Erstellt am: 8. 7. 2016 - 06:06 Uhr
K.O. nach einem Drink
Es ist eine Horrorvorstellung: Beim Ausgehen einen Augenblick unaufmerksam sein, man bekommt etwas ins Getränk geschüttet und danach kann man sich nur bruchstückhaft oder gar nicht mehr erinnern, was passiert ist. Was wie aus einem schlechten Film klingt, passiert immer wieder - auch in Österreich.
Mythos und Wirkungen
BKA, ARGE Grafik, photocase.de
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass sich hinter dem Begriff "K.O.-Tropfen" eine spezielle Substanz verbirgt. Vielmehr werden darunter verschiedene Betäubungs-, Beruhigungs- oder Schlafmittel, die missbräuchlich verwendet werden, zusammengefasst. Das können Benzodiazepine sein, Ketamin, Atropin, GHB oder GBL, um nur einige zu nennen.
Unterschiedliche Substanzen, mit ganz unterschiedlichen Wirkungen, wie Sozialarbeiterin Ursula Kussyk von Notruf - Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen erklärt: "Man kann Black-Outs haben, also sich an gar nichts mehr erinnern, oder es kann sein, dass man ganz kurze Flashbacks hat", sagt Kussyk. Gedächtnislücken und Erinnerungsfetzen können für Betroffene sehr belastend sein."Es ist auch schon vorgekommen, dass jemand so betäubt war, dass sie alles mitbekommen hat, sie sich aber nicht mehr bewegen konnte", schildert Ursula Kussyk einen besonders schlimmen Fall.
Sechs bis acht Fälle, bei denen Mädchen oder Frauen in Verbindung mit Betäubungsmitteln vergewaltigt wurden, betreut Kussyk pro Jahr.
Deutlich mehr Anzeigen
Laut Bundeskriminalamt (.BK) sind die angezeigten Straftaten mit Verwendung von Betäubungsmitteln im Vorjahr stark gestiegen. "Grundsätzlich kann man sagen, dass es zwei Haupttatbestände gibt: Raub und Vergewaltigung", erklärt .BK-Pressesprecher Vincenz Kriegs-Au. Waren es 2014 noch 63 Anzeigen, bei denen K.O.-Tropfen oder ähnliche Substanzen eine Rolle gespielt haben, hat sich die Zahl 2015 mit 113 Fällen fast verdoppelt.
Eine Verschiebung gab es auch bei der Kategorie Geschlecht der Opfer, wie die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage durch das Innenministerium zeigt: "2014 gab es eindeutig mehr männliche Opfer, ungefähr zwei Drittel", so Kriegs-Au. Vor allem Raubdelikte wurden hierbei angezeigt.
"2015 hat sich das dann verschoben, und unter den 113 Opfern waren 73 Frauen." Auch bei den Vergewaltigungen insgesamt gab es einen deutlichen Anstieg von 8 auf 54 im letzten Jahr.
Worauf der zahlenmäßige Anstieg der Anzeigen genau zurückzuführen war, hat man im .BK nicht beantworten können. Vermutet wird aber eine stärkere Sensibilisierung für das Thema und dass sich Betroffene eher "trauen", Verdachtsfälle anzuzeigen. In jüngerer Vergangenheit hat es mehrere Aufklärungskampagnen gegeben, die auf die Gefahren von K.O.-Tropfen aufmerksam machten.
Ob es eine örtliche Konzentration solcher Fälle gibt, konnte man im .BK nicht beantworten. Ebensowenig wollte man Zahlen aus dem ersten Halbjahr 2016 bekanntgeben. Man verwies darauf, dass die Anzeigen erst geprüft werden müssen.
GHB, GBL oder Liquid Ecstasy
Auch Statistiken darüber, welche Substanzen am häufigsten verwendet werden, gebe es nicht - "Die Bandbreite ist einfach zu groß", erklärt Vincenz Kriegs-Au.
