Erstellt am: 14. 7. 2016 - 17:20 Uhr
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Himmerhunde auf dem Weg zur Hölle
Hinter der Vorlage zur TV-Serie "Preacher" verbirgt sich eine der besten Comicserien aller Zeiten. Eine kleine persönliche Lobpreisung von Christian Fuchs
Stets steht die Hitze unerbittlich in der dürren Landschaft. Viel gibt es nicht zu tun in einer texanischen Kleinstadt, mal geht man in die Kirche, mal schiebt man sich im Diner deftige Grillwaren in den Mund, Barbecue, Whiskey, Schießgewehr.
Nach sieben bislang ausgestrahlten Episoden schaukelt die Ende Mai angelaufene TV-Show "Preacher" nach wie vor gemächlich, ab und an dann doch einen Tick aufgebrachter, dem Ende ihrer ersten Staffel zu und ist bislang noch kaum irgendwo angekommen, schon gar nicht bei sich selbst.
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Die vage, sehr vage auf der gleichnamigen, großartigen Comic-Reihe (mehr dazu hier von Christian Fuchs) fußende Serie versprüht dabei jedoch nicht überlaufenden Wahnsinn und geiles Chaos, sondern bloß das laue Aroma von okayem Handwerk. Die von den "Preacher"-Fanboys Seth Rogen und Evan Goldberg entwickelte und produzierte Show stellt sich ostentativ als Flickwerk aus und kann nicht anders als angesichts der eigenen Hyperreferenzialität verschmitzt dreinzublicken. Das ist oft nicht schlecht.
Angenehm und easy-going swingt der "Preacher" dahin – was von der Comic-Vorlage mit seinem dunklen Humor, seinen Perversitäten, seinem Körper-Horror, seiner Gewalt, seinen zerplatzenden Schädeln, seinen sexuellen Eskapaden, der derben Sprache jenseits alle Etikette, all seiner dampfenden Düfte und Saucen nicht zu behaupten ist.
In der zweiten Episode des "Preacher" lässt sich der irische Vampir Cassidy - eine der Hauptfiguren - bei seinem Homie und Titelhelden Jesse Custer darüber aus, dass "The Big Lebowski" von den Coen Brothers doch maßlos overrated sei. In Episode 7 schauen der Preacher und Cassidy nach einem Blutgemetzel ihrer Wäsche beim Rotieren in der Waschmaschine zu, in Unterhosen, Bier trinkend, und meinen, diese Situation sei doch fast so wie in "Pulp Fiction". So funktioniert "Preacher".
Pop-geschult und überschult hangelt sich die Show durch Situationen und Szenen, die so sind "wie", schiebt sich von einem fein ausgeleuchteten Set-Piece ins nächste. Gerade aber vom Comic selbst muss man diese Serie als fast völlig abgekoppelt sehen. Werktreue ist egal, die Show existiert außerhalb, hat bislang bloß die Hauptfiguren, diverse Nebenfiguren und zentrale Motive aus der Vorlage übernommen, deutet sie mal freier, mal enger am Comic, mal komplett neu und hat auch die Chronologie durcheinandergewirbelt und Handlungsstränge anders gelegt.
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Die Comicreihe entwickelt sich schnell zum rasanten und wirren Roadmovie, in dem der trink-und prügelfeste Preacher, seine ewige Liebe Tulip und Kollege Cassidy zu weiten Teilen niemandem geringeren als Gott himself auf der Spur sind, um ihm die Leviten zu lesen. Zwischendurch trifft man auf religiöse Weltverschwörer, sadistische Hinterwäldler, Sexdetektive, gegerbte Cowboys, grindige Wurstfachverarbeiter und sonstige Wahnsinnige. In der Serie beschränkt sich alles bislang auf das Szenario "Kleinstadt" und die örtlichen Querelen mit einem kriminellen - für Kleinstadtverhältnisse - Großunternehmer.
Dominic Cooper gibt Castingfehlgriff zum Trotz den gern raubeinig sich gerierenden Preacher mit übertriebenem Stachelhaar, Kippe im Mund und doch goldenem Herzen recht souverän. Nach krimineller Vergangenheit, die bislang in der Show noch nicht näher erforscht ist und üblicherweise nicht auf eine Zukunft im Gottesdienst hindeutet, möchte der Preacher nun seinen Schäfchen im Dorf den Glauben näherbringen – oder redet sich das zumindest ein.
Die äthiopisch-irischstämmige Schauspielerin Ruth Negga hingegen will in der Rolle der rasanten Tulip - im Comic Blondine - den guten, alten Jesse – einst Lover, Lover for Life und Partner in Crime – auf den guten, alten Weg des guten, wilden Lebens zurückführen. Schlingel Joe Gilgun ist als räudig-schelmischer Sidekick Cassidy, der vornehmlich bloß so rumhängt, nah dran an der Idealbesetzung.
Seth Rogen, Evan Goldberg und ihr Team entwerfen ein sonnendurchflutetes Texas, das in Büchern steht. Man kann den Dunst greifen. Alles will hier "Süden" sagen und macht das auch ganz gut. Die Show nähert sich immer wieder der Überzogenheit der Coens, kennt aber die feine Grenze nicht. Bittersüße Loner-Romantik wie in "Justified", in den Südstaaten eine Camp-Ästhetik aufspüren wie "True Blood", Kleinstadtkriminalität und und Kleinstadtquirkiness in Anlehnung an "Fargo", die Serie, ein bloß als Ironie und Blutlust verstandener Quentin Tarantino.
Langsam kommt Drive in die Angelegenheit, nicht bloß Kulissen leuchten, Plot taucht auf im schwülen Sittengemälde, Zusammenhänge werden klarer: Der Preacher ist von einer übermächtigen, hochgefährlichen, ihrem himmlischen Gefängnis entkommenen Existenz beseelt, dem Ergebnis einer verbotenen Liebesnacht zwischen einer Dämonin und einem Engel. Zwei andere Engel - Engel wie in "Engel" - in Menschengestalt wollen nun das Wesen aus dem Preacher und zurück in sichere Verwahrung befördern und sorgen verlässlich für die Faktoren "Macken", "Comic Relief" und "schräge Typen".
Bei allem tolldreisten Hantieren mit schrillen Symbolen und Signifiern bleibt die Serie brav, bewusst auf Mehrheitsfähigkeit runtergedimmt. Es fehlen: mehr Schwarz, mehr Schweiß, mehr Gift und Körpersaft, Brutaliät, Weirdness, der Ausdruck des außerweltlichen Inhalts in der Form. "Preacher" ist ein sexy ausstaffierter Zeichenfriedhof, unter dem nicht viel begraben liegt. Die Oberfläche kann man sich schön anschauen. Die Show zeigt Bilder, von denen sie schon weiß, dass wir schon wissen, wie sie gemeint sind, und zwinkert uns dabei verschwörerisch zu.