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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 7. 2016 - 19:02

The daily Blumenau. EM-Journal '16-69, 05-07-16.

Reality Check - welche Annahmen von vor dem Turnier haben gestimmt? Oder: War die Fehleinschätzung von Österreich schon die schlimmste Sünde?

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das ist ein Eintrag ins EM-Journal '16, da ist die Klick-Übersicht.

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Hier sind die Vorab-Einschätzungen im Vergleich:

Gruppe A mit Frankreich, Albanien und Rumänien sowie der Schweiz.

Gruppe B mit England, Wales, Russland und der Slowakei.

Gruppe C mit Weltmeister Deutschland, Polen, der Ukraine und Nordirland.

Gruppe D mit Titelverteidiger Spanien, Türkei, Kroatien und Tschechien

Gruppe E mit Belgien, Italien, Schweden und Irland.

Und die Gegner in Gruppe F sind Island und Ungarn sowie Portugal.

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Das waren die Viertelfinals: Polen gegen Portugal, dann Wales - Belgien und das Drama von Deutschland gegen Italien und Frankreich - Island

Das war die grundsätzliche System-Analyse nach dem Achtelfinale, das die Einschätzung der Auswirkungen des aktuellen Nationalismus.

Das waren die Achtelfinals: Schweiz - Polen. dann Wales - Nordirland und schließlich Kroatien gegen Portugal, der Sieg von Frankreich gegen Irland weiters Deutschland vs Slowakei und Ungarn - Beglien sowie schließlich Italien vs Spanien und England - Island

Das war das Aus von Österreich in Runde 3 und das die selbstkritische Schuldfrage.
Das war der Rasierklingen-Tanz von Österreich gegen Portugal, so sieht es in der Nachlese aus. Das war Österreich vs Ungarn und das ist die Analyse dazu.

Das ist die Bilanz der Vorunde.

Das war Runde 3 in der Frankreich-Gruppe A, das in der England/Wales-Gruppe B, der Deutschland-Gruppe C. der Spanien-Gruppe D und der Belgien/Italien-Gruppe E.

Das war die zweite Runde mit Rumänien vs. Schweiz sowie Frankreich - Albanien weiters Russland gg. Slowakei und England - Wales sowie Ukraine - Nordirland und Deutschland vs. Polen. Dann war Schweden gegen Italien sowie Tschechien gegen Kroatien und Spanien vs. Türkei

Weitere Erstrunden-Spiele: Frankreich vs. Rumänien sowie Albanien - Schweiz und aus der der Gruppe B Wales vs. Slowakei und England - Russland. So gingen Polen gegen Nordirland und Deutschland - Ukraine. Und das war Türkei - Kroatien und Spanien - Tschechien.
Und dann noch Irland vs. Schweden und Belgien - Italien plus dann noch Portugal - Island.

Offizielles gibt's auf uefa.com und das ist die Info-Site von sport.orf.at.

#emjournal16 #fußballjournal16

Wer sich im Vorfeld die Freiheit herausnimmt alle Mannschaften recht detailliert einzuschätzen, darf sich nach dem Turnier - oder zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Stärken/Schwächen der Teilnehmer schon final einschätzen lassen, jetzt vor dem Halbfinale etwa - schon auch daran messen lassen.

Von 'Auf dem Punkt' bis 'Halbwegs stimmig'

Veranstalter Frankreich, sage ich am Eröffnungstag, "ist der eigentlich logische Favorit für diese Euro." Und weiter: "Frankreichs Vorteil besteht darin, dass man kein Problem damit hat als Favorit das Spiel zu machen, aber auch nicht weinend zusammenbricht, wenn ein gleich starker Gegner einen unter Druck setzt."
Das stimmt, wiewohl der gleich starke Gegner noch nicht da war: Unter Druck sind die Franzosen aber trotzdem geraten; und kamen zurück. Und auch Payet, Griezman, Martial-Coman, Kante, Giroud und Pogba sind alle als special erwähnt.

"Die Mannschaft ist auch weiterhin so gut, das Trainerteam auch weiterhin so gesalbt, die Bedingungen rundherum auch weiterhin so gesettelt, dass alles andere als ein Vorstoß unter die letzten 4 eine echte Überraschung wäre", sage ich zu Deutschland; und betone die strategische Variabilität als Vorzug, als Löw'sche Tugend, übertreibe bis hin zum Guardiola-Vergleich. Stimmt trotzdem.

