Erstellt am: 8. 7. 2016 - 14:54 Uhr
Schnell noch ein Selfie aus der Kabine
Als die österreichische Nationalmannschaft ihre Fahrt nach Frankreich antrat, wurde sie mit großem Pomp von Bundeskanzler Christian Kern verabschiedet. Von einem ebenso pompösen Empfang bei der Rückkehr ist nichts bekannt. Kein Wunder, der Erfolg hat zwar zumeist viele Eltern, Niederlagen hingegen produzieren keine guten Bilder.
Auch andere österreichische PolitikerInnen sprangen auf den EM-Zug auf. Die Wiener Sozialdemokratie etwa postete vor dem Spiel gegen Island ein kurzes Video auf Twitter, wo zuerst der Schlachtruf „Immer wieder Österreich“ ertönt. Dann kommt Wiens Bürgermeister Michael Häupl ins Bild. Mit rot-weiß-rotem Schal um den Hals fordert er zum Sieg „gegen die Eismänner“ auf. Schließlich darf es noch chauvinistisch werden mit den Worten: „Genießt‘s euer bisserl Sonne, die´s habt‘s. Tschüss“.
Vor Beginn des Turniers fabulierte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in einem Interview mit der Krone gar davon, dass Österreich Europameister werden würde. Er träumte standesgemäß von einem Finale gegen Deutschland. Auch die Vorsitzenden von ÖVP und Grünen, Reinhold Mitterlehner und Eva Glawischnig, durften im Artikel der Krone patriotische Tipps abgeben, die sich im Nachhinein als etwas überschwänglich darstellen.
Keine lästigen Fragen
Es ist offensichtlich, die EM ist nicht nur Ort für fußballerische Inszenierung, sondern auch für Inszenierungen der Politik. Kein Wunder, ohne störende und lästige Fragen können so Bilder produziert werden, die in weiten Teilen der Öffentlichkeit positiv aufgenommen werden.
Andere europäische PolitikerInnen haben die Wirkmächtigkeit solcher Bilder bereits lange verstanden. Der französische Präsident François Hollande etwa tritt in den Medien gerne als „Fan Nummer 1“ des Teams des Gastgeberlandes auf. Politisch steht Hollande seit Monaten durch enorme soziale Proteste gegen geplante Verschlechterungen beim Arbeitsrecht unter Druck. Unverfängliche mediale Bilder mit Fanschal im Stadion sind also eine sehr angenehme Abwechslung für den sozialdemokratischen Präsidenten.
APA/AFP/FRANCK FIFE
Geplante Inszenierung
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel flog während der WM 2014 sogar extra zum Eröffnungsspiel der National-Elf nach Brasilien, um dann sofort wieder Richtung Deutschland umzukehren. In der Umkleidekabine entstand zuvor allerdings noch ein scheinbar spontanes Bild im Kreis der Mannschaft, das dann in Deutschland schnell verbreitet wurde. Dass die deutsche Kanzlerin am Donnerstag beim Halbfinale gegen Frankreich nicht im Stadion sitzen konnte, war den Zeitungen des konservativen Axel Springer-Verlags, Bild und Welt, sogar eigene Artikel wert.
Andere PolitikerInnen zeigen auch gern ihre eigenen (vorgeblichen oder tatsächlichen) sportlichen Fähigkeiten. Der scheidende US-Präsident Barack Obama posiert etwa gerne mit Baseball-Utensilien, Kubas Langzeit-Präsident Fidel Castro zeigt sich ebenfalls bis ins hohe Alter gerne mit dem Baseball-Schläger in der Hand, Russlands Präsident Wladimir Putin ist sportlich ohnehin omnipräsent, egal ob es sich um Judo, Skifahren oder Eishockey handelt.
Putin, der in Judo den schwarzen Gürtel besitzt, ist dabei wahrscheinlich sogar authentischer als manch andere PolitikerInnen. Gleichzeitig ist die Botschaft in jedem Fall klar: der starke und gesunde Mann, der die Zügel in der Hand hält. Im Falle von Wladimir Putin übrigens sogar wortwörtlich: der russische Präsident lässt sich etwa beim Reiten mit nacktem Oberkörper ablichten.
Image wird aufpoliert
Sport funktioniert allerdings nicht nur für die positive Inszenierung einzelner Personen. Gerade sportliche Großereignisse dienen oft dazu, das Image eines Landes aufzupolieren So trug die Formel 1 in diesem Jahr den „Großen Preis von Europa“ erstmals in Baku aus, der Hauptstadt der Republik Aserbaidschan. KritikerInnen werfen dem Land regelmäßige Menschenrechtsverstöße vor.
Seit der Vergabe umstritten ist auch die Fußball-WM 2022, die vom Emirat Katar ausgerichtet werden soll. Das Land ist eine Diktatur, in der eine kleine herrschende Oberschicht die große Anzahl von rechtlosen MigrantInnen ebenso unterdrückt wie politische GegnerInnen, Frauen und gleichgeschlechtliche Liebende. Auch ökologisch mutet die Weltmeisterschaft in Katar völlig absurd an, niemand kann tatsächlich sagen, was nach dem Ende des Turniers mit den dann in der Wüste leer stehenden Stadien geschehen soll.
Schließlich bieten sportliche Ereignisse auch für Sponsoren ein Umfeld, wo die positive Stimmung zum Ereignis in eine positive Stimmung zur jeweiligen Marke umgewandelt werden soll. Gleichzeitig sind hier die Verbindungen zur Politik wiederum oft besonders eng. Beispielsweise wurde der Hütteldorfer Fußballverein Rapid über einige Zeit vom Eurofighter-Konzern EADS finanziert. Inwiefern sich ein Kampfflugzeug-Konzern eine Umsatzsteigerung durch das Sponsoring eines Fußballvereins verspricht, bleibt vordergründig unklar. Der Gedanke, dass damit eine positive Stimmung bei der österreichischen Sozialdemokratie geschaffen werden sollte, die im Präsidium des Vereins gut vertreten ist, liegt allerdings nicht allzu fern.
