Erstellt am: 13. 7. 2016 - 14:54 Uhr
Einreise verwehrt
Am Landesverwaltungsgericht Steiermark werden derzeit die Fälle mehrerer Personen verhandelt, die sich zu Unrecht an der Einreise nach Österreich gehindert sahen. Die betroffenen Flüchtlinge haben gegen die Zurückweisung an der Grenze in Spielfeld unterstützt von der NGO-Initiative "Border Crossing Spielfeld" Beschwerde eingelegt. Im FM4-Interview erklärt Rechtsanwalt Clemens Lahner, was in den Verfahren geklärt werden soll.
Was ist der konkrete Vorwurf und um wen geht es?
Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unmittelbar übergeordneten Innenministeriums, dass man laufende Verfahren nicht kommentieren wolle.
Bei den ca. 25 Verfahren, die vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark anhängig sind, geht es um syrische, afghanische und irakische Geflüchtete. Die sind von Slowenien aus kommend bei Spielfeld eingereist, und wurden dort von der Polizei nach Slowenien zurückgewiesen, zurückgeschickt. Der Vorwurf lautet, dass die Asylanträge dieser Menschen überhaupt nicht geprüft wurden. Sondern, dass diese Leute ohne jegliches Verfahren zurückgeschickt wurden. Da bekommt man also keinen Bescheid – das ist einfach eine faktische Maßnahme, und das einzige, was man gegen so eine faktische Maßnahme tun kann, ist eine sogenannte "Maßnahmenbeschwerde", und solche Maßnahmenbeschwerden sind jetzt beim Landesverwaltungsgericht Steiermark anhängig.
Christoph Hopf
Das heißt, diese Leute haben gar nichts "schriftlich" erhalten, sondern sind einfach zurückgewiesen worden?
Richtig. Soweit ich weiß, haben die keine Papiere bekommen, sondern es wurde sortiert: die Menschen bekommen verschiedenfärbige Armbänder, das Armband in dieser Farbe heißt, die können einreisen, und in jener Farbe, die werden zurückgeschickt.
Was ist also der konkrete Vorwurf gegen die Exekutive vor Ort und die von ihr beigezogenen Dolmetscher etc.?
Wenn jemand nach Österreich kommt und einen Asylantrag stellt, dann muss der geprüft werden. Das heißt nicht, dass man gleich überlegen muss: braucht dieser Mensch Asyl oder nicht, braucht der subsidiären Schutz (bei Flucht vor Krieg, Anm.) oder braucht der doch keinen Schutz und bekommt eine Ausweisung… sondern: in einem ersten Schritt muss geprüft werden, ob Österreich zuständig ist oder ein anderes Land, etwa Slowenien, wenn die Person dort vorher schon war, oder ein anderes Land, wo derjenige Familie oder von dort ein Visum hatte. In den konkreten Fällen, um die es jetzt beim Landesverwaltungsgericht Steiermark geht, wurden die Asylanträge nicht geprüft, sondern die Leute gleich ohne Verfahren zurückgeschickt/-wiesen nach Slowenien.
Das Problematische daran: das waren keine BeamtInnen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, die für Asylverfahren zuständig sind; sondern das macht dort die Polizei. Und die hat dafür nicht wirklich eine Ausbildung, die haben auch keine klaren Richtlinien, und sie haben Dolmetscher, die keine Dolmetscher sind. Das sind Menschen, die etwa Arabisch, Dari oder Paschtu als Muttersprache haben, und mehr oder weniger Deutsch können, aber keine Ausbildung als Dolmetscher haben. Das heißt: die Qualität dieser "Verfahren" ist eher fragwürdig.
Was dort offenbar passiert ist, ist, dass Leute zurückgeschickt wurden nach Slowenien, ohne, dass ihre Asylanträge geprüft wurden. Etwa mit dem Argument, "der hat gar nicht gesagt, er will Asyl". Wenn also jemand sagt, er kommt aus dem Irak, dort ist Krieg, er braucht Schutz, dann kommt in diesem Satz nirgends "Asyl" vor, der Polizist dort sagt, "der hat nicht gesagt er will Asyl, den schicken wir also zurück nach Slowenien". Das geht nicht, weil: Asylanträge gibt es gar nicht mehr im Gesetz. Das heißt jetzt "Antrag auf Internationalen Schutz". Damit ist einerseits Asyl und andererseits subsidiärer Schutz gemeint.
