Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Renner-Publizistikpreis für "Kampf im Park" "

Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

23. 12. 2016 - 11:18

Renner-Publizistikpreis für "Kampf im Park"

Glaubt man den Zeitungen, dann lauert in Wiener Parks hinter jeder Ecke eine Jugendbande. Aber wer sind diese Jugendlichen, vor denen sich ganz Wien angeblich fürchten muss? Die Reportage ist jetzt mit dem Karl Renner-Publizistikpreis ausgezeichnet worden.

Am Donnerstagabend wurde der Dr. Karl Renner Publizistikpreis 2016 vergeben. In der Kategorie "Fernsehen" ging der Preis an Julia Kovarik und Alexandra Augustin (ORF-"Am Schauplatz") für ihre Reportage "Kampf im Park" aus dem Sommer 2016, in dem es um den Kampf zweier Migrantengruppen am Rande der Gesellschaft geht. "In dieser Geschichte kommen Menschen zu Wort, über die sonst nur geredet wird", meinte Kovarik.

Preisträgerinnen Renner-Preis mit Urkunde

Wolfgang Zechner

Julia Kovarik und Alexandra Augustin

Der Radiojournalist Peter Lachnit ist für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden. In der Kategorie "Print" wurde Nina Horaczek vom "Falter" geehrt, die Kategorie "Radio" ging an Marlene Groihofer von "Radio Klassik", und "Online" an Stefan Kappacher (Ö1).

Gruppenfoto Rennerpreis

Andreas Lier

Begleitend zur TV-Reportage "Kampf im Park" haben Alexandra Augustin und Julia Kovarik auch einen Beitrag für FM4 gestaltet, den wir an dieser Stelle noch einmal präsentieren wollen:

Reportage: Kampf im Park

Ein Blick in die Schlagzeilen: In Bayern hat ein afghanischer Flüchtling in einem Regionalzug Passagiere attackiert und schwer verletzt. Auch in Österreich sind junge Afghanen in letzter Zeit vermehrt in den Schlagzeilen. Nicht als religiöse Attentäter, sondern im Zusammenhang mit Drogenhandel im Park und Massenschlägereien. Auf der anderen Seite stehen meist tschetschenische Jugendgruppen. In Wien ist in letzter Zeit viel von sogenannten "Hotspots" und Jugendbanden die Rede. Vor allem eine Massenschlägerei am Handelskai und eine Vergewaltigung auf einer Bahnhofstoilette am Praterstern gingen durch alle Medien.

"Ist Wien noch sicher?", fragten schnell einige Boulevardmedien. Die Lage sei ernst, die Ängste berechtigt, meinten die einen. Die anderen warfen den Medien Hetze und Panikmache vor.

Auffällig oft war in den Berichten von jungen, männlichen Afghanen und Tschetschenen die Rede. Und während die Polizei ihre Stellungnahmen abgab und JournalistInnen die Vorfälle schilderten, kam eine Gruppe bisher kaum zu Wort: die Jugendlichen selbst.

Julia Kovarik vom ORF "Am Schauplatz"-Team hat sich auf Spurensuche begeben. Gemeinsam haben wir mit jungen Afghanen und Tschetschenen gesprochen. Wer sind diese Jugendlichen, vor denen sich ganz Wien angeblich fürchten muss?

Kampf im Park -Junge Afghanen im Gespräch

"Wir werden hier jeden Tag bis zu sieben Mal kontrolliert, oft müssen wir sogar unsere Hosen ausziehen, damit sie uns nach Drogen durchsuchen können. Jetzt ist Fastenmonat. Wenn wir bis auf die Unterwäsche kontrolliert werden, sind wir ‚unsauber‘. Praterstern, Handelskai, Reumannplatz: Überall Kontrollen. Aber wo sollen wir sonst hin?"

