Erstellt am: 25. 7. 2016 - 14:04 Uhr
Vom Flüchtling zum Lehrling
Mit knapp einer Stunde Verspätung komme ich in Schrems im Waldviertel an. Typische Sommerbaustellen, die natürlich nicht im Navi angezeigt wurden, haben meine Ankunft deutlich verzögert. Doch man ist mir nicht böse: "Wir sehen das selber nicht so streng mit der Pünktlichkeit", versichert mir der Mitarbeiter, der mich empfängt und zu meinen Ansprechpersonen bringt.
In einem großen Gemeinschaftsraum mit Küche wartet Edith. Gleich zu Beginn wird mir klar gemacht, dass im Unternehmen alle miteinander per Du sind - auch mit dem Chef Heini Staudinger, den ich später noch kennenlernen werde. Kurz darauf kommen drei Burschen über den angrenzenden Innenhof mit Terrasse, der zwischen Produktionshalle und dem Gemeinschaftsraum liegt.
Michael Fiedler, Radio FM4
Rahman, Aziz und Omid kommen aus Afghanistan. Die drei 18-Jährigen sind letztes Jahr nach Österreich gekommen. Unabhängig voneinander, aber über denselben Weg: Zuerst in den Iran, dann über die Türkei und Griechenland und schließlich über die Balkanroute nach Österreich. Ihre Reisen dauerten unterschiedlich lange. Während Rahman nur einige Monate für die lange Strecke brauchte, war Aziz anderthalb Jahre unterwegs, bevor er in Österreich ankam.
Hier hatten sie schon unterschiedliche Stationen. "Ich war vier Monate in Traiskirchen, dann sechs Monate in Neu Nagelberg", erzählt Rahman. Neu Nagelberg, ebenfalls im Waldviertel, ist nicht gerade der Nabel der Welt, aber es gibt dort eine Jugendherberge. Und diese wird seit einiger Zeit als Unterkunft für meist minderjährige Flüchtlinge verwendet. Auch Aziz und Omid landen schließlich in der umfunktionierten Jugendherberge.
Die drei hatten Glück: Ihr Asylantrag wurde relativ rasch behandelt und bereits nach einigen Monaten hatten alle drei subsidiären Schutz. Dieser Aufenthaltstitel bedeutet uneingeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Doch dass man dadurch leicht an einen Job kommt, ist noch lange nicht gesagt. Die größten Hürden, die es zu überwinden gibt, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sind selbstredend die mangelnden Sprachkenntnisse. Besonders oft aber auch Berührungsängste von UnternehmerInnen.
SchuhmacherIn: Aussterbender Beruf
Aziz, Rahman und Omid zeigen mir schließlich stolz die Produktionshalle, in der sie nun mithelfen, Schuhe zu fertigen und zu reparieren. Weil sie noch ganz am Anfang ihrer Lehre stehen, sind die Aufgaben noch eher leicht. "Die größte Hürde ist momentan noch die Sprache, weil es natürlich viele Fachbegriffe gibt, die die Burschen noch lernen müssen", erklärt mir Edith bei der Führung durch die Produktionshalle. Doch die Burschen würden sehr schnell lernen.
Als wir zur Station gelangen, an der Rahman arbeitet, meint sein Teamleiter, dass die "Neuen" sehr engagiert und höflich seien, und sie sich "sehr gut integrieren" würden. "Wir pflegen ein familiäres Miteinander im Unternehmen. Uns ist auch wichtig, dass wir auch außerhalb der Arbeit manchmal gemeinsam Zeit verbringen", erklärt er.
GEA Waldviertler
Omid ist in der Reparaturabteilung tätig. Anders als bei vielen anderen, industriell gefertigten Schuhen, können Kunden des Unternehmens ihre Schuhe hierherschicken, um sie fachgerecht reparieren zu lassen. Omid darf schon einige Arbeitsschritte für die Reparatur selbst durchführen. Auch in dieser Abteilung ist man froh über den Neuzugang: "Er ist sehr genau. Natürlich noch ein bisschen langsam, aber das ist am Anfang ganz normal", erzählt eine Vorarbeiterin, die eigentlich gerade beschäftigt ist und sich gleich wieder ans Werk macht.
