Erstellt am: 20. 7. 2016 - 06:39 Uhr
Sigi Maron, 1944-2016
Ich sitze also gerade in meinem Büro und höre "05 vor 12", eines der Meisterwerke des vorgestern 72-jährig verstorbenen Singer-Songwriters Sigi Maron.
Wir Jungen verstanden es damals nicht, als diese Platte 1981 gänzlich unmodisch in unsere New Wave-Zeit platzte (gut, ich war damals erst elf oder zwölf, das ist meine Entschuldigung). Aber dies war eine der ganz großen Begegnungen Geistesverwandter von beiden Seiten des Ärmelkanals, die fruchtbare Zusammenarbeit Marons mit Bob Ward, dem Produzenten von Kevin Coyne, auf den ihn Wolfgang Kos von der Musicbox gebracht hatte. Und ich muss sagen, sie klingt heute besser denn je.
Sigi Marons Name wird ja nie erwähnt, wenn es symbolische Orden für Verdienste um den österreichischen Pop zu verleihen gibt.
Sein Ruf ist schließlich der des brüllenden Protestliedermachers. Ein Missverständnis, sowohl was das gängige Verständnis von Pop als auch jenes von Sigi Maron angeht.
* Sarkasmus
Niemand hat je ein Musical über ihn geschrieben. Das hatte er auch nicht verdient.*
Hier ist stattdessen mein nächtlicher Versuch eines Nachrufs, man möge mir Tippfehler verzeihen.
Robert Rotifer
Vorhin saßen wir also vorm Fernseher, als die Nachricht vom zu erwartenden, aber trotzdem nie ganz für möglich gehaltenen Abschied Sigi Marons hereinkam.
Wiederholung: FM4 Heartbeat mit Sigi Maron
*Die dazugehörige Sendung FM4 Heartbeat vom 11.8.2014 wiederholen wir heute, 20.7., in der Homebase zwischen 19.00 und 22.00.
Jederzeit, hatte er mir 2014, im Jahr nach seiner schweren Operation, mit typischem Fatalismus erklärt, könnte es ihn erwischen. Damals interviewte ich ihn für meine Sendung, und dazu gab es auch diesen Blog, in dem es unter anderem um das vorausgeahnte Ende ging.*
Sigi hatte Monate zuvor sein letztes Album "Dynamit und Edelschrott" veröffentlicht.
Und heute Abend, wo ich nun mit seinem prophezeiten Tod fertig werden musste, brachte die BBC eine jahrelang überfällige Dokumentation über Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien, denen man Kameras auf ihre Reise mitgegeben hatte.
Meine Gedanken wanderten zum "obndessen", einem der besten Lieder auf jenem letzten Album, der Geschichte eines Sommerurlaubs an der Adria, heimgesucht von der makabren Einsicht, dass die Fische, die man genüsslich isst, zu einer Nahrungskette gehören, in die das Menschenfleisch der ertrunkenen Fliehenden eingedrungen ist.
Und so konnte ich schließlich nicht anders, als die Welt verfluchen und in mein Büro flüchten, die Fingerkuppen zum Buchstaben "M" im Regal wandern lassen, einen Packen alter Maron-Platten rausholen, erst einmal eine Weile zuhören und dann das hier schreiben.
"05 vor 12" aus dem Jahre 1981 war die erste LP, die mir dabei in die Hände fiel.
Robert Rotifer
Ich höre "ziaglroter pavillon", die Nummer über den Zwangsaufenthalt in der Nervenheilanstalt. Sigi blieb nichts erspart, in diesem Land, das lauten Menschen, die kein Unrecht ertragen, notfalls mit institutioneller Macht zeigt, wo sie hingehören (wir kommen noch darauf zurück).
Dann "de spur von dein nokatn fuass", ein Jahrhundert-Lied, das ich damals beim Popfest 2011, 30 Jahre nach seinem Erscheinen, mit Sigi, Ernst Molden, dem Nino aus Wien und einer glücklichen Fusion der Bands der beiden letzteren spielen durfte.
Robert Rotifer
So wie Robert Wyatt weigerte sich Sigi eigentlich zurecht, Konzerte auf Bühnen ohne barrierefreien Zugang zu spielen, aber für unser "Legenden-Brunch" machte er eine Ausnahme und ließ sich von Ernst und mir im Rollstuhl die Stiegen rauf auf die Bühne hieven (es gibt davon ein Foto, das muss ich finden, wenn's wer hat, bitte melden).