I wer narrisch
Sportliche Ereignisse erzielen für die nationale Politik oft eine doppelt positive Wirkung. Nach außen produzieren sie positive und unverfängliche Bilder. Nach innen unterstützen sie den Nationalstolz, insbesondere, wenn das „eigene“ Team sich dabei auszeichnen kann. So ist etwa einer der zentralen Mythen der österreichischen Nachkriegszeit, das „Wunder von Córdoba“, eng mit einer solchen doppelten Inszenierung verbunden.
In einem eigentlich für die österreichische Mannschaft bereits bedeutungslosen Spiel bei der Weltmeisterschaft in Argentinien 1978 wurde das deutsche Team mit 3:2 geschlagen. Weniger bekannt ist allerdings, dass Argentinien zu diesem Zeitpunkt eine faschistische Militär-Diktatur war. Auch unmittelbar neben dem Stadion von Córdoba existierte ein geheimes Internierungslager, wo tausende Menschen gefoltert, vergewaltigt und ermordet wurden.
Der damalige ORF-Reporter Robert Seeger erzählt im Gespräch mit der Fußball-Zeitschrift Ballesterer über die damalige Situation in Argentinien: „Die Militärs boten uns eine Scheinwelt, in der wir uns frei bewegen konnten. Das Camp der Österreicher, welches sich zwei Stunden außerhalb von Buenos Aires befand, war jedoch hermetisch abgeriegelt. Der Diktatur kam zweifelsohne die große Euphorie entgegen, die alles übertünchte. Ich habe vorher und nachher nie wieder eine derartige Hysterie erlebt wie rund um diese WM.“
Im Schatten der Diktatur
Auch andere Diktaturen benützen den Sport gerne für eigene Zwecke. Bereits die erste Fußballweltmeisterschaft 1934 in Italien war eine Propagandashow für die Faschisten rund um Diktator Benito Mussolini. Durch äußerst fragwürdige Schiedsrichter-Entscheidungen gewann Italien damals die WM – wie es überhaupt des Öfteren vorkommt, dass das Gastgeber-Land eines Fußball-Ereignisses dieses dann auch gewinnt.
Ein fröhliches Liedchen davon kann auch Spanien trällern. Die damals herrschende faschistische Diktatur auf der iberischen Halbinsel gewann 1964 den EM-Titel im Endspiel gegen die Sowjetunion. In Folge feierte die gleichgeschaltete Presse den Sieg Spaniens als Schutz des Landes vor dem „Kommunismus“.
Doch die berühmteste sportliche Propagandashow früherer Zeiten waren zweifellos die Olympischen Spiele von Berlin im Jahr 1936. Die NS-Diktatur wollte sich damals in aller Welt präsentieren, unter anderen sollte dabei auch die Überlegenheit der „arischen Rasse“ demonstriert werden. Die Sache ging allerdings etwas daneben, legendär wurde vor allem der schwarze Sportler Jesse Owens, der die Spiele mit vier Goldmedaillen dominierte.
Ein neues Nationalbewusstsein
Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten Sportereignisse vor allem in Österreich und Deutschland zum Aufbau einer neuen nationalen Identität. Österreich musste sich als eigenständige Nation und angebliches erstes Opfer des Nationalsozialismus neu erfinden. Die Fußball-WM 1954 und die Olympischen Spiele 1956 waren dazu höchst willkommene Gelegenheiten und gelten als zentral für den Aufbau eines neuen Nationalbewusstseins.
In Österreich übernahm aufgrund langjähriger internationaler Misserfolge beim Fußball vor allem der Schisport eine wesentliche Rolle für den Nationalstolz. Insbesondere die populäre Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel wird von PolitikerInnen gern für Inszenierungen benützt. Dass außerhalb des alpenländischen Raums Skifahren als absolute Randsportart gilt und es so nicht unbedingt ein Kunststück ist, Weltmeisterschaften zu gewinnen, bleibt dabei gerne unerwähnt.
Wunder/teams
Die deutschen Eliten waren nach 1945 ebenfalls auf der Suche nach einer neuen „nationalen Erzählung“. HistorikerInnen gehen heute davon aus, dass insbesondere der Sieg von Deutschland bei der WM 1954 im sogenannten „Wunder von Bern“ zentral für die emotionale Neugründung der BRD war.
Dieser Mythos ist bis in unsere Zeit wirkmächtig. Laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen aus dem Jahr 2005 konnten 55,4 % der jungen Deutschen bis 24 die Frage „Was bezeichnet man als das Wunder von Bern“ richtig beantworten. Auf die Frage „Was versteht man unter dem Begriff Holocaust“ wussten lediglich 51,4 % die richtige Antwort.
Das deutsche wie das österreichische Team haben bei dieser EM allerdings auf die Produktion neuer angeblicher Wunder(teams) verzichtet, indem sie sich beide bereits aus dem Turnier verabschiedet haben. Somit gab es auch keine Siegesposen aus Kabinen oder Bilder einer triumphalen Rückkehr, an denen Angela Merkel oder Christian Kern teilhaben konnten.
Als wahrscheinlich darf allerdings gelten, dass sich die Staatsoberhäupter von Frankreich und Portugal das öffentlichkeitswirksame Jubeln bei einem möglichen Sieg „ihres“ Teams im Finale kaum entgehen lassen werden. Sowohl Frankreichs Präsident François Hollande wie Portugals Premierminister António Costa üben sich für die Medien bereits in einschlägigen Posen.