GEA Waldviertler
Drei Jahre dauert es, bis die Burschen sich offiziell Schuhmacher nennen dürfen. Der Beruf ist in Österreich beinahe ausgestorben. Vermutlich dürfte das Unternehmen in Schrems mit Ende des Jahres mehr als die Hälfte der sich in Lehre befindenden SchuhmacherInnen Österreichs ausbilden. Trotz, oder vielleicht auch wegen dieses besonderen Umstands, sind die drei froh, dazuzugehören.
Der unkonventionelle Chef
Zu verdanken haben Aziz, Rahman und Omid ihre Lehrstelle Heini Staudinger. Bekannt wurde dieser mit seinem Kampf gegen die Finanzmarktaufsicht (FMA). Er hatte sich von Freunden Geld geliehen, mit dem Versprechen, es inklusive Zinsen wieder zurückzuzahlen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er genug Geld gesammelt, um neue Investitionen zu tätigen.
Innerhalb kürzester Zeit stand aber auch die FMA auf der Matte, denen dieses Finanzierungskonzept, das an "Crowdfunding" erinnert, gar nicht in den Kram passte. Was folgte, war ein jahrelanger Streit, der schließlich darin endete, dass das Parlament vergangenes Jahr ein Gesetz für Schwarmfinanzierung (Alternativfinanzierungsgesetz - AltFG) erließ. Doch eigentlich geht es in diesem Artikel um etwas anderes.
APA / HANS KLAUS TECHT
Ein Bekannter von Heini Staudinger arbeitet in der Jugendherberge in Neu Nagelberg im Waldviertel, wo rund 25 junge Flüchtlinge untergebracht sind. "Er hat mich gefragt, ob ich nicht ein paar von denen bei mir aufnehmen kann", erzählt Heini Staudinger, der mir von Anfang an das "Du" anbietet. Die Entscheidung, Flüchtlinge anzustellen, fiel ihm nicht schwer. "Ich glaube, dass man bei vielen Flüchtlingen mit einer unglaublichen Motivation rechnen kann. Denn je größer die Not, umso größer der Wunsch sie zu lindern", ist der Unternehmer überzeugt. Die Motivation, die die Flüchtlinge mitbrächten, würde auch andere anstecken, ist sich Heini Staudinger sicher.
Anstecken möchte er mit seiner Aktion auch andere Unternehmen in der Region, und hofft, dass diese seinem Beispiel folgen. Einen befreundeten Bäcker habe er schon überzeugen können, dass er einen Flüchtling aufnimmt, dessen großer Wunsch es ist, Bäcker zu werden. Dass die allermeisten Flüchtlinge und Asylwerber zum Warten gezwungen sind findet Heini Staudinger "absolut unhaltbar".
Sowjetische Lösungen gegen Wartezeiten?
Meist spricht der Firmenchef ruhig und bedacht, lässt sich Zeit, verfällt aber immer wieder in einen eindringlichen Tonfall. In genau diesem Tonfall referiert er über den Missstand, dass Flüchtlinge zu lange zum Warten gezwungen sind: "Wer so etwas gutheißt, muss Probleme in Kauf nehmen. Das gibt es nicht, dass sich junge Leute diesen Zustand oft jahrelang gefallen lassen müssen", echauffiert sich der Unternehmer. "So gesehen bin ich richtig froh, dass wir diese Burschen haben."
Bekannt für seine unorthodoxen Ansätze, hätte Heini Staudinger auch für das Problem des Wartens einen Lösungsvorschlag, und kommt mit einem Beispiel aus der Sowjetunion: "Wenn ein Universitätsprofessor von Moskau nach Leningrad ziehen wollte, dann musste er vorher ein halbes Jahr auf der Baustelle arbeiten um seinen Beitrag für die Wohnung zu leisten, die er in Leningrad brauchen wird", referiert er. Mir ist klar, worauf er hinaus will und es dabei nicht um Klassenbewusstsein geht.
