Erstellt am: 17. 7. 2016 - 10:20 Uhr
Wald & Wiesen
Ein ganz besonderer Festivalbesucher hat den Titel des Out Of The Woods gestern ein wenig zu genau genommen: Ein Reh ist nämlich raus aus den Wäldern und rein ins Festivalgelände, wo es ein paar Momente lang friedlich zu den Klängen der auftretenden Bands zwischen gemütlich Bier trinkenden anderen Festivalgästen gegrast hat.
So harmonisch war also der erste Tag am Festival in Wiesen, auch die Nacht am Campingplatz war eine ruhige, zumindest partytechnisch, das Wetter - und vor allem der starke Wind - haben die Zeltwände ziemlich durchgebeutelt leider. Aber alles ist gut und man ist bereit für den aufregenden, zweiten Tag. Und obwohl Tocotronic gestern noch "Samstag ist Selbstmord!" gesungen haben, ergeben wir uns heute an diesem Festivalsamstag mit Vorfreude dem Ausgehzwang.
Christian Stipkovits
Aurora
Die junge Norwegerin bespielt bereits um 16 Uhr die Hauptbühne beim Out Of The Woods. Anfangs sagt sie nichts zwischen den Songs, doch auf ihrem Gesicht zeichnet sich bereits ein Grinsen ab, eines, das bis zum Ende des Konzerts immer breiter wird. Denn Aurora ist überwältigt: "You are so much more people than I thought you would be." Und es stimmt - trotz früher Stunde sind so viele Menschen gekommen, wie auch ich es noch nie bei einem Konzert am Nachmittag auf einem Festival erlebt habe.
Als sich die Überwältigung gelegt hat, sprudelt es dann auch aus ihr heraus: Beim Ankommen in Wiesen sei ihr sehr kalt gewesen, sie hoffe, uns sei wärmer. Kurz denke ich, dass die im norwegischen Stavanger geborene Aurora doch strengere Temperaturen gewohnt sein muss, und da singt sie es auch schon: "My tears are always frozen. I see the air I breathe."
Hinter der Sängerin bäumt sich ein dunkler Wald auf, in den es mich während des Konzerts fast hineinzieht. Als ihr wunderbares Set endet, habe ich vergessen, dass es noch hellichter Tag ist, und auch der Festivalbesucher neben mir wundert sich, als er sich umdreht: "Wo kimmt denn des Liacht daher?" Schön war es in Auroras musikalisch-dunkler Welt, die aber zwischen den Songs durch ihr lichtes Wesen aufgehellt wurde. Nicht nur sie war von uns überwältigt, wir auch von ihr.
The Crispies
"Too Stoked To Die" steht auf Sänger Tino Romanas Jeans-Jackett, als er mit seiner Band The Crispies die zweite Bühne an diesem zweiten Festivaltag eröffnet. Der Schlagzeuger trägt ein Ruderleiberl, die anderen kecke Frisuren und enge Hosen - alles scheint nach rockiger Boyband zu schreien, doch The Crispies sind genau das nicht.
Sie leben in der Überzeichnung, in der Übertreibung des Rock-Klischees, vor allem jenem Klischee des männlichen Macho-Rockers: "Das ist genau das, was mich stört bei Rock." Fast queer könnte man ihren Zugang nennen. Dass sie echten Rock'n'Roll machen, steht aber außer Zweifel. Eine österreichische Band, die man sich merken muss.
Me And My Drummer
Charlotte Brandi, ihres Zeichens das "Me" im Bandnamen Me And My Drummer, hat heute überraschenderweise das Keyboard und die Synthies gegen eine E-Gitarre getauscht. "Wir mögen gerade das mit der E-Gitarre sehr, weil es uns auf eine andere Art ermöglicht Energie freizusetzen", erzählt Matze Proellochs im Interview mit Eva Umbauer.
Sie wollen wandelbar bleiben und ihre Konzerte sollen sicht- und hörbar voneinander unterschieden werden können. Das letzte Album der Band trägt den etwas seltsamen und gerade deshalb so schönen Titel "Love Is A Fridge" und zwar deshalb, weil eine Wahrsagerin gemeint hat, dass Charlotte wie ein Eisschrank sei. Davon spürt man bei ihrem Konzert jedenfalls nichts, da strahlt nur Wärme von der Bühne.
Eagulls
Ein unerwartetes Highlight des Festivals ist diese Band aus Leeds, deren Frontman sowohl an Suede-Sänger Brett Anderson (die Haare, der Hüftschwung), als auch an Joy-Division-Sänger Ian Curtis erinnert. Trotz der äußeren Ähnlichkeiten ist der Sound der Eagulls aber ein ganz eigenständiger. Wunderbar verklärter Shoegaze Rock.
Und da passiert es auch, dass der Security zum ersten Mal an diesem Wochenende mein Backstage-Band nicht kontrolliert, weil er ganz verträumt auf die Bühne starrt. So ist das mit der Musik der Eagulls, sie eignet sich gut zum Träumen.
Band Of Skulls
Was reimt sich gut auf Eagulls? Genau: Band Of Skulls. Die spielen ein solides Set ohne viel Tamtam, hier gibt es visuelle Eindrücke:
Annenmaykantereit
Als ich am Nachmittag am Campingplatz unterwegs bin und die Besucher_innen frage, auf wen sie sich heute freuen, kommt meistens nur diese Antwort: "Annenmaykantereit!" Irgendetwas muss diese Band also richtig machen. Beim Song "Pocahontas" werden Girlfriends auf die Schultern genommen und Plakate in die Luft gehalten - wenn jemand in Ohnmacht geflogen wäre, hätte es mich nicht gewundert. Der Take-That-Effekt lässt grüßen.
Annenmaykantereit, die jetzt zu viert sind (alle fragen sich natürlich, wie der neue Bassist mit Nachnamen heißt), spielen all ihre Hits und covern sogar "Come Together Right Now" von den Beatles. Als Gast kommt ein Trompeter auf die Bühne, der nicht nur sein Instrument beherrscht, sondern noch dazu wie ein Skispringer in die Hocke geht, kurz bevor er seinen Einsatz hat. Es werden Zugaben eingefordert und auch gegeben, hier bleibt keine Rechnung offen.
Crystal Castles
Ein Satz von meinem Freund C. fasst das Stroboskop-Gewitter namens Crystal Castles hervorragend zusammen: "11 Uhr abends hat sich noch nie so arg wie 4 Uhr früh angefühlt." Absolut. Ein hervorragender Abschluss eines rundum gemütlichen Festivals.
Und am Ende gibt es schon wieder tierische Besucher_innen: Fledermäuse fliegen durch das Gelände, bis zum nächsten Festival gehört ihnen jetzt wieder ganz Wiesen.