In der Venediger Au lernen wir kurz vor Ende des Fastenmonats Ramadan den Afghanen Emran kennen. Von seinen Freunden wird er "Spartacus" gerufen. Mit seinen hellblonden Haaren fällt er in der Venediger Au - unter den afghanischen Jugendlichen auch "Afghaner-Park" - genannt, auf. Auch der Polizei. Streifenwägen ziehen im Park ihre Runden, der mobile Videoüberwachungsbus der Wiener Polizei steht nahe dem Fluc. Seit erstem Juli ist er im Einsatz. Ein unauffälliger Einsatzbus mit Kamera am Dach. Bei "auffälligen Situationen" schreiten Polizeibeamte ein.

Der blonde Afghane Emran wird im Park von allen „Spartacus“ genannt, weil er als Kind über Griechenland geflohen ist.

c) Bernhard Schmid

Der 15-jährige Afghane Emran wird im Park von allen "Spartacus" genannt.

Emran ist 15 Jahre alt. Sein T-Shirt ziert eine afghanische Flagge, auf der Gürtelschnalle ist ein Panzer eingraviert. Seit vier Jahren lebt er in einer betreuten Wohngemeinschaft, seine Familie ist in Afghanistan. "In Afghanistan war es zu gefährlich für mich", erzählt er. Seine Eltern haben ihn auf die Flucht geschickt, da er in Afghanistan aufgrund seiner ungewöhnlich hellen Haare für einen Ausländer gehalten worden ist.

Die meisten Jugendlichen aus dem "Afghaner-Park" sind als unbegleitete Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Um die Schlepper zu bezahlen, haben ihre Familien Schulden gemacht. Bei der Flucht gilt: "Je weiter hinauf du es in Europa schaffst, umso besser", erzählt uns der 30-jährige Youssuf. Er selbst kam vor sechs Jahren nach Wien. Er wollte nach Norwegen, die Schlepper haben ihn in Wien ausgesetzt. In Afghanistan hat er Rechtswissenschaften studiert, dort hatte er wegen der politischen Lage schlechte Chancen auf einen guten Job.

Julia Kovarik ist Journalistin bei "Am Schauplatz". Ihr Spezialgebiet sind investigative- und Sozialreportagen.

Jetzt unterstützt er andere Flüchtlinge und ist Teil des Vereins "AKIS - Afghanische Kultur, Integration und Solidarität in Wien". Außerdem macht er Musik. In seinen HipHop-Tracks rappt er über die Probleme, mit denen afghanische Flüchtlinge konfrontiert sind, etwa in seinem Track "Paragraph 8". Dieser Paragraph regelt im österreichischen Asylgesetz den Status der subsidiär Schutzberechtigten. Auch Youssuf erhielt diesen Status. Diese Personen haben weniger Rechte als andere Flüchtlinge und bekommen weniger Unterstützungsleistungen. Das war schwierig für Youssuf.

Die meisten der Jugendlichen im "Afghaner-Park" leben in überfüllten Asylheimen, sie warten monatelang auf ihr Erstinterview, Deutschkurse sind rar und sie dürfen nicht arbeiten, erzählt der junge Afghane Achmaddulah, der seit 2011 in Wien lebt:

"Wir bekommen 40 Euro Taschengeld im Monat. Deswegen dealen viele mit Drogen. Als ich 2011 nach Österreich gekommen bin, wollte ich einen Job finden, mein Leben weiterbringen. Aber in den letzten fünf Jahren bin ich Scheiße geworden. Ich bin 24 Stunden am Tag im Park unterwegs."

Achmaddulah dachte, dass Europa ein großes Land ist. In der Prater Hauptallee hielt der LKW an, der Schlepper setzte ihn und 40 weitere Flüchtlinge auf die Straße und sagte zu ihm: "Du bist jetzt in Europa."

Kampf im Park -Junge Tschetschenen und die Polizei

"Afghanen vs. Tschetschenen"

Die langsame Bürokratie und die scheinbare Chancenlosigkeit würde sie frustrieren, erzählen uns die Jugendlichen. Dieser Frust ist auch die Ursache dafür, dass junge Afghanen und Tschetschenen öfters aneinander geraten. Seit 2013 findet man dazu Berichte, auch in anderen österreichischen Städten wie Graz und Linz kam es zu Konflikten.