"Ich könnte mir vorstellen, dass ein Teil dieser Flüchtlinge mithelfen könnte, Quartiere zu errichten, die sie selber benutzen und sobald dort [in den Heimatländern der Flüchtlinge] wieder Frieden herrscht, könnten wir sie nutzen - da gäbe es so viele Möglichkeiten", meint Heini Staudinger. Rahman, Aziz und Omid sind durch ihre Lehrstelle jetzt jedenfalls nicht mehr zum Warten gezwungen.
Wirtschaftskammer fordert Lockerungen für Flüchtlinge
In jüngster Zeit zeigt sich, dass immer mehr Firmen gezielt geflüchteten Menschen eine Perspektive geben wollen und dem "Nichtstun" ein Ende bereiten wollen. So hat es Ende Juni eine Berufsmesse für Flüchtlinge in Wien gegeben. Auch die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) versucht mit dem Pilotprojekt "Überregionale Lehrstellenvermittlung, Flüchtlinge in Regionen mit akutem Lehrlingsmangel unterzubringen.
Das Gefälle zwischen der Bundeshauptstadt und den Bundesländern sei laut WKO enorm. Während in Wien rund zwei Drittel der Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis arbeitslos sind, sind es laut WKO im Burgenland nur etwa ein halbes Prozent, was natürlich auch der ungleichen Verteilung auf die Bundesländer geschuldet ist.
Bei der WKO sieht man offenbar großes "Fachkräftepotenzial" bei Flüchtlingen und möchte dieses nutzen, um dem Lehrlings- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein Infosheet zeigt die Forderungen der WKO. Man will das vorhandene Potenzial ausnutzen und gewisse Regelungen lockern. So fordert die WKO etwa, Flüchtlinge dort unterzubringen, wo Arbeitskräfte gesucht werden, Qualifikationen besser anzuerkennen, oder Unternehmensgründungen und -übernahmen (etwa für Schuster, Schneider oder Gemüsehändler) zu erleichtern, um die Infrastruktur in schwachen Regionen wiederzubeleben.
Daneben findet sich in dem Forderungspapier auch Streitbares. Etwa, dass Asylwerber ohne Arbeitserlaubnis künftig Jobs übernehmen dürfen, für die sich sonst niemand findet. Natürlich wäre damit das Problem des "Nichtstuns" gelöst, gleichzeitig sieht man anhand dieser Forderung auch, dass sich manche Österreicher für gewisse Dienste wohl "zu gut" sind.
Die Angst vor "Schrödingers Immigrant"
Zweifelsohne wäre es für strukturschwache Regionen oder Regionen mit Fachkräftemangel ein Segen, wenn genug Flüchtlinge bereit wären eine Lehrstelle dort anzunehmen. Man könnte mindestens zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Flüchtlinge bekämen eine Chance, Unternehmen bekämen wieder Fachkräfte, und im besten Fall könnte man eingeschlafene Dörfer aus dem wirtschaftlichen Koma holen.
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Auf der anderen Seite stehen dann aber sicher wieder jene, die situationselastisch entweder schreien: "Die nehmen uns den Job weg!" Oder, wenn Flüchtlinge weiterhin zum Nichtstun gezwungen sind: "Die sind für alles zu faul!" In Social Media wurde dieses Phänomen bereits als "Schrödinger's Immigrant" bezeichnet.
Man wird sehen, welche Forderungen der Wirtschaftskammer umgesetzt werden und wie die bereits eingeleiteten Maßnahmen greifen. Heini Staudinger hat jedenfalls bereits in der Vergangenheit gute Erfahrungen damit gemacht, Flüchtlingen in seinem Unternehmen eine Chance zu geben. Auch bei seinen drei neuen Lehrlingen ist er zuversichtlich. Aziz, Omid und Rahman wollen übrigens nach der Lehre in der "strukturschwachen Region" Waldviertel bleiben.