Und auch der dritte Halbfinalist hatte seinen entsprechenden Vertrauens-Vorschuss:
Wales "hat ... ein qualitativ hochwertiges Team gebildet und zählt zu den Geheimfavoriten des Turniers" und "Wales wird verdammt hoch eingeschätzt, manche trauen Bale und Co auch den Gruppensieg gegen England/Russland/Slowakei zu." Hat gestimmt; und auch das Vorab-Lob des genialen 5-2-2-1 von Trainer Coleman.

Ich könnte auch meine Einschätzung des vierten Semifinalisten irgendwie hinbiegen, aber nachdem bei Portugal die "normalen Umstände" eben ausgehebelt wurden, landen die bei "unterschätzt".

"Italien ist ja immer eine echte Wundertüte, aber so sehr wie heuer wohl noch nie." Wie unabsichtlich treffend. Ich dachte eher daran, dass Antonio Conte seine Strategien von Spiel zu Spiel so ändert und schärft, dass keiner mehr mitkommen wird. Passiert ist dann ein anderer Wundertüten-Aspekt. Conte hat für Italien ein geniales System gefunden, mit dem er alles und alle (eigentlich) besiegen kann.

"Spanien am Scheideweg". Das war klar: Entweder das Team schließt wieder an 2012 an, oder es gibt das dicke Ende einer tollen Ära. "Spaniens Nationalteam sollte jetzt also liefern, um nicht wieder in die zweite Reihe abzusinken. Wobei 'liefern' ganz konkret zumindest das Halbfinale bedeutet; alles andere ist ein Misserfolg. Und da spricht einiges dafür, wenn auch einiges dagegen."
Im Fall von Spanien war's eben wirklich an der Kippe - der Kontrollverlust gegen Kroatien, das war das Ende, und das war eine Sache von wenigen Minuten.

Apropos: Kroatien scheint gut gerüstet. Es fehlt beim 2. Anzug und es fehlte zuletzt am Willen, ein Spiel um jeden Preis zurückzuholen. Auch der Nationalismus als Hemmschuh - alles schon da.

Eindeutig waren andere Fälle, Russland und die Ukraine etwa: "Sportlich werden die beiden Nachbarn in jedem Fall keine sonderlich große Rolle spielen." Oder Schweden, wo es nach einer ausführlichen Anti-Ibra-Tirade (die sich als ziemlich trefferreich herausgestellt hat) dann heißt: "Da wird schon Platz 3 samt Aufstieg ein hartes Stück Arbeit." Zu hart.

Rumänien setze ich auf Platz vier in seine Gruppe, mit der Einschränkung, dass es "ein Team, das von jedem unterschätzt werden wird und daraus seine Chancen beziehen wird", wäre. Stimmt schon im Auftakt-Match.

An Polen zweifle ich, von Beginn an, Bauchgefühl. Und traue ihnen dann trotzdem etwas zu: "Also: Polen könnte über einen historischen Schatten springen und diesmal etwas reißen." Immerhin das Viertelfinale.

Die Slowakei "als möglicher Gruppendritter (und das ist in Reichweite) würden sie wohl auf einen ganz Großen, vielleicht sogar wieder Deutschland treffen." War dann alles genau so.

Nicht falsch und doch knapp daneben

Island ist ein "gefährlicher Stolperstein, nur durch Team-Effort zu überwinden. Schwachpunkte gibt es in dieser Mannschaft, die über Geschlossenheit, guten Spirit und ein stabiles taktisches Konzept kommt, in diesem Team, das sich auf Basis einer anständigen Jugendarbeit in guten Ligen weiterentwickeln konnte, eigentlich keine."
Der Hype um die Vulkanier war trotz dieser nicht falschen Einschätzung nicht einmal ansatzweise vorherzusehen.

Belgien, sage ich, Belgien wird wohl weit kommen... Belgiens Mannschaft ist von der Selbstsicherheit des (zeitweiligen) Weltranglisten-Spitzenreiters durchdrungen und strahlt seit geraumer Zeit ein Mehrfaches des ohnehin übergroßen Selbstbewusstseins aus: Gegen unsichere Kontrahenten ist das bereits die halbe Miete. Gegen selbstsichere Teams wie Italien oder Wales galt das dann nur noch bedingt.

"Es kann leicht sein, dass die Tschechen trotz dreier brauchbarer Leistungen vorzeitig aus dem Turnier gehen." Es waren dann drei eher wenig brauchbare Leistungen für Tschechien; der Gang aus dem Turnier war aber richtig erkannt.

Ein Satz zur Türkei: "Insofern kann das Hochreden der eigenen, nach dem Erreichen eines dritten Gruppen-Platzes plötzlich als solche wahrgenommene Stärke auch nach hinten losgehen." Trotzdem nehme ich die Mannschaft als flamboyant wahr - stimmte im Test gegen Österreich, war falsch für die Euro.

