Erstellt am: 11. 7. 2016 - 15:32 Uhr
The daily Blumenau. EM-Journal '16-75, 11-07-16.
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Das ist ein Eintrag ins EM-Journal '16, da ist die Klick-Übersicht.
Das Finale: Portugal - Frankreich, die High- und Low-lights, die sich aus dieser Euro mitnehmen lassen
Das war das erste, kleine Semifinale zwischen Portugal und Wales, das das zweite, große von Deutschland und Frankreich. Und die Gründe für das deutsche Aus.
Das ist der Reality Check der Euro-Preview und das ist die Analyse des Erfolgs des demokratischen Europa.
Das waren die Viertelfinals: Polen gegen Portugal, dann Wales - Belgien und das Drama von Deutschland gegen Italien und Frankreich - Island
Das war die grundsätzliche System-Analyse nach dem Achtelfinale, das die Einschätzung der Auswirkungen des aktuellen Nationalismus.
Das waren die Achtelfinals: Schweiz - Polen. dann Wales - Nordirland und schließlich Kroatien gegen Portugal, der Sieg von Frankreich gegen Irland weiters Deutschland vs Slowakei und Ungarn - Beglien sowie schließlich Italien vs Spanien und England - Island
Das war das Aus von Österreich in Runde 3 und das die selbstkritische Schuldfrage.
Das war der Rasierklingen-Tanz von Österreich gegen Portugal, so sieht es in der Nachlese aus. Das war Österreich vs Ungarn und das ist die Analyse dazu.
Das ist die Bilanz der Vorunde.
Das war Runde 3 in der Frankreich-Gruppe A, das in der England/Wales-Gruppe B, der Deutschland-Gruppe C. der Spanien-Gruppe D und der Belgien/Italien-Gruppe E.
Das war die zweite Runde mit Rumänien vs. Schweiz sowie Frankreich - Albanien weiters Russland gg. Slowakei und England - Wales sowie Ukraine - Nordirland und Deutschland vs. Polen. Dann war Schweden gegen Italien sowie Tschechien gegen Kroatien und Spanien vs. Türkei
Weitere Erstrunden-Spiele: Frankreich vs. Rumänien sowie Albanien - Schweiz und aus der der Gruppe B Wales vs. Slowakei und England - Russland. So gingen Polen gegen Nordirland und Deutschland - Ukraine. Und das war Türkei - Kroatien und Spanien - Tschechien.
Und dann noch Irland vs. Schweden und Belgien - Italien plus dann noch Portugal - Island.
Offizielles gibt's auf uefa.com und das ist die Info-Site von sport.orf.at.
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Heute kamen noch die Awards: Antoine Griezmann wurde Spieler des Turniers.
Das AllStar-Team geht so: Rui Patricio; Kimmich, Boateng, Pepe, Raphael Guerrero; Kroos, Allen; Ramsey, Griezmann, Payet; Ronaldo. Nur Halbfinalisten, zu wenige Franzosen, dass Bale oder Nani fehlen ist schändlich, aber so ist das bei dieser Kompromisslerei ja immer.
Best Young Player ist wie schon bekannt Renato Sanches.
Der heutige Empfang in Lissabon war im übrigen auch voller Hommagen an den größten Spieler Portugals im letzten Jahrhundert, Eusebio, den Torschützenkönig der WM 1966, als sein Team Dritter wurde. Eusebio, der als Glücksbringer jahrelang Teil des Team-Trosses war, ist Anfang 2014 gestorben. Und auch hier schließt sich ein Kreis.
#POR #emjournal16 #fußballjournal16
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Spät in der Nacht nach dem tränenrührenden und dramatischen Sieg von Portugal in Frankreich ist es mir eingefallen: es war das Team von Portugal, das mich damals, im Jahr 2000 als die FM4-Site in einer Art Beta-Version durchs Netz spukte, als wir noch herumexperimentierten, als noch keine Rede von Zusatzebene, Ausspielwegen oder Social Media war, zu den ersten Fußball-Textversuchen verführt hatte. Ich hab sie heute gefunden, nach nur kurzer Suche (und ich werde sie weder verlinken noch Hinweise auf Such-Parameter geben) und es war wie ein Blick in ein lang weggeräumte alte Spielzeug-Kiste. Anlass war die Euro 2000, der Zugang war ein seltsames Hybrid aus 1) dem Versuch eine alte Erzähl-Tradition aus der heimischen Zwischenkriegszeit zu erneuern und 2) der gefühlten Notwendigkeit endlich auch damals von der Öffentlichkeit und vor allem den superignoranten Medien komplett ignorierte Bereiche wie Taktik, Strategie und Spielsysteme zumindest ins Bewusstsein einer kleinen, interessieren Teilöffentlichkeit zu bringen.