Ich sehe Sigi vor mir, wie er nach einer der Proben für dieses Konzert im damaligen Studio von Walther Soyka in der Laimgrubengasse behände den Hügel hinauf zu seinem Auto, Kennzeichen Baden bei Wien, gerollt war, sich in einem jahrelang geübten Manöver auf den Fahrersitz schwang, den Rollstuhl zusammenklappte und hinter sich verstaute, ehe er nach Hause fuhr.
"a nocht laung auf da autobahn", in diesem Fall eine halbe Stunde auf der A2 nach Süden.
Ich hatte Sigi Maron davor nicht persönlich gekannt. Er hatte sich als einer der herzlichsten, lustigsten und gescheitesten Menschen herausgestellt, denen ich je begegnen durfte. Der Zorn in seinen Liedern war die eine Seite, die menschliche Wärme in Person (und der anderen Hälfte seiner Lieder) mindestens genauso wichtig.
In der Zwischenzeit hab ich die andere Bob Ward-Produktion aus dem Jahr danach aufgelegt: "der tag is net weit".
Robert Rotifer
Ich höre "in deinen dunkelbraunen augn", eines von Sigi Marons schönsten Liebesliedern, gefolgt vom Gastarbeiterkinderlied "he du bub" und "auf an haufn schworzn saund" mit seinem klassischen Refrain: "i siach da tog is net weit, wo da letzte von uns noch frieden schreit."
Kindheitserinnerungen ans Maron-hören bei Friedensdemos in den frühen Achtzigerjahren kommen hoch. Wo immer linker Aktivismus gefragt war, kam der Anarchokommunist Maron angerollt und machte ordentlich das Maul auf, ohne österreichische Rücksicht auf seine Karriere.
Dass das Radio aus seinem Kanon später in Rotation "geh no net furt" (1985) spielen und zu seinem größten kommerziellen Erfolg machen sollte, passte nur scheinbar nicht in dieses Bild. Was gefällig klang, entpuppte sich als Monolog, gerichtet an einen Selbstmörder, der an seiner Überdosis stirbt. Als die gerufene Rettung endlich kommt, ist jener bereits tot.
Trotz dieses Hits gehörte Sigi Maron nie wirklich zur Ö3-Welt des Austropop, auch nicht in dessen Boom-Periode.
Das Textblatt zu "der tag is net weit" enthält seine persönliche Replik an Rudi Klausnitzer, den damaligen Ö3-Chef, auf einen Brief, den jener an die heimischen Produzenten geschickt hatte.
Darin beklagte Klausnitzer "Vulgärtexte" und "extrem unnatürlichen 'Slang'" in österreichischen Pop- und Rock-Produktion und versicherte, die "in den Programmrichtlinien auferlegten Geschmacksgrenzen" zu achten und dem "Gott sei dank nur partiell" vorhandenen "Trend der Konkurrenzierung nach unten Einhalt zu gebieten."
Robert Rotifer
"Lieber Rudi", antwortet Maron in den Linernotes, "Ich beziehe mich auf dein wunderbares Schreiben vom 20.7. d.J., das du an die österr. Plattenproduzenten geschickt hast. Zu meinem Bedauern habe ich es erst nach meiner Rückkehr aus London, wo ich wieder eine meiner schweinischen Platten aufgenommen habe, gelesen.
Glaub mir ich habs nicht einmal gelesen, hunderte Male, ja es wurde mir fast so lieb, wie die Krone, die ich morgens am... na, du weißt schon.
Was soll ich Dir sagen, es hat mich getroffen, es hat mich zutiefst getroffen. Was Pfarrer Moosbrugger nicht geschafft hat, du hast es.
Erst jetzt weiß ich, dass alles umsonst war.Du hättest früher schreiben sollen, ehrlich, dann hätte ich nicht nur den 'Arsch', die 'Scheiße', das 'Vögeln' und andere schlimme Vulgärausdrücke aus meinen Texten gestrichen, nein ich hätte mich auch in der Themenwahl nicht ständig vergriffen.
