Erstellt am: 19. 7. 2016 - 23:52 Uhr
Sigi Maron ist tot
Von Robert Rotifer
13. 8. 2014
a nochd laung auf da autobahn
Wie es dazu kam, dass die Legenden Sigi Maron und Graham Nash in meiner Montagssendung aus Baden bei Wien und Hawaii quasi synchron die Kriegstreiberei anprangerten.
Die schönsten Zusammenhänge ergeben sich meistens von selbst, wie jede/r DJ weiß, der/die je einer Laune oder dem Instinkt folgend scheinbar zufällig Songs in der selben Tonart oder im selben Tempo aus der Plattenkiste, Verzeihung, dem iTunes-Ordner gezogen hat.
Vor einer Woche zum Beispiel. Es war wie jedesmal bei meinem sommerlichen Schwenker über den Kontinent nach Wien, ich hatte mich in den ersten anderthalb Wochen zu viel gehen gelassen, zu viel mit Freund_innen und Verwandten gegessen und getrunken, Dinge auf Morgen verschoben, zu viel ja gesagt zu viel zu guten Vorschlägen, da und dort noch hinzugehen, mit einem halben Plan dafür, was ich so alles in der Sendung am 11. August machen könnte, die im Radio laufen sollte, während ich mich nach der Rückfahrt wieder daheim in der englischen Einschicht ausschlafen würde.
Ich hatte immerhin noch mein Interview mit Graham Nash aus dem Juni über dieses CSNY-Live-Album aus dem 74er-Jahr im Rohschnitt mit dabei. Zwar ein bisschen eine alte Geschichte für Heartbeat-Verhältnisse, aber mit interessantem Hintergrund von wegen pop-historisch verschmähte Stadiontournee und ihre nachträgliche Teilrehabilitation.
Ein paarmal hatte ich das schon verschoben, im Juli war das Album erschienen, dann waren mir Billy Bragg und Berthold Seliger dazwischen gekommen, so geht das.
Und dann saß ich Mitte letzter Woche, all diese Gedanken wälzend, mit der Nuklearfamilie im Auto auf dem Weg über den Wechsel zur Schwiegergroßmutter, und wir hörten „Dynamit und Edelschrott“, das neue Album von Sigi Maron, das zwei Tage zuvor per Post gekommen war.
Spätestens beim zweiten Song, einer mit kurdisch-österreichischen Musikern eingespielten neuen Version der alten Fritz Nussböck-Nummer „S'lebm is hoat in Favoriten“, erst recht bei der als Soul-Walzer angelegten Kevin Coyne-Übersetzung „de wölt is volla noan“ („The World is Full of Fools“) und schon überhaupt nach dem ersten Hören der Zeile „do steckt bluat in mein handy und zu weihnachten spend i mei uroides handy für nachbar in not“ war mir plötzlich klar, was ganz offensichtlich dringend zu tun war, bevor es zurück nach England ging.
Hier schoss doch einer der wichtigsten Songschreiber, den meine Geburtsstadt (und Umgebung) je hervorgebracht hatte, mit voller Wucht aus allen Rohren, Bauch, Galle und Intellekt, und wie er mir bei Song Nummer fünf „waun i de leut do siach“ in dessen mit Peter Turrini gemeinsam gesungenem Refrain unmissverständlich vor Augen führte, weiß man nie, wie viele Möglichkeiten es noch geben würde, ihn für meine Sendung zu interviewen. Denn: „oid werma / boid sterma“
Sigi Maron, der seit seinem Überleben der Kinderlähmung als Zwölfjähriger im Rollstuhl sitzt, lebt nämlich, das ist kein Geheimnis, seit Jahren ständig in der Gefahr, einen tödlichen Riss in seiner Aorta zu erleiden.
Tatsächlich war dieses Album, das ich da hörte, schon im Mai rund um seinen 70. Geburtstag bzw. vor einer schweren Operation erschienen, von der er glaubte, dass sie ihn als „Humanoid“ hinterlassen würde. Das erfuhr ich aus zwei Interviews auf den Websites von mica (Sebastian Fasthuber) und The Gap (Yasmin Szaraniec), bevor ich mich zwei Tage später nach Baden bei Wien aufmachte, um Sigi zu treffen.
Ich hatte ihn 2011 beim Proben für den sogenannten Legendenbrunch kennengelernt, den Ernst Molden in meinem Auftrag als Popfest-Programmaussucher zusammenstellte. Schlagzeuger Heinz Kittner, Walther Soyka, Raphael Sas, der Nino aus Wien, pauT, Marlene Lacherstorfer von Velojet, Ernst und ich übten mit Sigi (nebst Legenden Robert „Chuzpe“ Wolf, Maria Bill, Willi Resetarits und Peter Henisch) seine alten Songs „de spur von dein nokatn fuass“, „schön is des lebm“, sowie den damals neuen „es gibt kan gott“ und Ninos „Du Oasch“ (samt feministischer Kritik vonseiten Sigis im Outro) ein.
