Erstellt am: 16. 7. 2016 - 13:25 Uhr
An einem hellen Morgen ging ich fort
So ein gutes Buch übers Reisen - es wohnt bei mir seither in der Herzgegend:
„An einem hellen Morgen ging ich fort“ wurde von Laurie Lee 1969 geschrieben. Der hiesige Milena Verlag hat es in einer frischen Übersetzung neu aufgelegt.
Milena Verlag
Aufbruch von daheim
Der Brite Laurie (Lawrence) Lee verlässt mit 19 Jahren sein Dorf Slad in den Cotswolds (...wo es so aussieht wie bei uns im niederösterreichischen Alpenvorland und wo damals nur arme Bauern wohnten und nicht wie heute Kate Moss, die mit ihren Schlagzeug-Übungsstunden ihre Nachbarn in deren Millionenvillen terrorisiert), um zu Fuß zuerst nach London und dann quer durch Spanien zu gehen - das alles Mitte der 30er Jahre.
Also bevor Autos auf den Landstraßen weit verbreitet waren und bevor die armen Fischerdörfer an Spaniens Küste den Tourismus entdeckten. Die Welt von damals leuchtet, staubt und krakeelt dank Laurie Lee in den buntesten und überraschendsten Vergleichen und Beschreibungen. Lee ist ein Poet und jeder Satz hat seinen ganz eigenen Swing.
„…auf dem Weg aus der Stadt ging ich in eine Marktbude und ließ mich fotografieren. Das Bild wurde in weniger als einer Minute in einem Eimer entwickelt und hat sich über dreißig Jahre gehalten.
Ich habe immer noch einen Abzug dieses Sommergespenstes vor mir - ein blasser, öliger Schatten, elegant vor eine Landschaft aus brüchiger Leinwand postiert, die abgetragene Kleidung von Staub überpudert. Es trägt einen schäbigen Schlapphut, schwere Stiefel, ausgebeulte Hosen; Zelt und Geige über die Schulter gehängt, und aus dem leeren Gesicht starrt, so gelblich-weiß wie Eier, ein Paar Augen, unausgebrütet
und heute nicht mehr zu erkennen.“
Glück und Charme
Lees Entscheidung zu Fuß zu gehen ist eine romantische - er hätte ja auch einfach den Zug nehmen können. Geld hat er keines vorab gespart - als Künstler hat er einfach seine Geige mit und erfiedelt sich an den Straßenecken Almosen. (Also immer Straßenmusikanten Geld geben, die brauchen es und man weiß ja nie, vielleicht sind das Renaissance-Menschen wie Lee, der auch noch malen konnte.
Nonpareil Books
Laurie verlässt sich auf sein Glück und seinen Charme und wandert alleine oder mit Landstreichern und Arbeitslosen und landflüchtigen Bauern über die Landstraßen und Berge und übernachtet viel im Freien. Im Sommer 1935 führt das inmitten der spanischen Kornfelder natürlich zum Hitzedelirium und man ist froh, wenn man an einen Gasthof kommt. Spanien ist arm und desolat und Gasthöfe haben entweder nur Stroh als Bett oder zweifelhafte Betreiber.
„Die schmale Treppe triefte von schmierigem Fett und stank nach fiebrigem Moder. Sie schien eigens dafür gemacht, den Besucher in Depressionen oder gar in den Wahnsinn zu treiben. Ich erklomm sie halb trotzig, halb ängstlich, während der Säufer hinter mir herkeuchte. Auf halbem Wege saß in einer Nische noch ein kleines blasses Kind, das aus einer Kartoffel eine Puppe schnitzte; als wir herankamen, wandte es sich um, sah uns erschrocken an und biss den kleinen Kopf ab.“
Cádiz
Laurie Lee trifft auf seinem langen Weg englische Poeten im Exil, etliche Mädchen, deutsche Straßenmusikerkollegen und heilige Narren. Das rückständige Spanien glüht im religiösen Wahn, in den Wangen der Betrunkenen und den vereinzelten Glühbirnen.
CC BY 2.0, flickr.com, User: cudipeich / José Antonio Cartelle
„Sie erzählten mir von Familien, die in den Tavernen Fischreste von den Fußböden schabten und zu Haus Suppe daraus kochten; von anderen, die davon lebten, dass sie Katzen und Hunde fingen und sie über Feuern aus Schwemmholz brieten.
Sie führten mich eines Abends sogar zu einem Mietshaus an der Kathedrale und zeigten mir dort einen heulenden Mann auf dem Dach, der vorgab, ein Geist zu sein, um den Hausbesitzer in Angst und Schrecken zu versetzen und so zu bewirken, dass er die Mieten herabsetzte.
Ich war bisher von romantischen Vorstellungen vernebelt durch Spanien gereist, doch als ich in den Süden kam, wurde der Geschmack des Landes immer bitterer.
Cádiz war damals nichts anderes als ein verrottendes Wrack am Rande eines von Krankheiten heimgesuchten tropischen Meeres; mit verzweifelten, halb wahnsinnigen Bewohnern; nur durch ihren Sarkasmus getröstet, mehr Gefangene als Bürger.“
Spanische Geschichte zum Hören.
Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges ist genau 80 Jahre her:
18. Juli 1936.
1. Jenseits der Mythen von Helden und Banditen (Martin Haidinger Ö1)
2. Vorspiel zum zweiten Weltkrieg (Martin Adel Ö1)
Armes Spanien
Schließlich, als er schon der der Küste in Almunécar anlangt, gerät Laurie Lee auch noch mitten in den spanischen Bürgerkrieg... Aber das möchte ich nicht spoilern.
„An einem hellen Morgen ging ich fort” von Laurie Lee ist erschienen beim Milena Verlag und hat praktischerweise auch noch ein Prequel- und ein Sequelbuch, die ich als nächstes lesen möchte. Alle spielen sich ab, bevor der Autor 23 Jahre alt wird.
Bücher, die so ähnlich sind wie „An einem hellen Morgen ging ich fort”:
Pan Books
Jack Kerouac - „On the Road”
Hier ist das Herumstrawanzen junger Männer und Frauen quer durch die USA motorisiert, und es werden bedeutend mehr Drogen konsumiert als nur Alkohol.
J.R.R.Tolkien - „The Hobbit, Or: There and Back Again”
Ahnungsloser junger Halbling verlässt sich auf sein Glück und geht auf Wanderschaft. Am Ende wird es auch brenzlig.
Stefan Zweig - „Die Welt von Gestern”
Ahnungslose junge Männer rennen in der Hochzeitsnacht kreischend zu ihren Eltern zurück, weil ihnen niemand gesagt hat, dass Frauen Schamhaare haben - und andere Erinnerungen an die versunkene Welt des Österreich der Jahrhundertwende.
Christopher Isherwood - „Leb wohl, Berlin”
Die seltsame Welt der Untermieter in den 30er Jahren, wie Laurie Lee sie aus London beschreibt, erinnert stark an jene in Berlin. Später wurde aus diesem Buch der Film „Cabaret“.
Patrick Lee Fermor - „Die Zeit der Gaben”
Die andere große britische Weitwanderung: Der junge Patrick macht sich zu Fuß nach Konstantinopel auf.