasi der Fixstern, der ein klein wenig Orientierung ins Teenager-Leben strahlt. Hamburger, Cherry Coke, Musik aus dem Autoradio.
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Nach dem Highschool-Abschluss driften zwei junge Männer durch die Sommernacht. Am Steuer sitzt Ron Howard, den Arm um ein Mädchen, auf der Rückbank verliebt sich Richard Dreyfuss in eine mysteriöse Blonde im Auto nebenan. Someone wants me. Someone roaming the streets, wants ME... brüllt Dreyfuss als Curt, so gut man halt brüllen kann, wenn man gleichzeitig grinsen muss und versucht eine Nacht lang die unbekannte Frau zu finden. Denn so, und eigentlich nur so, hat man Anfang der 1960er Jahre Mädchen kennengelernt. "American Graffiti" setzt auch dem Cruising ein Denkmal - damals ist der Begriff noch nicht unbedingt sexuell konnotiert, es sind tatsächlich noch ein bisschen unschuldigere Zeiten. Und so brüllt man einander beim Überholen oder beim Warten an der Ampel Flegeleien oder Zärtlichkeiten zu. Mit dabei auch ein junger Mann in einer seiner ersten Rollen, einer, den Lucas ein paar Jahre drauf als Han Solo weltberühmt machen würde. Hier trägt Harrison Ford einen Cowboyhut, lebt nach dem "Gib Gas, ich will Spaß"-Prinzip.
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Die jungen Männer tragen die Haare kurz, die Zigarettenpackung steckt man sich in den raufgekrempelten Ärmel des blitzweißen T-Shirts. 1962 schaut es in der kalifornischen Kleinstadt noch aus wie in den 1950er Jahren. Und es klingt auch so. Als einer der ersten setzt George Lucas auf Popsongs statt auf klassischen Score. 41 Ohrwürmer untermauern die Sehnsucht nach einer scheinbar einfacheren, unschuldigeren Zeit. Von Doo Wop bis Rock’n’Roll shalalalalat es aus den Autoradios. Von den Beach Boys, die den Sound der 1960er Jahre prägend mitbestimmen würden, hält John, der junge Mann mit James Dean-Attitüde nichts. Paradoxer- oder vielleicht auch logischerweise finden selbst die Figuren in diesem von Nostalgie durchzogenen Film, dass früher alles besser war. Rock'n'Roll has been going down hill since Buddy Holly died lamentiert John und dreht "Surfin' Safari" ab.
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Inmitten der Ära des New Hollywood, das die Desillusionierung der USA auf die Leinwand brachte und in dessen unterschiedlichsten und experimentierfreudigen Filmen für alles Platz war, aber sicher nicht für Nostalgie, wollte George Lucas einen Film machen, bei dem sich das Publikum nach dem Kinobesuch besser fühlte. Seine autobiografische Fahrt durch die Nacht trifft einen Nerv; Film und der Soundtrack werden ein Erfolg und ebnen George Lucas Weg zu seinem nächsten Film "Star Wars". Beide Filme sind eskapistische Karussellfahrten in weit weit weg entfernte Galaxien - und 1973 schien das All mindestens gleich weit weg zu sein wie der Sommer des Jahres 1962.