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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

20. 7. 2016 - 15:05

Die schönste Höllenfahrt

Letzten Freitag haben wir das schlechtestmögliche Wetter für eine Reise nach Kroatien erwischt, aber im Vergleich zu den Menschen in Nizza und in Istanbul ging es uns prächtig.

Mit Akzent

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Letzten Freitag haben wir das schlechtestmögliche Wetter für eine Reise nach Kroatien erwischt. Wir fuhren um 7 in der Früh von Wien los und wenn allesgut gegangen wäre, hätten wir am frühen Abend Fisch grillen und Pelinkovac im Hof meines Freundes Bogumil trinken können. Es sollte aber anders kommen.

Zuerst gab es einen kilometerlangen Stau an der Slowenisch-Kroatischen Grenze. Der Freitags-Urlaubsverkehr aus Zentraleuropa in Richtung Adria war voll im Gange. Riesige Wohnmobile und Autos mit Anhänger warteten an der Grenze. Mir kam vor, dass alle Polen, Tschechen, Ungarn und Österreicher auf dem Weg zu den kroatischen Stränden waren. Die blonden Köpfen der Kinder der Touristen schauten neugierig aus den Autofenstern. Das war am Anfang sehr süß. Danach wurden sie uns gleichgültig. Nach zwei Stunden sahen wir sie hasserfüllt an.

Autos im Stau

nile / CC0 Public Domain via Pixabay

Währenddessen schauten wir, um uns abzulenken, im Internet nach, was auf der Welt passiert. Und das Internet spuckte schreckliche Nachrichten aus. Die Toten in Nizza wurden immer mehr. Wir wussten schon alles über den Killer-LKW: Auf einmal sahen wir in der entgegengesetzten Richtung einen weißen LKW, der immer näher kam. Ein mulmiges Gefühl beschlich uns. Der gesunde Hausverstand sagte uns, dass nicht jeder weiße LKW von einem geisteskranken Islamisten gelenkt wird, doch wir wurden nicht ruhig, bis der weiße LKW an uns vorbeifuhr und um die Kurve bog.

Bald nachdem wir in dem neuesten EU-Mitgliedsland waren, gab es wieder einen Stau, diesmal länger als drei Stunden. Die Autos wurden von der Autobahn in Richtung Dalmatien umgeleitet wegen orkanartigem Wind. Ich hätte nie gedacht, dass es mitten im Sommer so einen starken Wind geben könnte, der imstande wäre, die Autos von der Autobahn wegzuwehen. Und der Wind blies so stark, als ob das Ende der Welt nahte.

Wir fuhren auf zweitklassigen Straßen weiter. Es war dunkel und die Bäume und die verlassenen Industriekomplexe auf der Straße erschienen uns wie das Dekor von "Das Kabinett des Dr. Caligari". In dem Moment bekam ich ein SMS. Ich hoffte, es wäre vom Lotto 6 aus 45. "Stell dir vor", sagte ich zu meiner lieben M., "dass wir plötzlich informiert werden, dass wir Millionäre sind! Oder dass wir wenigstens Urlaub auf den Maldiven gewonnen haben!" Das SMS war von Freunden: "In der Türkei gibt es einen Militärputsch gegen Erdoğan. Panzer schießen. Militärs kämpfen gegen Polizisten."

Die Palmen um die Straße herum bogen sich im Wind. Die normalerweise ruhige Adria war stürmisch wie der Atlantik. (Nicht, dass ich schon einmal am Atlantik gewesen wäre.) Wir fuhren durch dunkle Städte. Ich schaute durchs Fenster. Panzer waren keine zu sehen. Wir haben uns beruhigt.

Fähre von und nach Split

Petar Hektorovic / muleni / CC BY-SA 3.0

Fähre von und nach Split, CC BY-SA 3.0

Schließlich erreichten wir Split. Die Fähre fuhr uns vor der Nase davon. Der Wind blies unaufhörlich weiter. Ich umarmte M. Es war eine Höllenfahrt gewesen, aber im Vergleich zu den Menschen in Nizza und in Istanbul ging es uns prächtig. Wir konnten zur Hafenbar gehen und eine kleine Rakija bestellen.

Nach drei Stunden kam die Fähre zurück. Sie konnte wegen der hohen Wellen nicht auf der Insel anlegen. Wir mussten weiter warten. Um zwei Uhr bestiegen wir die Fähre. Wir waren glücklich. M. schlief in meinem Schoß ein.