Warum ich damals just Portugal und seine erste goldene Generation begleitet habe kann ich nicht mehr eruieren, auch nicht emotional.
Ich habe dann auch einige Texte zur WM '02 gefunden, die spätnachts und auch während des Frequency-Festivals, das ich damals moderativ begleitet habe, stattgefunden hat. Und auch hier ist viel Portugal zu finden, einige bewusst gesetzte Narrative und wieder der Versuch Mannschaften und Spiele zu lesen, um mehr erzählen zu können als den reinen Spielverlauf. 2003 hab' ich mit der regelmäßigen (täglichen) Textproduktion begonnen, 2004 gab es dann das erste EM-Journal, noch mit Tages-Reviews. 2008, auch anlässlich Österreichs erster, nicht selber verdienter Teilnahme, waren dann die einzelnen Spiele dran; erstmals auch live begleitet, ohne doppelten Boden und der Möglichkeit sich nachher, in Kenntnis des Resultats und Verlaufs eine Geschichte zurechtzulegen.
Österreich war auch schon kurz Thema im allerzweiten Eintrag 2000; und die Beschäftigung mit den Niederungen, der heimischen Liga, der Sumpflandschaft rundherum und dem ÖFB folgten, zuerst zaghaft, dann intensiver, ab ich würde sagen etwa 2005 auch schwerpunktmäßig.
Das hat die ursprüngliche zweite Idee, die der Geschichtenerzählerei, dann auch zurückgedrängt. Weil ich draufgekommen bin, dass der damalige Journalismus (der heute in vielen Teilen anders besser geworden ist, in seinen boulevardesken Niederungen aber immer noch so funktioniert) nichts wesentlich anderes macht; und diese Narrative halt zur Verblödung seiner User nutzt. Selbst die selbsternannten Qualitätsmedien. Danach ging also nur noch die Analyse, auch und selbstverständlich die wertende Analyse. Und die Poesie blieb im Kleinen, dort wo die Beschreibung einer lokalen Szenerie jenseits von Strukturkritik möglich war.
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Portugal war also gewissermaßen der Dosenöffner. 2000 war man im Euro-Halbfinale und gehörte trotz einer schwachen WM 2002 bei der Heim-EM 2004 zu den Top-Favoriten; vor allem weil die sogenannte Goldene Generation im Zenit stand. Das Trauma des damals (unnotwendigerweise) verlorenen Finalspiels hing seitdem wie ein herbstfarbener Sepia-Filter über den Miradouros von Lissabon; und auch über meiner fußballerischen Seele. Der Aufstieg in die Riege der übliche Verdächtigen, die daraufhin erreichten Semi- Viertel- und Achtelfinals änderten nichts daran. Und nach dem Aus in der Gruppenphase bei der WM 2014 war dann auch noch jede Vorab-Hoffnung gewichen, der Glaube an die Durchsetzungsfähigkeit der neuen, der zweiten goldenen Generation rund um Ronaldo ging gegen Null. Man war zu einer Mannschaft geworden, deren "ausgesprochen berechenbare" Spielweise die möglichen Erfolge "ganz von selber deckelt".
Das war dann auch der Knackpunkt, der Trigger. Da rauszukommen, aus dieser Berechenbarkeit. Die Sicherheit, die dieses Team allen Konkurrenten auf Augenhöhe gab, ganz freiwillig, die musste weg. Team Portugal musste unberechenbar, also unportugiesisch werden.
