Erstellt am: 8. 7. 2016 - 15:42 Uhr
Blood Orange: Freetown Sound
S T O P. K I L L I N G. U S.
— Devonté Hynes (@devhynes) July 6, 2016
Alton Sterling , Philando Castile, DelrawnSmall: Alles Afroamerikaner, die in den letzten Tagen von amerikanischen Polizisten vor den Augen ihrer eigenen Kinder erschossen wurden. Hinter diesen Namen und Hashtags stehen Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort die „falsche“ Hautfarbe hatten. Am systematischen Rassismus des amerikanischen Polizeiapparats konnte auch Barack Obama in den letzten Jahren offenbar wenig ändern. Die zunehmende Militarisierung der Polizei, laxe Waffengesetze, das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit ganzer Communities hat die Spirale der Gewalt immer weiter angezogen. Einer, der mit Entsetzen diese Entwicklungen auf ganz eigene Art schon seit längerer Zeit kommentiert und in Kunst überführt ist Devonté Hynes alias Blood Orange. Nur wenige Tage vor den aktuellen Ereignissen ist sein Album „Freetown Sound“ erschienen und das gibt diesem eleganten Popentwurf eine ganz besondere Dringlichkeit. Für politische Demonstrationen und Agitation ist diese melancholische Feier des Uneindeutigen und der Selbsterfindung jedenfalls kaum geeignet. Mitsingbare Hymnen des afroamerikanischen Widerstands gegen Polizeigewalt sucht man auf „Freetown Sound“ vergeblich.
Domino
Im Zweifel für den Zweifel
Blood Orange möchte Musik für alle machen, die "not BLACK enough, too BLACK, Too QUEER, not QUEER the right way" sind, wie er es in einem Post auf Instagram formulierte. "Freetown Sound" ist sein drittes Album und es begegnet den rassistischen Zumutungen, denen er als Schwarzer Einwanderer ausgesetzt ist, nicht mit dem scharfen Furor aktueller HipHop-Produktionen (Kendrick!) oder der R’n’B- (Beyoncè!) Variante davon.
Blood Orange versucht auf „Freetown Sound“ schwarze Identität(en) mit Popmusik zusammenzubringen. Das ist keine kleine Aufgabe, gerade für den Diskurs über das Leben von People of Colour ist ja HipHop und artverwandte Musik zum globalen Goldstandard geworden. Das Melancholische, Verhaltene, Nostalgische von Blood Orange verqueert diesen Protest. Statt Eindeutigkeiten regieren die Anspielung, der Verweis, das um die Bande spielen. „Im Zweifel für den Zweifel“ haben das Tocotronic einmal genannt.
New York, New York
„Freetown Soul“ ist auch ein Album über New York und die Geschichte(n) der Eingewanderten und Zugezogenen, über die offenen und geheimen Communities und ihre Codes und über New Yorks reiche Geschichte „schwarzer Musik“, gerade auch abseits von HipHop.
Blood Orange knüpft ein sehr ambitioniertes Netz aus Referenzen, das zu entschlüsseln Interesse und Geduld braucht. Beim ersten Hören klingt "Freetown Sound" vielleicht nach 80er-Jahre-Nostalgie, nach dem Flirt mit dem käsigen Saxofon-Solo und Trockeneisnebel und türkisen Neon-Flamingos. Dazwischen, dahinter und darunter verbergen sich allerdings Poetry-Schnipsel, Film- und Musikzitate, Coverversionen und vor allem eine Vielzahl an Stimmen. Das Falsett von Dev Hynes trifft auf Sängerinnen wie Debbie Harry, Carly Rae Jepsen oder Nelly Furtado, nicht als glamouröse Feature-Gäste, sondern präzise eingebunden in diesen 17-teiligen Songzyklus. Dass Dev Hynes in den letzten Jahren mit großartigen Songs für Solange, Jessy Ware oder Sky Ferrara eine der „go to“-Personen moderner Popmusik geworden ist, macht sich jetzt in dieser Gästeliste bezahlt.
Michael Lavine
Saint Augustine
"Augustine" heißt die erste Single aus „Freetown Sound“ und ist ein perfektes Beispiel für das, was Blood Orange hier versucht. Er erzählt von den Erfahrungen seines Vaters, der im Alter von 21 Jahren von Sierra Leone nach England ausgewandert ist. Im gleichen Alter ist auch der in England aufgewachsene Dev Hynes in den USA eingetroffen; die Erzählperspektiven verschwimmen.
My father was a young man
my mother off the boat,
my eyes were fresh at 21,
bruised but still afloat
Der im Refrain besungenen Augustine ist der im 3. Jahrhundert nach Christus geborene Augustin von Hippo, der in Westafrika eine Form des Katholizismus etablierte (Theologen wissen da Genaueres). Am Ende singt er in Krio, der Lingua Franca Sierra Leones über Nontetha Nkwenkwe, über eine Südafrikanerin, die in Zeiten der Apartheid in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde, nachdem sie einen kirchlichen Raum für schwarze SüdafrikanerInnen gegründet hat. Das Video zum Song bezieht sich auf die Vogueing-Tradition New Yorks und die afrikanische Seite von Dev Hynes' Biografie. Klingt alles kompliziert, ist aber „nur“ tolle Popmusik.
Keep your hood off!
Der Song, der sich am konkretesten mit der aktuellen Polizeigewalt in den USA auseinandersetzt, heißt „Hands Up“. Das „Hände Hoch“ changiert hier zwischen einer akustisch leicht verblichenen Postkarte an die Disco- und Boogie-Ära und dem harschen Befehl "Hands Up! Get Out!" der Polizei. "Und setzt keine Kapuze auf, das könnte tödlich enden". Am Ende des Songs hört man jemanden schreien „Don’t shoot! Don’t shoot!“. Weder der zarte Gesang, die Synthflächen, die manche vielleicht als käsig beschreiben würden, noch der sanft tuckernde Beat haben einen darauf vorbereitet.
Are you still sleeping with the lights on baby? (hands up get out)
keep your hood off when you're walking coz they… (hands up get out)
Sure enough they're gonna take your body, (hands up get out)
Sign of the times
“Freetown Sound” eröffnet mit einem Stück Spoken Word von Ashlee Haze, ein Liebesbrief an Missy Elliott, die ihr ein Role Model war und sie zur Feministin werden ließ. Auch hier erfindet sich eine marginalisierte Person eine (vielfach gebrochene) Identität, und vielleicht ist dieser Drang zur ständigen Überprüfung und Neuerfindung seiner selbst das Generalthema dieser Platte. Blood Orange stellt diese Fragen über Geschlechtergrenzen und ethnische Zuschreibungen hinweg und reflektiert gleichzeitig, was diese Zuschreibungen mit uns machen. Darüber schwebt stets der verführerische Himmel des Pop. Blood Orange kann man so auch als Fortsetzung verloren gegangener 80er-Jahre-Popstrategien von Bands wie Scritti Politti oder Heaven 17 verstehen. Es ist jedenfalls mehr Princes „Sign of the Times“ als Public Enemys „Fight the Power“ in diesem Album. Ob das dieser Tage noch reicht, bleibt abzuwarten.