Subsidiären Schutz bekommt man z.B., wenn man sagt, ich habe keine politischen Probleme oder Probleme wegen meiner Religion, Hautfarbe, sexuellen Orientierung (das wäre alles ein Thema für Asyl), sondern ich bin "nur" vor dem Krieg geflohen. Und wenn das glaubwürdig ist, ich deshalb tatsächlich Schutz brauche, dann würde ich subsidiären Schutz bekommen. Das heißt: wenn ich sage, ich bin vor dem Krieg geflohen, muss ich auch ein Verfahren bekommen. Nicht nur, wenn ich sage, ich will Asyl.
Radio FM4
Wenn diese Beschwerdeführer Recht bekommen, was heißt das für sie in weiterer Folge?
Das würde heißen, dass der Zustand hergestellt werden muss, der herrschen würde, wenn diese Rechtswidrigkeit nicht passiert wäre. Das heißt, diesen Menschen muss die Einreise gestattet werden und dann muss hier ein Asylverfahren durchgeführt werden. Dabei kann dann theoretisch herauskommen, dass Österreich für das Verfahren zuständig ist, oder Slowenien oder ein anderes Land – das kann ich an dieser Stelle nicht beurteilen – aber das muss in einem rechtsstaatlichen, korrekten Verfahren geprüft werden und nicht in so einem Husch-Pfusch-Durchlauf mit Polizeibeamten, die dafür keine Ausbildung und keine Richtlinien haben, und mit Dolmetschern, die keine Dolmetscher sind.
Hat es ähnliche Maßnahmenbeschwerden mit den konkreten Folgen in die eine oder andere Richtung schon gegeben?
Ich persönlich hatte noch keinen solchen Fall, aber eine Kollegin hatte einen solchen Fall. Wo jemand ohne Verfahren abgeschoben wurde, dann wurde eine Maßnahmenbeschwerde erhoben, gewonnen und dieser Mensch durfte dann wieder einreisen…
… und hat dann sein Verfahren bekommen.
Dann gibt’s ein Verfahren. Was in dem Verfahren herauskommt, ist nochmal eine andere Frage. Aber bei diesen ca. 25 jetzt in Graz anhängigen Verfahren geht es ausschließlich um Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Das sind Länder, wo die Anerkennungsquote sehr hoch ist. Das sind also höchstwahrscheinlich keine Menschen, die hierhergekommen sind, weil sie einen besseren Job suchen. Sondern: die fliehen vor Krieg, Folter, Vergewaltigung und Terror und das mindeste was die verdienen, ist ein faires Verfahren.
Was braucht es in diesen konkreten Grenz-Situationen (vermehrt), damit solche Verfahren sich am Boden des Rechtsstaates abspielen?
Wenn man schon sagt, man muss jetzt unbedingt an der Grenze kontrollieren und man muss da konkretere Kontrollen machen, dann wäre meiner Meinung nach notwendig, dass die PolizeibeamtInnen dort vor Ort klare Richtlinien haben, dass denen auch einmal jemand erklärt, worum es eigentlich geht. Wenn ein Polizeibeamter glaubt, er muss nur hören, "sagt da irgendjemand 'Asyl', braucht da wer Asyl" – dann kriegt er ein Armband in dieser Farbe und darf einreisen, und wenn er das Wort 'Asyl' nicht sagt, dann muss ich ihn zurückschicken" – das ist schon einmal eine unsinnige Richtlinie. Das muss man den Beamten dort vor Ort erst einmal erklären, damit die den Job anständig machen können.
Zweitens braucht man anständige DolmetscherInnen. Das ist nicht immer einfach, die wachsen ja auch nicht auf den Bäumen. Aber da geht’s um grundrechtssensible Materien und man kann nicht einfach sagen, "hallo, hier der Mitarbeiter von der Security-Firma, der stammt aus Afghanistan, und Deutsch kann er auch schon ein bisschen, geht schon, der ist jetzt unser Dolmetscher". Das ist einfach zu wenig. Ein Dolmetscher muss beide Sprachen sehr gut können, und muss eine Ausbildung haben, was Dolmetschen tatsächlich bedeutet. Das ist ein Studium. Das ist ja jetzt nicht ein Wochenend-Kurs, "Dolmetschen für Anfänger".
