Erstellt am: 16. 7. 2016 - 12:49 Uhr
Zwischen den Konzerten: Pokémons, Brexit und Nizza
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Jeden Sommer lockt eine der traditionsreichsten Festival-Locations des Landes: Wiesen im Burgenland. Das Out Of The Woods Festival ist heuer zum ersten Mal am Start und bringt Neues wie eine zweite Bühne: Dort wo bei all meinen Wiesen-Besuchen die, äh, unsäglichen Dukaten Chips wohnten, spielen jetzt Bands. Eine sehr gute Idee. Die Dukaten Chips, das harte Putenfleisch und der kalte Reis sind raus, reingekommen sind die Newcomer wie etwa der höchst entzückende Brite Oscar oder Indierock-Dauerbrenner wie díe Schweden Friska Viljor.
FM4 / Christian Stipkovits
Um 17 Uhr geht es los auf der kleinen Bühne, während auf der Hauptbühne schon um 14 Uhr die österreichische Band Purple Souls beginnt, gefolgt von einer weiteren heimischen Band: The Beth Edges und den Briten Nothing But Thieves. Zeit für ein vegetarisches Curry als früh-nachmittägliches Mittagessen. Es schmeckt gut, vor allem die Kartoffeln sind wirklich gut. Alles neu in Wiesen, und doch die für Einige von uns so vertraute Umgebung. Die Atmospäre ist entspannt, ja, liebevoll.
Dukaten Chips ade, eine neue Ära hat begonnen, auch wenn eine Band wie Maximo Park zu den seit über einem Jahrzehnt etablierten, routinierten Livebands gehört. Sänger Paul Smith nimmt seine Sache ernst, er ist bereits am Vortag aus England nach Wien geflogen - um entspannt am Festival zu erscheinen. In Wien war er im Kino und an einem seiner Lieblingsplätze, dem Museumsquartier. Zum Out Of The Woods kommt dieser beredte, quirlige Mann wie aus dem Ei gepellt, samt dem obligaten Hut. Der Keyboarder von Maximo Park hingegen, Lukas Whooller, ist verspätet. Ob er es überhaupt schaffen wird? Anfangs steht er dann tatsächlich nicht an seinem Keyboard auf der Bühne, und Paul meint, dass sie "ihren Pianospieler nicht haben". Aber Lukas kommt noch und steigt im Set ein. Alles perfekt wie immer nun bei Maximo Park, samt Schlusssong "Apply Some Pressure". Zufriedenes Indierock-Headbanging im Publikum.
Ähnlich erging es dem britisch/französischen Duo Postaal. Was Verspätung betrifft, mein ich. Postaal sind vielversprechende Newcomer aus Paris: ein Brite, Dennis, und ein Franzose, Hervé. Sie spielen um 17 Uhr auf der kleinen Bühne: Zwei Männer mit Zorn und Leidenschaft in den Körpern, deren Köpfe erst Kapuzen bedecken. Zuhause im Studio, wenn sie Songs aufnehmen, haben sie "echte" Instrumente wie ein Schlagzeug oder eine Gitarre. Heute stehen sie am Keyboard, drehen Knöpfe und drücken Tasten, und was man sonst so macht als modernes Electronic-Duo, das im Herzen aber eine Rockband ist. Eine komplette Band mitzubringen hätte Postaal heute zu viel gekostet.
Am Flughafen in Paris waren lange Wartezeiten wegen verstärkter Kontrollen, wegen dem Terroranschlag in Nizza am Abend davor. Es ist schwer für uns heute zu spielen, sagt Dennis von Postaal auf der Bühne: "Die Familie meiner Freundin, sie lebt in Nizza." Der Familie ist nichts passiert. Trotzdem. Im Interview nach dem Gig sprudelt diese französisch-englische Freundschaft über. Hervé und Dennis, kein Brexit wird sie auseinander bringen. Tolle Band aus dem Metronomy-Umfeld. Bitte veröffentlicht bald ein Album!
Oscar, der junge Brite, ist wie gesagt eine Freude. Buntes Gewand, rote Turnschuhe, intelligenter sweet Indierock mit kompletter Band. Wer sein Album noch nicht kennt, please check it out! Oscar Scheller aus London ist ein quintessentieller britischer Musiker. Ein junger Damon Albarn, ein junger Morrissey gar? Am Out Of The Woods spielt Oscar zeitgleich mit Boy, was etwas schade ist, aber man kann ja hin und her gehen zwischen beiden Bühnen, ist ja nur ein Katzensprung. Und wir wollen Oscar ohnehin unbedingt wiedersehen: Bitte eine Clubshow im Herbst!
