Erstellt am: 14. 7. 2016 - 17:20 Uhr
Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle
Hey, man kann mich manchmal ganz leicht zufriedenzustellen. Gebt mir einen von Selbstzweifeln zerfressenen Priester mit lustiger Frisur, Sechs-Tage-Bart und Kippe im Mund, stellt ihn in eine sonnenverbrannte texanische Landschaft, lasst einen (un-)heiligen Geist in ihn fahren und ich muss freudig schmunzeln.
Stellt diesem Redneck-Hipster-Prediger einen ausgesucht derangierten Freundeskreis zur Seite, inklusive einem heroinsüchtigen Vampir und einer knallharten Ex-Freundin aus dem Gangstermilieu, und ich schaue dem Treiben dieser Gang einfach verdammt gerne zu.
Wenn das alles noch mit lässiger Countrymusik untermalt ist, Killer-Engel, kaputte Cops und verrückte Fleischfabrikanten enthält, man sich an superen Lederjacken, Gürtelschnallen, Cowboyhüten, auffrisierten Retro-Schlitten und knalliger Ausleuchtung kaum sattsehen kann, reicht das für ein kleines, simples Serienglück, über das euch mein geschätzter Kollege Philipp L'Heritier hier ausführlich berichtet.
AMC
Groovige Serie, geniales Comic
Na gut: Vier Fäuste für ein Hallelujah
Gut gemeint, gut gemacht: Bislang lässt die AMC-Show "Preacher" den Biss der Comic-Vorlage vermissen. (Philipp L'Heritier)
Dass ich die einfach herrlich dahingroovende Serie, hinter der die Comedy-Gurus Seth Rogen und Evan Goldberg stehen, so problemlos genießen kann, hängt mit einem quasi-buddhistischen Selbstversuch meinerseits zusammen. Neben vielen anderen Mantras ("Sei offen gegenüber dem Neuen", "Bleib niemals in der Vergangenheit hängen", "Befreie dich von erstarrten Meinungen und Positionen") murmle ich auch regelmäßig einen Schlüsselsatz vor mich hin: "Beurteile Verfilmungen von Literatur niemals nach der Treue zur Vorlage!"
Irgendwie erscheint es mir mittlerweile viel zu nerdig, geekig und puristisch, ständig an den übergroßen Sätzen eines noch so geliebten Romans oder heiß verehrten Comics festzukleben, wenn eine Verfilmung angekündigt ist. Oder gar laut aufzuschreien, wenn ein Regisseur es wagt, irgendeinen festgeschriebenen Kanon zu verlassen.
Ich muss dann als zeitlos-klassisches Beispiel stets Stanley Kubricks "The Shining" erwähnen, einen Film, der mit Stephen Kings gleichnamigen Roman so wenig zu tun hat, dass sich der Autor öffentlich beklagte. Und der trotzdem als eigenständiges Meisterwerk den Atem stocken lässt.
AMC
Nun ist die Serie "Preacher" von einem Kinogott wie Kubrick recht weit entfernt und doch macht mir der eingangs beschriebene Mix aus Neo-Cowboy-Zitaten und Coolness-Posen einfach Spaß. Die Comicverlage von Texter Garth Ennis und Zeichner Steve Dillon, erschienen von 1995 bis 2000 beim Vertigo-Verlag, spielt allerdings in einer ganz eigenen Liga. Darin geht es nicht bloß um pure fun, sondern um das Ganze. Mit diesem genialen Horror-Action-Splatter-Western, gesammelt in 9 Bänden erhältlich und diabolischer, lustiger und gewalttätiger als die Polizei erlaubt, kann gar kein Film mithalten.
Man kommt bei der Beschreibung des Comics nicht um einige Serienspoiler umhin, weil Garth Ennis bereits im ersten Band enthüllt, worauf Seth Rogen & sein Team einige Episoden lang hinteasen. Irgendwo im texanischen Niemandsland erfährt da der heruntergekommene, dem Alkohol gerne zusprechende Jung-Reverend Jesse Custer von einem Engel eine schreckliche Nachricht: Im Himmel ist die Hölle los. Gott hat seinen Job an den Nagel gehängt.
