Erstellt am: 7. 7. 2016 - 00:31 Uhr
Sie taten nur, was Tony für richtig hielt
Nein, es ist nichts Neues, aber es ist auch nicht selbstverständlich, was da aus dem gestern veröffentlichten Chilcot Report hervorgeht.
Wir wussten das alles schon damals, die Argumente für die Invasion des Irak waren so offensichtlich aufgebauscht, so leicht zu durchschauen.
All das gespielte Geduldverlieren mit der vermeintlichen Unfähigkeit der Waffeninspektoren, das ständige Verschieben der Torstangen seitens Tony Blairs und seiner Adlati Geoff Hoon, Jack Straw etc., ihre staatsmännischen Macho-Posen Schulter an Schulter mit der Bush-Administration.
Einmal brauchten sie ein "smoking gun", dann reichte auch das schlichte Hörensagen, und das Fehlen des Smoking Gun mutierte zum Beweis, dass jenes bloß umso besser versteckt sein musste. Erst brauchten die Briten eine neue UN-Resolution zum Angriff, dann doch wieder nicht.
Nein, Tony, was immer du sagst: Viele Menschen konnten sich damals sehr wohl vorstellen, wo das alles hinführen würde. Sonst wären wir ja nicht zu Millionen dagegen auf die Straße gegangen, damals am 15. Februar in London.
APA/AFP/POOL/STEFAN ROUSSEAU
Und dann wieder und wieder, bis nur mehr ein Häufchen übrig war, und die Stop The War Coalition sich ihrerseits zunehmend in sektiererischen Sackgassen und falschen Bündnissen verlor.
Die zwei wichtigsten politischen Stimmen, die damals im Unterhaus Tony Blairs Feldzug zu widerstehen wagten, sind seither verstummt:
Robin Cook, der Außenminister, zurückgetreten am 17.3.2003 mit einer Brandrede gegen den Krieg, gestorben 2005 an einem Herzinfarkt beim Wandern.
Und Charles Kennedy, der kluge Chef der Libdems, der damals einzigen geschlossenen Opposition gegen die Invasion, gestorben 2015 an einer Hirnblutung, verursacht durch seinen Alkoholismus.
Beide haben ihr spätes Rechtbehalten nicht mehr miterleben dürfen.
Jeremy Corbyn, der heutige Noch-Labour-Chef, sagte damals in seiner Rede auf der großen Londoner Friedensdemo unter anderem Folgendes: „Tausende Tote mehr im Irak werden die Dinge nicht richtig machen. Das wird eine Spirale des Konflikts, des Hasses, des Unglücks und der Verzweiflung in Gang setzen, die die Kriege, die Konflikte, die Verzweiflung und das Unglück zukünftiger Generationen befeuern wird.“
Es heißt, Corbyn habe sich in den letzten Tagen von seiner abtrünnigen Parlamentsfraktion nicht rauswerfen lassen wollen, weil er noch im Amt sein wollte, wenn der Chilcot Report nach sieben Jahren des Wartens endlich veröffentlicht würde.
Das kann man ihm auch schwer verdenken. Er war einer von 138 Labour-Abgeordneten, die damals ihrem Chef zum Trotz gegen den Krieg stimmten (mit 15 Tories, und allen 53 Libdems).
Mein Interesse daran, wie es Blair heute dabei geht, hält sich indessen in Grenzen. Ja, ich höre die tiefe Verletzung in seiner zittrigen Stimme, aber die Worthülsen, die er von sich gibt, sind immer noch genauso hohl.
Viel stärker wiegt dagegen die Erinnerung daran, dass Blair damals ja keineswegs alleine dastand. Er hatte seine Claqueure, nicht zuletzt in den Medien.
Eh schön etwa, dass der Guardian sich jetzt die Hände reibt und Blairs politische Glaubhaftigkeit als für immer erledigt erklärt.
Aber ich weiß schon auch noch, warum ich damals mein Abo kündigte (wir lasen stattdessen jahrelang den Independent). Gerade der Guardian stieg so hörig in die Kriegspropaganda mit ein und spielte den ganzen widerlichen Shock & Awe-Hype mit, ehe es dann irgendwann der schlechten Nachrichten zu viel wurde.