"Nordirland kann in der Deutschland/Polen/Ukraine-Gruppe ein gefährlicher Außenseiter sein, der zumindest ein Haxerl stellen wird, und damit schon alle Erwartungen übererfüllen würde."
Exakt. Warum ich die Nordiren trotzdem unter knapp daneben einordnen möchte? Weil ich ihre strategische Genialität vorab nicht einmal ansatzweise andeuten konnte.

Unterschätzt

Noch strenger muss ich im Fall von Irland sein, die ich eher hinter den Schweden gesehen habe: "Damit hangelt sich dieses Team seit Jahren durch die Turnier-Qualis und schafft es dann entweder knapp doch oder auch knapp nicht. Für die Gruppe, bzw. den 3.Rang, der vielleicht reichen wird, gilt Ähnliches." Und wie bei den Nachbarn im Norden gilt auch hier: sträfliche Vorabunterschätzung, was Strategien und Ideen betrifft.

Unterschätzt hab ich auch Portugal. Da steht: "Alles das macht die Mannschaft ausgesprochen berechenbar. Das führt dazu, dass sie sich - unter normalen Umständen - ganz von selber deckelt. Wie auch beim anstehenden Turnier wieder." Nur dass diesmal diese normalen Umstände nicht eingetreten sind. Portugal hat genau daran gearbeitet, ist komplett unberechenbar geworden, zu einer Art West-Italien. Hätte ich ihnen nicht zugetraut. Die große Überraschung unter al jenen, die man aus dem effeff zu kennen glaubt.

Völlig daneben: Ungarn. Die nenne ich "Eine limitierte, international noch nicht angekommene Truppe" und merke an "Ein ÖFB-Team in Normalform muss (sie) spielerisch in Schach halten können und dann mit guter Kombinationsarbeit im letzten Drittel ein Tor mehr schießen, als man womöglich zulassen muss."
Mein Problem: beides halte ich weiterhin für völlig richtig. Ungarn wäre von Österreich in einem besseren Zustand zu biegen gewesen; Ungarn danach punktelos auf den letzten Platz gegangen.

vice versa unter/überschätzt

Albanien und die Schweiz. Für mich war klar, dass es genau anders rum laufen wird. Dass Albanien ("Ich würde sie in dieser Hinsicht auf der Rechnung haben") das Bruder-Duell gewinnt und auf Platz 2 geht, die Schweiz sich als Dritter auch noch qualifiziert, und ihnen "die aktuellen Grenzen aufgezeigt werden."

Den tipping point in diesem Spiel nicht vorauszusehen, war nicht das Problem, das kann passieren. Der Fehler war, die Turniererfahrung der Schweizer ebenso zu unterschätzen wie die Unerfahrenheit der Albaner.

Überschätzt

England, wieder einmal. Für mich waren sie der nach einem Tantra-Seminar "runderneuerte Liebhaber, der plötzlich mehr als nur die Missionarsstellung draufhat und vielleicht sogar echt Bescheid über sein Gegenüber weiß". Theoretisch ja; wenn man aber einen Coach wie Roy Hodgson hinter sich weiß, dessen Konservativismus sich jenseits von Cameron in der Nähe von Boris Johnson einordnet, dann kann man's nicht so gut ausspielen. Immerhin: die Prophezeiung dass das erste Spiel gegen Russland den Turnierverlauf bestimmen würde, hat gestimmt - es war aber die miese 2. Halbzeit, nicht die gute erste.

Dazu kommt Team 24: Österreich. Da habe ich mich (nicht hier, nie schriftlich) hinreißen lassen, öffentlich an das Viertelfinale zu glauben. Und mich dabei immer wieder über die Dezenz von Sportchef Ruttensteiner gewundert, der nie auch nur ansatzweise zu mehr als der Hoffnung auf das Überstehen der Gruppenphase anbot: Und das nicht als Indikativ.

Dass ihn jetzt trunkene Wunderteam-Sänger und journalistische Prohaska-Händchenhalter besserwisserisch anzupinkeln versuchen, zeigt nur zweierlei: die Vorsicht ist/war in jeder Hinsicht begründet. Auch die Ruttensteiners was die Konditionen seiner Vertragsverlängerung betraf. Und: der Wunsch zur Rückkehr in eine gesellige Haberer-Vergangenheit, der angestrebte Rücksturz ins nationalistische Faulbett eint Boulevard und Öffentlichkeit zu einer unheiligen Allianz. Gegen die es in den kommenden Jahren aufzutreten gilt.