Wer macht auch schon Lieder über die Gastarbeiter, über vergessene alte Leute, über Fließbandarbeiter, über gestrauchelte Jugendliche, über all die unangenehmen Randererscheinungen in unserer Gesellschaft. Wenn man nicht drüber spricht, existierts auch nicht. Oder?
Wer so was tut, gehört doch psychiatriert, ich weiß nicht ob du damals ein bisserl mitgeholfen hast, daß ich einen kleinen netten Aufenthalt in der Psychiatrie in Gugging genießen durfte, aber das hätte mir schon damals ein Fingerzeig sein sollen. Aber in meiner Sturheit und Verblendung habe ich es nicht erkannt."
Sigi Maron hatte aus Solidarität mit dem Liedermacher Charly Kriechbaum, der aus Protest gegen die sein Werk ignorierende Ö3-Musikredaktion in den Hungerstreik gegangen war, ans Funkhaus gepisst, war festgenommen und in Gugging eingewiesen worden.
So liefen solche Konflikte in prä-Shitstorm-Zeiten ab.
"Heute, lieber Rudi," schrieb Maron weiter, "steht bei mir nichts mehr im Dunkeln. Am liebsten möchte ich diese Platte wegwerfen und alle Texte noch mal, streng nach den uns im Rundfunkgesetz und den in den Programmrichtlinien auferlegten Geschmacksgrenzen, schreiben."
Vier Jahre zuvor hatte Sigi Maron zusammen mit den Schmetterlingen "laut & leise" aufgenommen - die Platte, die ich jetzt gerade als nächste aufgelegt hab.
Robert Rotifer
Ein großteils zärtliches Album, dessen B-Seite wieder mit zwei dieser allerschönsten Liebeslieder beginnt: "Heite kann i, heite derf i" und "Wind friss mi".
Und als Schlusssong das große Statement, das bis zum Ende im Design eines Augentests die Sigi Maron-T-Shirts zierte: "Leckts mi aum oasch", der Refrain der "ballade von ana hoatn wochn", verewigt in einer mitreißenden Live-Aufnahme aus dem historischen Wiener Folkclub Atlantis. Vom Schwiegervater über den Herrn vom Wohnungsamt bis zu den Schnöseln in der Galerie, wo man ihn als musikalischen Aufputz zum Ignorieren engagiert hat, dürfen sie ihn alle am Arsch lecken. Und das Publikum stimmt ein, dass die Folk-Club-Wände nur so beben.
Die Wut war 1978 in Wien hörbar nicht das Monopol der Punks.
"he, taxi", die chronologisch nächste LP aus dem Jahr danach, ebenfalls produziert von den Schmetterlingen, landet auf dem Plattenteller.
Robert Rotifer
Es ist mittlerweile halb drei, und mir bricht das Herz zu den Klängen von "maunchmoi":
"maunchmoi mächt i mit meine händ am himme auffeglänga
runzlige spiroinebl biagn und de müchstrossn faunga
sternsplitta in seidnpapier met kometn vaziern
mein vollmondkoib nehma und zu dir spaziern"
Der Dichter Sigi Maron, hab ich schon seine Zärtlichkeit erwähnt?
Und dann kommt "jo jo i geh a (I'll go too)", die in die spätere Richtung England weisende Kevin Coyne-Übersetzung.
Das Album enthält aber auch "Andreas", einen anderen Hit, die Coverversion des Songs "Andrea" des anarchistischen italienischen Songwriters Fabrizio de Andrè, mit folgender erklärender Anmerkung Marons am Textblatt:
"Vielleicht ist 'Andreas' auch eine traurige Liebesgeschichte, ein Rekrut lässt sich im 1. Weltkrieg nicht an der italienisch-österreichischen Front verheizen, versteckt sich bei seiner Freundin und wird von der Kriegsmaschine trotzdem zerquetscht. Sicherlich ist 'Andreas' aber keine billige Schnulze, für die sie hier zulande ausgegeben wird, weil niemand den Text verstehen will."
Der Schluss-Song von "He Taxi" heißt "Wir sind klein und du bist groß" und handelt von den Opfern des damals noch als Primar und Gerichtssachverständiger praktizierenden SS-Arztes und späteren SPÖ-Mitglieds Heinrich Gross. Während des Zweiten Weltkriegs führte er in der Kinderpsychiatrie am Spiegelgrund ein Euthanasie-Experiment durch, dem hunderte Kinder zum Opfer fielen.