Bei ihren Erzählungen fällt auf: Die Lebenssituationen ähneln sich. Die Jugendlichen beider Länder kommen als Flüchtlinge nach Österreich, sie sind oft schlecht integriert, haben wenig Geld und verbringen ihre Freizeit deshalb in den Parks. Auch männliche Vorbilder fehlen: Oft sind die Väter in den Kriegen gefallen. Eine doppelt schwierige Situation für die jungen Männer, in deren Kulturen traditionell ältere Männer das Sagen haben.

In Afghanistan herrscht seit Jahrzehnten Krieg. In der russischen Teilrepublik Tschetschenien veranlassten zwei Kriege die Menschen zur Flucht. Seit 2009 ist der Krieg vorbei, aber in Tschetschenien ist trotzdem keine Ruhe eingekehrt. Seit 2007 führt Ramsan Kadyrow das Land autokratisch. Amnesty International berichtet, dass es auch nach Kriegsende immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt, zu Entführungen, Totschlag und Folter.

Aktuell leben rund 36.600 Afghanen und 33.000 Tschetschenen in Österreich, der Großteil davon in Wien (Quelle: Statistik Austria, per 1.1.2016). Allerdings gibt es zu den Tschetschenen keine offiziellen Zahlen, sie werden in der Statistik als russische Staatsangehörige angeführt.

Tägliche Polizeikontrollen gehören zum Alltag der Jugendlichen. (hier Floridsdorfer Spitz, hinter McDonald´s)

c) Bernhard Schmid

Tägliche Polizeikontrollen gehören zum Alltag der jungen Tschetschenen im Park.

"Marke Tschetschenien"

In einem Park in Wien-Floridsdorf, gleich hinter einer McDonald’s-Filiale, treffen wir den 18-jährigen Said und seine Freunde. Als wir dazu kommen, werden gerade ihre Ausweise von Polizisten kontrolliert. Ein Grund dafür findet sich immer: Lärmbelästigung, verdreckte Parkbänke, Diebstahlsanzeigen, wo die Täterbeschreibung auf sie passt. Nach der Kontrolle kommen wir ins Gespräch.

"Ich wollte eigentlich Arzt werden, weil mein Vater im Krieg in Tschetschenien gestorben ist. Im Krieg gab es nur wenige Ärzte. Hat leider irgendwie nicht so gut geklappt", erzählt der arbeitslose Said. Seit zehn Jahren lebt der Tschetschene mit seiner Mutter und den Geschwistern in Österreich. In seinem Freundeskreis finden sich Tschetschenen, aber auch Afghanen, Türken und Tunesier.

"Uns ist egal, woher jemand kommt. Es gibt solche und solche, überall gibt es gute und schlechte Menschen", meinen die Jugendlichen. Muslimische Traditionen wie die Einhaltung des Fastenmonats Ramadan sind ihnen wichtig. Im Gespräch fällt oft das Wort "Ehre". Was das ist, wollen wir wissen. "Ehre" lässt sich aber nicht mit wenigen Worten beschreiben.

"Bei uns in Tschetschenien zeigt man einem Mann keinen Respekt, wenn seine Schuhe nicht geputzt sind. Es ist wichtig, immer sauber angezogen zu sein und wir sollen schön reden. Man darf vor älteren Tschetschenen keine Schimpfworte aussprechen und rauchen. Unsere Hände müssen wir im Gespräch immer unten halten. Wir haben Respekt vor unseren Eltern und Großeltern. Und von anderen beschimpfen lassen wir uns nicht".

Jeden Tag trifft sich Said (rechts) mit seinen Freunden im selben Park in Floridsdorf. Sie kommen aus Tscheschenien, der Türkei, Afghanistan und Tunesien.

c) Bernhard Schmid

Jeden Tag trifft sich Said (rechts) mit seinen Freunden im selben Park in Floridsdorf. Sie kommen aus Tscheschenien, der Türkei, Afghanistan und Tunesien.