Besonders häufig fällt aber im Zusammenhang mit K.O.-Tropfen der Name GHB bzw. GBL (welches nach Einnahme im Körper zu GHB umgewandelt wird und somit dieselbe Wirkung wie GHB hat). Die Substanzen sind auch unter dem Namen Liquid Ecstasy bekannt, obwohl sie keine chemische Verwandtschaft zu Ecstasy haben und sich auch in der Wirkung unterscheiden. Liquid Ecstasy wird als Partydroge verwendet, machte aber auch schon als "Date-Rape-Droge" Schlagzeilen.
Die Substanz hat in "richtiger" Dosierung eine vergleichbare Wirkung wie Alkohol, nur setzt diese eben viel schneller ein. Bei der Dosierung können leichte Abweichungen ausreichen, um fatale Folgen zu verursachen. Zu hohe Dosierung kann rasch zu heftigem Schwindel, Bewusstlosigkeit, und im schlimmsten Fall bis zum Atemstillstand führen.
Selbstvorwürfe und Bagatellisierung
Frauen und Mädchen, die vergewaltigt oder Opfer eines sexuellen Übergriffes wurden, egal ob Betäubungsmittel im Spiel waren oder nicht, "haben sowieso häufig schon Schuldgefühle und schämen sich", sagt Ursula Kussyk. Zusätzlich komme es im sozialen Umfeld der Betroffenen immer noch manchmal vor, dass das Geschehene verharmlost wird.
"Da wird dann gesagt: 'Es ist ja gar nichts passiert', 'das bildest du dir ein', oder 'du hast einfach zu viel getrunken, bist selber schuld und wer weiß, was du da angerichtet hast'. In diese Richtung geht das", moniert Kussyk. So eine Reaktion sei zusätzlich zu den Selbstvorwürfen "fatal".
Dennoch kann sie verstehen, warum solche Reaktionen aus dem Umfeld kommen können. Diese Haltung, "diese Dinge abzuwehren und nicht wahrhaben zu wollen", sei eine "leider allgemein menschliche Tendenz". Zu glauben, dass einem so etwas Schreckliches einfach nicht passieren kann, weil man es selber nicht machen würde, "daran klammern wir uns halt alle irgendwo fest", so Kussyk.
Was tun, wenn man was erwischt hat?
Hat man einen Verdacht, ist es enorm wichtig, so schnell wie möglich zu handeln. Aufgrund der unmittelbar einsetzenden Wirkung und der relativ kurzen Zeit, in der solche Mittel nachgewiesen werden können, sollte man "sofort ärztliche Hilfeleistung in Anspruch nehmen". Nach dem Notruf soll man dem Rettungs- und Krankenhauspersonal über den Verdacht informieren, dass K.O.-Tropfen im Spiel gewesen sind.
Im Blut sind die Substanzen bis etwa sechs Stunden und im Harn bis etwa zwölf Stunden nach der Einnahme - nachweisbar. Die Frauenabteilung der Stadt Wien (MA 57) rät auf jeden Fall, auch nach dieser Zeit zu einer Blut- und Harnuntersuchung im Krankenhaus, da in der verabreichten Drogenmischung möglicherweise auch Substanzen enthalten sein können, die längere Zeit nachweisbar sind.
Mit FreundInnen kommen, mit FreundInnen gehen
Zusätzlich hält das Bundeskriminalamt die Parole "Mit FreundInnen kommen, mit FreundInnen gehen" hoch. "So kann Ihnen am wenigsten passieren. Falls Sie etwas verabreicht bekommen, ohne es zu wissen, können sich die FreundInnen oder Bekannte um Sie kümmern.
Ursula Kussyk appelliert an Betroffene, bei entsprechenden Einrichtungen Hilfe in Anspruch nehmen: "Es wird vertraulich gehandhabt, was sie erzählen. Man begegnet ihnen mit Wertschätzung und Respekt", betont Kussyk. Egal was geschehen sei, könne man in Ruhe besprechen.
Eines ist klar: Hat man tatsächlich etwas ins Getränk gemischt bekommen, ist man nicht selbst verantwortlich dafür! Niemand hat das Recht, das zu behaupten. Falls etwas passiert ist, muss man sich als BetroffeneR nicht dafür schämen.