Und was meiner Meinung nach auch notwendig ist, dass Menschen in einer solchen Situation, die hier nicht ihre Muttersprache sprechen, die das Rechtssystem nicht kennen, die eine gefährliche und lange Reise hinter sich haben, dass die unter Umständen befragt werden, wo sie erst einmal die Möglichkeit haben, sich auszuruhen, sich vielleicht zu waschen und etwas zu essen. Dass die also erst einmal in vernünftigen Umständen sind und dass man denen auch eine minimale Rechtsberatung zuteil werden lässt. Wenn es darum geht dass ich einen Antrag stelle, wo über mein ganzes Leben entschieden wird, dann habe ich einen Anspruch darauf, dass mir jemand einmal grundsätzlich erklärt, worum es hier geht. Und das findet derzeit nicht statt.
Radio FM4
"Notverordnung" aktuell
Innenminister Sobotka drängt bereits auf Verhängung der Verordnung
Zur letzten einschlägigen Gesetzesverschärfung: Die Regierung hat jetzt die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen eine Art Notstandsverordnung zu verhängen. Unter welcher Maßgabe soll das möglich sein und was würde das sobald in Kraft konkret für Menschen, die an der Grenze ankommen, bedeuten?
Das Gesetz ist in Kraft und auf seiner Grundlage könnte eine Notstandsverordnung erlassen werden. Das Absurde daran: Es gibt jetzt eine Ermächtigung, eine Notstandsverordnung zu erlassen – ohne Notstand. Wenn man aus dem Fenster schaut oder sich umschaut in Österreich, wird man sehen: die Eisenbahnen fahren, die Busse, wir haben Elektrizität, wir haben Wasser, Abwasser, Kindergärten, Schulen, Universitäten, die Polizei. Meiner Meinung nach funktioniert das meiste hier tiptop. Von einem Notstand kann ich hier nichts erkennen.
Und wenn es heißt: "Jetzt sind so viele Flüchtlinge gekommen!"...wenn man sich ansieht, wie viele Flüchtlinge z.B. im Libanon sind: da gibt es vier bis fünf Millionen Einwohner und ein bis eineinhalb Millionen Flüchtlinge. Das ist eine Menge. Der Libanon hat letztes Jahr schon mehr Flüchtlinge gehabt als die gesamte EU zusammen aufgenommen hat. Und ich will nichts gegen den Libanon sagen, aber alles was der Libanon kann, kann die gesamte EU glaube ich besser. Hier von einem Notstand (in Österreich) zu sprechen, ist schon per se eine Bankrotterklärung.
Was kann laut der kürzlichen Gesetzesnovelle der "Anlass" für die Verhängung einer solchen Notstandsverordnung sein?
Die Regierung müsste im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates feststellen, dass so ein Notstand jetzt vorliegt. Wenn irgendeine Zahl erreicht ist oder wenn man sich darauf einigt, dass ein Notstand besteht – wie gesagt, ich kann es nicht nachvollziehen, ich sehe da noch lange keinen Notstand – dann könnte man so eine Notstandsverordnung erlassen. Das würde de facto bedueten, dass man in Österreich gar keinen Asylantrag mehr stellen kann. Es würden alle, die hierher kommen und einen Antrag stellen, in Nachbarländer weggeschickt. Mit Ausnahme derer, die hier schon nahe Familienangehörige haben.
Ist auf Völkerrechts- oder unionsrechtlicher Ebene überhaupt restlos geklärt, ob so eine Gesetzesverschärfung "hält", also Rechtsgültigkeit besitzt?
Es gibt jetzt schon Kontakte zur europäischen Kommission, deren Aufgabe es ja unter anderem ist, darauf zu achten, dass die europäischen Verträge eingehalten werden – hier gibt es bereits Stimmen, die sagen: "Wie kann es sein, dass das österreichische Gesetz vorsieht, dass man eine Notstandsverordnung erlassen kann, ohne dass es irgendwo einen Notstand gibt". Das Argument lautet, dass das ein Verstoß gegen Unionsrecht wäre, wo gewisse asylrechtliche Agenden auch geregelt sind.
Momentan – nach österreichischem Recht – kann man dieses Gesetz als Einzelner noch nicht anfechten, weil ich von dem Gesetz noch nicht "betroffen" bin, sondern eben erst von der Notstandsverordnung dann. Aber ich gehe davon aus, dass wenn es eine solche Notstandsverordnung geben wird und dann erste Fälle nach dieser Notstandsverordnung entschieden werden, sofort Beschwerden erhoben werden. Denn meiner Meinung nach steht das alles auf sehr wackligen Füßen.