APA/ RUBRA
"Stahlhart blicken deine Augen
Schwungvoll führt die Hand den Stift
Und wir essen ohne Klagen
Jeden Tag ein bisschen Gift
Helfen willst du uns zur Ruhe
Zu Ende ist bald alle Qual
Zackig verlassen deine Schuhe
Blankgeputzt den Krankensaal
Wir sind klein und du bist Gross
Hilfst uns in das Himmelsschloss
Wir sind klein und du bist groß
An den Bäumen trocknet Moos
Vergangen sind die dunklen Zeiten
Zieht doch endlich einen Strich
Den Mantel des Vergessens breiten
Lasst uns über jeden Stich
So hätt's du's gern und keine Fragen
Solln dumm herum im Raume stehn
Und Leichen auf dem Leiterwagen
Hast du selber nie gesehen"
Meine Maron-Sammlung hat übrigens schwere Lücken.
Es fehlt das 1976 nach seiner Entdeckung durch Peter Turrini von André Heller eingefädelte, erste Album "schön is des lebn", dessen großartiges Titellied wir damals auch am Karlsplatz spielten.
Es fehlt "sonst gar nichts" zwischen "he, taxi" und den beiden Bob Ward-Produktionen.
Es fehlt auch das 1985 von Konstantin Wecker und Peter Müller produzierte "unterm regenbogen" mit erwähntem Hit "geh no net furt", dessen musikalische Credits Maron wegen der Nähe des Refrains zur Kinks-Nummer "Don't Forget to Dance" an Ray Davies abgeben musste.
Beim Nachfolger bin ich wieder dabei: Das 1986 in Zusammenarbeit mit seinem Freund Fritz Nußböck geschriebene, vom selben Müller und Ko-Produzent Mischa Krausz tief in glitschige Austropop-Sounds und STS-Chöre getunkte Album "von heut' nach morg'n".
Ich hätte Sigi Maron gern noch gefragt, was er selbst von dieser Platte hielt. Oder von "Saitenhiebe" (1989), als er über Vermittlung seines alten Plattenfirmenchefs und Förderers Stephan Friedberg bereits in der EDV-Abteilung der Ariola eine Brotbeschäftigung gefunden hatte.
Auf der Website maron.at ist immer noch der Abschiedsbrief zu lesen, den er Mitte der Nullerjahre seiner erst von der BMG geschluckten, dann mit der Sony fusionierten Firma schrieb.
Darin unter anderem der Satz: "Wird auch das Wort Gutmensch heute abfällig und abwertend verwendet, tausendmal lieber bin ich ein Gutmensch, als ein Bösmensch oder ein Blödmensch."
Unter "Musik" kann man auf seiner Site übrigens alle seine Lieder umsonst haben, weil Sigi Maron der Ansicht war, dass ihm seine Pension zum Leben reichte.
Auf der Homepage steht:
"in BÄLDE kommt das buch
memo aren
die wahrheit und nichts als die wahrheit"
Vielleicht hab ich was verpasst, aber meines Wissens ist dieses Buch ist noch nicht erschienen. Ich hoffe, wir bekommen es noch zu lesen.
Sigi Maron war sich sicher, "es gibt kan gott" (so hieß auch sein vorletztes Album), und gerade deshalb steckte er so viel in sein Leben und seine Songs.
Im Dezember 2014 spielte er in der Stadtwerkstatt Linz sein letztes Konzert mit seiner Begleitband der letzten Jahre, den Rocksteady Allstars.
Beim Durchstöbern meiner Emails habe ich gerade eine von Sigi vom 29. Dezember 2012 gefunden. Sie war ungeöffnet, wie tausende andere auch (wer kommt eigentlich noch nach mit dem Lesen?) und enthielt folgendes Neujahrsgedicht:
"des oede joa hod se dastessen
mia weans begrobn wia sa se kead
dabei wird gsoffn, gschossn, gfressn
und wia bei jeda leich fü gread
amoe woas guad daun wieda gschissn
net aunders oes de joa davoa
in wirklichkeit wü ma nur wissen
wos bringd ma denn des neiche joa
es is nua hoed a grossa schas
dass ma des net wirklich wass"
Alles Liebe auf dem Weg ins Nichts, Sigi Maron.
Und du, Tod, leck uns aum oasch.