Saids kleiner Bruder Ahmed war bei der Massenschlägerei am Wiener Handelskai mit dabei. Ein Konflikt auf Facebook hatte sich hochgeschaukelt. Am Ende wurde der virtuelle Streit auf offener Straße ausgetragen. 50 Jugendliche prügelten sich nahe der U-Bahn-Station. Ein Freund von Ahmed, ein Afghane, wurde mit einer Eisenstange auf den Kopf getroffen. "Am Ende haben sich alle gegenseitig geschlagen, auch Afghanen gegen Afghanen", erzählt er. Nachdem die Tschetschenen in letzter Zeit so oft in den Schlagzeilen sind sei es aber mittlerweile "cool", Tschetschene zu sein. Damit lässt es sich gut angeben.

Wir wollen wissen, wieso es zwischen jungen Tschetschenen und Afghanen zu Streit kommt. "Mädchen, Revierkämpfe, Langeweile", diese Antwort hören wir von fast allen Jugendlichen.

Junge Tschetschenen am Auto

c) Bernhard Schmid

Am Auto herumbasteln ist ein beliebter Zeitvertreib bei den Jugendlichen.

Wir treffen den Afghanen Ghousuddin Mir, Obmann des Afghanischen Kulturvereins "AKIS" und den tschetschenischen Ex-Politiker Huseyn Ishanov, der mit seiner Frau und seinen sechs Töchtern in Wien lebt. Beide suchen immer wieder das Gespräch mit den Jugendlichen in den Parks. Huseyn Ishanov beklagt, dass ein Treffpunkt für die tschetschenischen Jugendlichen fehlt. Ein Vereinslokal wäre die Lösung. Doch dafür fehlt das Geld. Gäbe es einen solchen Ort, dann würden die Jugendlichen nicht in den Parks abhängen und man könnte sie besser im Auge behalten. Dann würden sie nicht aus Langeweile und Frust miteinander streiten.

"Die jungen Burschen kennen nur die Sprache der Gewalt. Viele sind nach der Flucht mit dem Alltag überfordert. Einen Arzt finden, der ihre Sprache spricht, Formulare ausfüllen, Schulaufgaben: Dabei versuchen wir ihnen zu helfen. Auch das Frauenbild der jungen Afghanen birgt Konfliktpotenzial. Sie kennen es nicht, dass Frauen selbstbestimmt leben, so wie sie es in Österreich tun", erzählt Ghousuddin Mir.

Die meisten der afghanischen Jugendlichen sind zur Zeit der Talibanherrschaft geboren worden. Die Taliban verpflichteten Mitte der 1990er Jahre alle Frauen zum Tragen einer Burka und sie durften nicht arbeiten und zur Schule gehen. Afghanistan zählt laut Human Development Index zu den ärmsten Ländern der Welt. Der Großteil der AfghanInnen sind AnalphabetInnen.

"Ich spreche fünf Sprachen, aber ich kann meinen eigenen Namen nicht schreiben", erzählt uns ein afghanischer Jugendlicher in der Venediger Au. Nur mühsam holen viele im Ausland Bildungslücken auf. Zumindest Spartacus hat das geschafft: Er hat vor einigen Tagen seinen Pflichtschulabschluss absolviert. Die schlechteste Note darin war ein Dreier. Aktuell sucht er eine Lehrstelle. Einfach ist das nicht.

"Afghanen sind scheiße", das höre er oft. Und auch Said erzählt, dass sich die Jobsuche schwierig gestaltet. Bis ihr Leben in geregelten Bahnen verläuft, wird es noch dauern.

Kämpfe und Schlägereien haben wir an den Tagen, an denen wir in den Parks unterwegs waren, übrigens keine beobachten können. Aber wir waren auch mit einer Kamera unterwegs. Eine kleine Rangelei, die den anstrengenden Fastentagen während des Ramadan geschuldet ist, haben wir allerdings mitbekommen. So schnell die Konflikte kommen, so schnell vergehen sie wieder, wie uns einer der Jugendlichen erzählt: "Wir fetzen uns, aber zwei, drei Stunden später ist wieder alles gut. Wir sind alle Brüder." Eine Erkenntnis, die hoffentlich bald andere Menschen ebenso verinnerlichen.