Robert Rotifer
Zwischendurch sprachen wir dabei darüber, wie es eigentlich dazu gekommen war, dass einer wie Sigi, der bekennende Anarchokommunist, sich mit seinen Liedern über harte Wochen, alte und neue Nazis, das Leben der Gastarbeiter_innen, die unschöne Realität hinter der scheinheiligen Beislidylle, Korruption in Politik und Geschäftsleben und vertschickte lange Nächte auf Autobahnen erst in den Eh-alles-nur-Schmäh-Austropop-Siebzigern und dann in den Jetzt-noch-einmal-dasselbe-vor-weißen-Kacheln-im-Neonlicht-Achtzigern erfolgreich in die Radiowelt unserer Kindheit schmuggeln konnte.
Und was das alles mit André Heller und dem legendären Ariola-Chef Stephan Friedberg, aber auch mit einer Initiative des Wolfgang Kos von der Ö3 Musicbox und der daraus entstandenen Freundschaft mit dem geistesverwandten Kevin Coyne und dessen Produzenten, Gitarristen und Manager Bob Ward zu tun hatte (der Geschichte mit Konstantin Wecker werd ich mich auch noch irgendwann einmal nähern).
Robert Rotifer
Ich hatte damals nichts von diesen Zwischengesprächen aufgenommen, darüber wollte ich mit Sigi also genauso reden wie über die neuen Songs auf seiner, wie ich den beiden online gefundenen Interviews entnahm, allerletzten Platte. Ich wusste, dass Sigi seine Operation vom Mai besser als erwartet überstanden hatte, sonst wäre er nicht auf diesem gewissen „sozialen“ Netzwerk aufgetaucht, hätte mir nicht seine Platte geschickt und hätte sich nicht mit seiner Band, den Rocksteady All-Stars, fürs Volksstimmefest im Wiener Prater buchen lassen. Dass er spontan und flexibel genug war, mich gleich am Tag meiner Anfrage zum Interview zu empfangen, hatte aber schon was von einer realgewordenen Traumsequenz an sich.
Robert Rotifer
Zwei, drei Stunden nach meinem Anruf bei Sigi saß ich in seiner Wohnung in Baden ihm und einer beeindruckenden Sammlung von Elvis-Porträts gegenüber (die alle seiner Frau gehören), hörte zu, stellte ein paar Zwischenfragen und vergewisserte mich zwischendurch mit einem vorsichtigen Blick auf mein Aufnahmegerät, dass ich nicht eine meiner potenziell spannendsten Sendungen der letzten fast zwei Jahrzehnte verlieren würde. Sigi erzählte, assoziierte und setzte Pointen, hinter die jeweils ein Song aus seinem Repertoire der letzten 38 Jahre perfekt passen würde.
Radio-Gold ist eine heikle Substanz, zumal wenn abhängig von der Magnetisierung eines Datenträgers. Schon beim Nachhausefahren hat's mich also gejuckt, ich blieb in einer Seitengasse stehen, zog mein Laptop raus und speicherte sicherheitshalber alles noch einmal ab.
Die Überraschung kam dann beim Ankommen zu Hause. Ich hatte vorher schon beschlossen, Graham Nash nicht noch einmal zu verschieben, schließlich deckte sich der Sendetermin auf nur zwei Tage genau mit dem Rücktritt Präsident Richard Nixons am 9. August 1974 unter dem Druck der Eskalation des Watergate-Skandals, ein auf dem „1974“-Album von der improvisierten kleinen Neil Young-Nummer „Goodbye Dick“ (vor 70.000 herzhaft applaudierenden Hippies) und Nash's „Grave Concern“ (mit David Crosbys Zitat von Nixons Stehphrase „I don't recall“ aus den Untersuchungsausschussprotokollen im Intro) dokumentiertes Ereignis.
Wie in Graham Nash's Memoiren „Wild Tales“ nachzulesen, hatten CSNY den Sommer über ihre Zeit in diversen Stadiongarderoben eben nicht nur mit Koksen und Ausschweifungen, sondern unter anderem auch damit zugebracht, die Regierungskrise im Fernsehen zu verfolgen.
Rhino
Was ich aber schon fast vergessen hatte, ist mit welchem hörbaren Zorn Graham Nash sich bei meinem Interview, geführt am 12. Juni, also just an jenem Tag, da ISIS in Mosul einmarschiert war, über die Kriegspolitik seiner Wahlheimat ausgekotzt hatte. Sicher, er hat dann noch ein bisschen zurückgerudert und versöhnlich betont, was für ein herrliches Land er sich ausgesucht hatte (er ist ja auch schon 72, wer weiß wie versöhnlich der nur 70-jährige Sigi Maron in zwei Jahren klingen könnte), aber so weit war der Weg da plötzlich gar nicht vom Rockstar-Domizil in Hawaii zu einer Wohnsiedlung am Rand von Baden bei Wien. Ein schöner Bogen spannte sich da ganz unverhofft über eine im Moment ziemlich hässliche Welt.
Eigentlich höre ich mir die eigenen Sendungen, wenn sie einmal fertig sind, ja nicht mehr an. Aber in diesem Fall, im Auto auf der Nachtfahrt zurück nach England, war das anders; schon allein wegen der unwiderstehlichen Gelegenheit, irgendwo zwischen Nürnberg und Frankfurt „a nochd laung auf da autobahn“ zu hören. Den Kindern hat's jedenfalls gefallen.