Vertigo
Irische Vampire und heilige Killer
Der Grund für die fristlose Kündigung des Allmächtigen ist ein neues Über-Wesen, das einem One-Night-Stand zwischen einem Engel und einem Dämon zu verdanken ist. Genesis heißt dieser Bastard, der alle bisherigen Gut-Böse-Schemata auf den Kopf stellt und ein Chaos verursacht, das bis nach Texas reicht. Ausgerechnet in den maroden Jesse fährt das Ding, verschafft ihm übernatürliche Kräfte, treibt ihn auf eine Suche nach Gott himself, den er zur Rede stellen will.
Begleitet von seiner toughen Freundin Tulip und dem alkoholsüchtigen irischen Punk-Vampir Cassidy, gejagt von rassistischen Sherriffs, dem Schutzheiligen aller Killer, religiösen Sekten und seiner eigenen, verfaulten Verwandtschaft begibt sich der Preacher auf einen Roadtrip to nowhere, stets beschützt vom Geist von John Wayne höchstpersönlich.
Vertigo
"Preacher" ist nicht bloß ein Sammelsurium absurder, perverser Szenarien und endloser religiöser, sexueller und ethischer Tabubrüche, wer es nur auf niedrige Instinkte anlegt, wird auch an anderer Stelle am Comicsektor fündig. "Preacher", dessen literarische Qualität in der Originalfassung den besten hartgekochten Südstaaten-Novellen um nichts nachsteht, ist vor allem unglaublich klug.
Garth Ennis nimmt mitten im irrlichternden Wortwitz-Kreuzfeuer, wo es oft One-Liner hagelt, von denen Hollywoods Action-Helden schon lange nur träumen können, den Dialog mit Gott todernst. Der wird als heftiger agnostischer Diskus geführt, allerdings von Angesicht zu Angesicht mit dem Schöpfer. Man muss allerdings auch anfügen, dass der großteils handzahm gewordene Katholizismus solche Auseinandersetzungen erlaubt und mag sich nicht vorstellen, wie es Mr. Ennis mit einer bestimmten anderen Religion ergangen wäre.
Vertigo
Until the end of the world
Als ob ein blitzgescheites und bitterböses Comic nicht ohnehin genug wäre, dreht sich das Genre-Crossover, von Steve Dillon in souveräne Panels verpackt, aber vor allem aber um Emotionen. "Preacher" ist eine hochgradig romantische Erzählung, eingefleischte Zyniker müssen schon sehr viele Seiten überblättern, um damit zurecht zu kommen. "Love me, Custer?", fragt Tulip ihren Jesse in einer kurzen Ruhepause, während draußen der Terror tobt. "Until the end of the world", meint der Prediger.
Wer bis zum Ende der langen Saga durchhält, bis zu den Knien durch Blut watet, durch glühend heiße Täler marschiert und Besuche in Himmel und Hölle absolviert, dem reißt Garth Ennis am Ende schließlich ein kleines Stückchen Herz raus. Das Finale der subversivsten Comicserie aller Zeiten ist nicht nur dermaßen blasphemisch, dass der Vatikan erzittert, es ist auch sentimental as hell.
Vertigo
Genießt also die kleine feine Serie, die so frech dahinplätschert und deren Rock'n'Roll-Faktor hoch ist. Wer aber mit den gezeichneten Abenteuern von Prediger Jesse Custer, der wunderbaren Tulip, dem irischen Vampir Cassidy und dem Saint Of All Killers nicht vertraut ist, muss jetzt sofort in den nächsten Comicshop eilen und sich alle Ausgaben nachkaufen. Und, wie der Schreiber dieser Zeilen, zu guter Letzt ein paar Tränen auf das Papier fallen lassen.