Vor zwei Jahren hatten die Niederländer, auch so ein Trauma-Kandidat, wenn auch nur, was den Welttitel betrifft, Europameister waren sie ja schon, es mit einer radikalen Therapie probiert, mit einem rabiaten 5-2-3, bei dem sich sieben bis acht Akteure ausschließlich und auch mit De-Jongscher Härte um die Defensive kümmerten. Team Holland kam so zwar bis ins Semifinale, die negative Wirkung dieser philosophiezerstörenden Maßnahme war aber dramatisch: der Verlust der fußballerischen Identität führte direkt zur (katastrophalen) Nicht-Qualifikation für die Euro.
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Der Ansatz von Fernando Santos war ein anderer. Ziel war eine Doppelstrategie: ein System zu finden, das zur Selecao passt und es ihr ermöglicht neben dem gewohnten vorne-rein-offensiv-Modus auch noch einen zweiten zuzuschalten; nämlich einen ungewohnten Vorsichts-Modus, der erst einmal absichert, die Räume kontrolliert, den Gegner auflaufen, an seinem Ballbesitz ersticken lässt um dann den Schalter umzulegen.
Das ist noch ziemlich work-in-progress, hat seine Grundierung aber in den Testspielen von 2016 gefunden, in denen Santos in Absprache mit der Mannschaft vom klassischen 4-3-3 abging und auf ein 4-4-2 umstellte, das er für a) variabler und schneller adaptierbar hielt und weil b) die Suche nach dem (letztlich inexistenten) Center-Stürmer auf dem Level von CR7 oder Nani sinnlos war.
Das bedeutete auch, dass die beiden (auch nicht mehr ganz jungen) Stars etwa doppelt so viel Lauf- und Teamarbeit verrichten mussten als zuvor. Was sie ohne Gemecker taten, vor allem Nani, der schon auch einmal auf die Flügel im Mittelfeld zurückgezogen wurde.
Das bedeutete auch, dass die Mittelfeldspieler der alten Ordnung (Sechser mit ein bissl Vorwärtsdenken, im besten Fall Joao Moutinho) von Hybrid-Denkern abgelöst werden mussten: Joao Mario, Andre Gomes, Adrien Silva und vor allem Renato Sanches, der neue Prototyp. Einer, der überall und alles kann, Druck entwickeln, Powerläufe, Tore aufliegen und schießen, Positionen switchen und umschalten.
Diese völlige Neustrukturierung der offensive five bildet die Basis für das neue Portugal, das aus seiner 4-1-3-2-Grundordnung heraus jederzeit (wie gestern nach Ronaldos Out) in ein 4-1-4-1 kippen und wenn es um alles geht (wie gestern nach der 79.Minute) dann auch einen Impuls-Center für (oho) ein finales 4-3-3 bringen kann, mit dem dann etwa die Verlängerung beherrscht wurde.
Der Spielverlauf diktiert die Systeme, die Strategie, die Taktik. Wie bei durchgetakteten US-Team-Sportarten, wo es für jeden Spielzug hunderte vorgearbeitete Varianten gibt. Nur so können kleine Teams gegen die Wortführer bestehen; und so ist aus einer taktisch limitierten Truppe eine geworden, die auf jede Situation richtig reagieren kann. Was dann auch den Titel zur Folge hatte. Einen glücklichen Erfolg; wie auch ein Erfolg für Frankreich (leichte Auslosung) glücklich gewesen wäre, wie auch der für Deutschland (Glück gegen Italien) oder jeder andere. Manchmal hängt so etwas eben an Details.
In jedem Fall beendet dieser aktuelle Glücksfall ein Trauma und er öffnet gleichzeitig neue Türen, zeigt neue Wege vor, belegt, dass die sprichwörtliche "akribische Arbeit" sich auch gegen Selbstläufer-Favoritentum auszahlt. Das als Ansporn und auch als Warnung (vor der eigenen, jetzt bereits mitvergangenen Überheblichkeit) für Mittelklasse-Nationen wie Österreich.
Für Portugal schließt sich ein Kreis. Die introspektive, fatalistische Grundstimmung kann sich jetzt auflösen, in so etwas wie demütige Selbstverständlichkeit übergehen. Für mich schließt sich der Kreis samt den erwähnten Folgen ein wenig mit.