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Lisa Schneider

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27. 7. 2016 - 14:00

"Atlas der unentdeckten Länder"

"Mit jeder Zigarette, die man an einer Kerze anzündet, stirbt ein Seemann." - diese und andere Weisheiten erzählt uns Dennis Gastmann in seinem Reiseabenteuer. Er ist sehr unterhaltsam.

Dennis Gastmann, ehemaliger TV-Journalist und mittlerweile Reisebuch-Bestsellerautor, hat seinen "Atlas der unentdeckten Länder" veröffentlicht.

Daniel Gastmann

Frank Zauritz

Dass er in einem der Kapitel schnell auch einmal zum König eines der breiten Masse nicht näher bekannten Reiches gekrönt wird, ist nur eine der vielen Skurrilitäten im Laufe seiner Abenteuerreise. Unter anderem durch exotische Orte wie Akhzivland, Karakalpakstan oder das Emirat Ra’s al-Chaima.

FM4 Buch

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Mein Land heißt Ladonien. Seine Flagge schmückt ein grünes Kreuz auf grünem Grund. Seine Nationalhymne ist das Geräusch, das ein Stein macht, wenn er ins Wasser plumpst (…) unsere Zeitzone hinkt der mitteleuropäischen um drei Minuten hinterher, und unsere Währung besteht aus nur einer Banknote, dem Fünfhundert-Milliarden-Örtug-Schein. Deshalb zahlen wir unsere Steuern nicht in Form von Geld, sondern von Kreativität.

Ladonien ist dabei aber leider unbewohnt - die Bevölkerung besteht nämlich lediglich aus Nomaden. Selbst über den Staatsgründer ist wenig bekannt, weil dieser leider untertauchen musste. Eine "absurde fusselbärtige Bananenrepublik" hat ihm den Krieg erklärt, der Islamische Staat hat eine Belohung auf ihn ausgesetzt. Er habe den Propheten Mohammed gezeichnet, und zwar als Hund.

Ich war wirklich da!

Auch wenn der Titel kurz an Christoph Ransmayrs introvertiert-reflexiven "Atlas eines ängstlichen Mannes" erinnert, geht Gastmanns Buch in eine ganz andere Richtung. Der Autor und Protagonist ist ein allzeit gutgelaunter, twitterfreundlicher Reisender, Vertreter des sogenannten "Gonzo-Journalismus". Dieser zielt auf eine extrem subjektive Erzählweise, ganz nach dem Motto: Ich war in der ersten Reihe dabei.

Sehr eindrücklich beschreibt Gastmann gleich zu Beginn eine Schifffahrt unter widrigsten Bedingungen - man hört dabei wirklich beinahe Captain Ahab mit seinem Holzbein auf die Dielen klopfen. Aber selbst diese literarisch sehr schönen Momente werden, wenn auch subtil und selbstironisch, meist im selben Moment entmystifiziert.

Dort, so sagen die Schwärmer, ziemlich genau in der Mitte des Pazifischen Ozeans, werden die Träume der Menschheit geboren. Und dort, so sagen die Spötter, werden sie auch wieder begraben.

Coverbild Gastmann

Rowohlt

Der neueste Roman von Dennis Gastmann ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Unentdeckt sind die Länder, die Dennis Gastmann beschreibt, dabei höchstens für Mitteleuropäer. Was wildromantisch und oft sogar erfunden klingt, ist meist einfach nur medial in Vergessenheit geraten: die Gambier-Inseln, Usbekistan, das Emirat R’as al-Chaimah. Dennis Gastmann hat sich diese geheimnisvollen Orte dabei nicht nur wegen ihrer Abgeschiedenheit ausgesucht, sondern offensichtlich auch wegen der Situationskomik, die sich auf solch extremen Reisen oft ergeben kann.

Etwa, wenn auf dem Schiff Claymore auch der Hund einer High Lady mitreisen muss, allerdings kein richtiger der bellt und beißt und Katzen frisst. Murphy, wie ihn Stella, sein Frauchen, rief, war ein nackter, schlotternder Strich von einem Lebewesen, das den Schwanz einzog und wohl an Morbus Basedow litt - es schien, als könnten seine Augäpfel jeden Moment aus ihren Höhlen ploppen.

Oder, als er auf Pitcairn landet - der Insel, die angeblich die letzten Nachfahrer der prominenten Bounty-Meuterer beherbergen soll: Die Einwohner warteten am Ufer. Alle vierzig. Reizende, fluchende, übergewichtige Paradieskinder.

Eine Leseprobe als Download gibt es hier.

Von taumelnden Herrschern und trotziger Überlebenskunst

So amüsant und mit popkulturellen Referenzen an die Simpsons oder etwa die Fernsehserie "Better call Saul" (der weniger berühmte Nachfolger von "Breaking Bad") die Geschichten auch gespickt sind, bleiben sie keineswegs nur an der Oberfläche kleben: Oft überraschend bissige und unkonventionelle Gedankenverbindungen retten die Erzählungen davor, an mancher Stelle ins rein Karikaturistische abzudriften.

Wenn etwa der Piratenkapitän Bligh, der Anführer der Bounty-Meuterer, als "überforderter CEO" beschrieben wird, einer von denen, die so lange nach oben gelobt wurden, bis sie hilflos mit den Armen rudernd von ihrem hohen Posten in den Abgrund blicken oder zynisch die Zustände in Karakalpakstan betrachtet werden: Neben der Korruption hatte offensichtlich auch die Solidarität den Sozialismus überlebt. Je perverser ein System, desto mehr rücken die Menschen zusammen. Sie teilen Brot, Leid und Feinde - das ist kein Kitsch, das ist die Kunst des Überlebens.

Keine Bruchlandung

Dennis Gastmanns "Atlas der unentdeckten Länder" ist ein gut recherchiertes und deshalb sehr detailreiches Buch. Das Schönste daran ist, dass man beim Lesen das Gefühl hat, man wüsste ungefähr, wie viel Spaß der Autor beim Niederschreiben selbst hatte.

Wer würde nicht einmal gerne mit der "Air Maybe" Richtung Frankreich-Polynesien fliegen, gemeinsam mit Wrestlinglegenden, über und über tätowierten Kickboxern und einem Piloten, der lieber an der Bar als am Cockpit sitzt? Oder besucht den mittlerweile kränklichen Künstler Savitsky in Nukus, Karakalpakstan, und sieht sich mit ihm die größte Kunstsammlung der russischen Avantgarde außerhalb St. Petersburgs an?

Auch, wenn einem dieser Atlas keine wirklich tiefgründigen geografischen Kenntnisse vermittelt, ist er ein wunderbar gewitztes Sammelsurium an kuriosen Geschichten - für den Strand, die Hängematte oder die Badewanne. Einen zusätzlichen Pluspunkt bekommt es auf alle Fälle dafür, dass an Selbstironie bis zum Schluss nicht gespart wird:

Allerdings fürchte ich, dass mir kein Mensch glauben wird, dem ich die Geschichte unserer Flucht erzähle. Dabei ist sie so wahr wie jedes Wort in der Bibel - und beinahe jedes in diesem Buch.

Amen!