Schon ganz bald sehen wir die US-Band Cigarettes After Sex wieder, bei einem Wien-Konzert. Ein wunderschönes Dreampop-Konzert spielt die Band nach Oscar auf der kleinen Bühne am Out Of The Woods. Die überdachte Bühne ist nun eine Art wohlig-angenehme Höhle, denn draußen ist es jetzt kühl. Gut so, keine Hitze, aber auch kein Regen. Tocotronic spielen gerade. Bitte um Verzeihung, eure Festivalschreiberin ist bei dieser großen Hamburger Band circa bei "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk" stehen geblieben. Unfassbar, aber wahr. Dafür weiß Kollegin Katharina Seidler aber über den Tocotronic-Auftritt vor Two Door Cinema Club zu berichten:
Er habe schon den ganzen Tag am Gelände Pokémons gejagt, sagt Dirk von Lowtzow, wie immer makellos in dunklem Hemd und grauem Jackett, und dass man froh sein müsse, das gewisse Politker nicht im Amt seien, denn dann dürften sich so exotische Kreaturen wohl nicht mehr ungestört hier bewegen. Es folgt als Hymne an Vielfalt und Außenseitertum "Hi Freaks", und wie immer fliegen ab den ersten Tocotönen alle Herzen in Richtung Bühne. Nachdem die Band zur Zeit eher nur vereinzelte Shows mit ausführlichen Exkursionen in vielleicht weniger bekannte Nummern spielt, haben sich die Bandmitglieder bei einem der wenigen Festivalslots dieses Jahres, der naturgemäß zeitlich begrenzt ist, auf ein Programm aus "Hits-Hits-Hits" (C) Dirk v.L. geeinigt. Im Publikum gibt es fast augenblicklich von Anfang an und bis zu den letzten Tönen der Zugabe aller Zugaben, "Freiburg", ein Moshpit, und das sogar bei "Zucker", einem Song mit dem Text "Du bist aus Zucker, du bist zart, Du schmilzt dahin, du wirst nicht hart. Darling, Candy, Parzival, trinkst Cherry Cola aus dem Gral, mit spitzen Fingern - Nagellack, Du bist ganz sicher too crunk to fuck". Falls man es noch nicht gewusst hat: Tocotronic sind alles.
Wie immer schön und perfekt: Boy. Das deutsch-schweizerische Duo steht am frühen Abend auf der großen Bühne. Schon wieder ist fast ein Jahr vergangen seit ihrem "We Were Here"-Album. Drive, darling, drive, singt Valeska Steiner. Die Kraft der Musik, sie wird dringend benötigt. Im FM4-Interview vor dem Konzert reden Boy über den Terroranschlag von Nizza und den Brexit. "Wir diskutieren viel", sagt Bassistin Sonja Glass, "und das kann uns dann schon mal traurig machen, kurz bevor wir auf die Bühne gehen."
Um das Thema Brexit komme ich im Interview mit dem nordirischen Trio Two Door Cinema Club nicht umhin, obwohl die Band eigentlich gar nicht ständig darüber reden möchte. Alle drei der Band - Alex Trimble, Kevin Baird und Sam Halliday - stimmten für den Verbleib in der EU. "Wir wagen gar nicht daran zu denken, ob nun in Nordirland wieder die Gewalt ausbrechen könnte, zwischen jenen Menschen, die sich zu Irland zugehörig fühlen, und denen, die sich zu England und Großbritannien zugehörig fühlen", sagt Bassist Kevin Baird.
Sobald Two Door Cinema Club aber die Bühne betreten, sind die trüben Gedanken weg und los geht´s, samt der neuen Single "Are We Ready? (Wreck)", auf die im Herbst nach vier Jahren Pause endlich wieder ein neues Album folgt. Indierock? Future Funk? It´s all in a day´s work für den Two Door Cinema Club. "It´s too late, it´s too late", singt Rotschopf Alex Trimble sehnsuchtsvoll. Und damit wir jetzt von vor der Bühne stehend nicht direkt in die kühle Nacht hinaus gehen müssen, The Very Best spielen uns auf der kleinen Bühne noch mit einem Live-Set hinaus. The Very Best, das sind jene Musiker aus London - darunter ein Brite, ein Schwede und ein Afrikaner aus Malawi - mit diesem Song "Warm Heart Of Africa", die zuletzt zusammen mit Mumford And Sons ein Minialbum veröffentlichten. Also, The Very Best genießen und sich auf Tag zwei des Out Of The Woods freuen: mit dem deutschen Duo Me And My Drummer, der Norwegerin Aurora, den BritInnen Band Of Skulls oder dem kanadischen Electronic-Rock-Duo Crystal Castles.