Allerdings, es sind Tonys willige Weggefährten, die aus heutiger Sicht so armen Irregeleiteten, die mich am meisten irritieren.
Hört zu, ihr Opfer, zum Irregeleitetwerden gehören immer zwei, und ihr wart schon ganz ordentlich naiv damals.
Oder vielleicht auch mitgefangen in der Idee, in Tonys Windschatten ganz was Großes zu tun.
Einmal wie richtige Erwachsene eure alten anti-imperialistischen Hang-Ups beiseite zu lassen und ein bisschen Demokratisierung mit Kanonendonner auszuprobieren.
Auch wenn die Sache so offensichtlich gegen den Wind stank.
Das war, wenn ich mich recht erinnere, die Konsequenz des Post-11.September-“Wir sind alle New Yorker“-Gefühls der Zeit, das sich ganz schnell in eine Art Rachelust und einen Auftrag zum Aufräumen in der Welt übersetzte.
Tony Blair sagte das heute selbst in seiner zittrigen Rede. Er habe nach dem 11. September 2001 beschlossen, „with America“ zu sein.
Die Vorstellung, dass das bedeutete, alles mitzumachen, was George W Bush, Donald Rumsfeld, Condolezza Rice und Dick Cheney für richtig hielten, verrät ein erstaunlich primitives Verhältnis dafür, was eine Freundschaft mit Amerika ausmacht. Aber es entlässt all jene, die auf diesem sturen Kurs mitsegelten, nicht aus ihrer Verantwortung.
In Österreich oder Deutschland fühlte sich das völlig anders an, auch daran kann ich mich gut erinnern.
Von Großbritannien aus war es jedenfalls eine wichtige Erfahrung mitzuerleben, welche Dynamik entsteht, wenn sich in einem Land ein rechtschaffener Drang zum Krieg durchsetzt, in seiner politischen Repräsentation und seinen Medien.
Wenn das Land dann einmal in den Krieg zieht, die patriotische Pflicht einverlangt und jeder Zweifel zum Verrat umgedeutet wird.
Wenn - wie in diesem bestimmten Land so oft - die Parallele zur historischen Erfahrung des ''appeasement" eines Neville Chamberlain gegenüber Adolf Hitler strapaziert wird, um ein moralisch richtiges Eingreifen zu rechtfertigen.
Wie wir jetzt wissen, basierte die “intelligence“, die Tony Blair seinem Parlament als fundiert verkaufte, auf den Aussagen eines später diskreditierten Informanten, der seine Kenntnis chemischer Waffen vermutlich dem Hollywood-Film „The Rock“ mit Sean Connery und Nicolas Cage entnommen hatte.
Nicht nur die Geheimdienste, sondern auch Blairs Büro, sein Kabinett und der Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith wollten der Quelle glauben, die ihnen die “silver bullet“ lieferte, die sie suchten.
Das Kriegsgetrommel der angloamerikanischen Öffentlichkeit, der ganze Lärm rundherum, der all das möglich machte, liegen freilich außerhalb des Blickwinkels des Chilcot Reports.
Während ich das schreibe, läuft auf der BBC gerade eine Newsnight-Sondersendung, in der Mark Urban, der Diplomatie-Redakteur, das Desaster mit journalistischer Distanz analysiert.
Ich sehe ihn aber noch vor mir, wie er damals vor der Landkarte des Irak als beflissener Westentaschengeneral mit der Begeisterung eines Risiko spielenden Schulbuben den Verlauf der Invasion beschrieb.
Und ich verstehe nicht, wie diese Leute sich heute als unbeteiligte Berichterstatter aus der Affäre schrauben können. Wie sie sich auf ihr Recht berufen können, kritiklos der Einschätzung des Premiers gefolgt zu sein. Weil der schon wissen wird.
Das ist ein Versagen, das letztlich mindestens so schwer wiegt wie die Hybris Tony Blairs.