Erstellt am: 4. 7. 2016 - 16:54 Uhr
Die Sünden der Väter
In aller Ruhe eine verlassene Gegend erforschen und der Frage auf den Grund gehen, warum man hier ist. Und dabei vielleicht auch gleich versuchen zu klären, wer man selbst ist. Dieses fast schon existenzialistische Computerspiel-Setting gibt es nun schon seit ein paar Jahren, manche nennen es liebevoll, manche abschätzig Walking Simulator. Diese Spiele heißen dann etwa "Dear Esther", "Gone Home" oder "Everybody's Gone To The Rapture".
Spielkultur auf FM4
Seit Kurzem können wir eine weitere geheimnisvolle Insel erkunden. Sie wurde von der österreichischen Indie-Entwicklerfirma Homegrown Games gestaltet, unter der Leitung der unorthodoxen Computerspiel-Skandalnudel Johann Ertl alias Ivan Ertlov. Ertlov hat ein ausgeprägtes Interesse für Politik, Geschichte und Pop-Trash. In seinen Spielen trifft man unter anderem auf Showgirl-Zombies oder bekämpft Nazis in Neuschwabenland. Homegrowns neuester Streich ist vergleichsweise ruhig und elegant ausgefallen. "Father's Island" ist ein Explorationsspiel aus der Egoperspektive. Auf allerlei Kurioses und Bizarres darf man sich aber auch hier gefasst machen.
Zurück zur Insel
Keine Frage: Wenn eine bemüht coole Männerstimme meint, dass wir uns auf die Suche nach unserer dunklen Vergangenheit machen sollen, ist Widerstand zwecklos. Zuerst müssen wir noch Benzin fürs Boot finden, und dann tuckern wir auch schon zur mysteriösen Insel. Einige Jahre ist unser Protagonist John davor im Gefängnis gesessen - angeblich hat er einen Supermarkt überfallen. Die DNA-Spuren sprechen zwar eine klare Sprache, er war's aber trotzdem nicht. Das macht alles keinen Sinn, deshalb müssen wir dieses große Rätsel jetzt ein für alle Mal klären und die Insel unserer Kindheit durchforsten.
"Father's Island" ist eine Art ruppige Underground-Version von "Dear Esther". Die 3D-Welt hat ihren eigenen Stil, ist aber technisch durchwachsen. Die ganze Umgebung ist in gelbe, rote und braune Farbtöne getaucht, die Texturen sind flach und hässlich, die Hintergrundmusik und Voice-Overs sind schlecht aufeinander abgestimmt.
Homegrown Games
Auf der Insel angekommen, erforschen wir - typisch Walking Simulator - die verlassene Umgebung und lesen Briefe und persönliche Informationszettel, die wir auf und in den Gebäuden finden. So entspinnt sich langsam die Geschichte. Nur auf Entdeckungsreise gehen ist aber nicht alles: In "Father's Island" muss man auch einige Schlüssel für verschlossene Türen und Toren suchen, und die sind nicht immer einfach zu finden.
Hat man nach circa einer halben Stunde die durchwachsene Präsentation akzeptiert, kommt man drauf, dass die Vaterinsel ziemlich groß ist und die einzelnen Schauplätze - trotz der technischen Schlichtheit - durchaus einprägsam sind. Auf Menschen treffen wir hier nicht, dafür aber auf unseren Vater, der in bestimmten Situationen in Form kleiner Videoclips als eine Art Geist eingeblendet wird. Der Vatergeist wird von Ivan Ertlov selbst verkörpert - inklusive mäßigem schauspielerischen Talent und seltsamer englischer Aussprache.
Homegrown Games
"Father's Island" ist für Windows auf Steam erschienen.
Gemessen an Genre-Größen wie "Gone Home" oder "Everybody's Gone to The Rapture" ist "Father's Island" technisch unterdurchschnittlich und erzählerisch, sagen wir, unsubtil. Allerdings sind sich Ivan Ertlov und Team dessen bewusst - es ist ihnen einfach egal. Teilweise werben sie sogar damit. Bemerkenswert ist, dass das Game in nur einem halben Jahr von zwei Leuten erstellt wurde. Quick and dirty, quasi. Das muss man mögen.
Wenn man das Spiel aber nicht ständig mit anderen Titeln in Bezug setzt und sich darauf einlässt, bekommt man für fünf Euro ein Game, das man durchaus als kleinen Geheimtipp bezeichnen kann. Von der brachialen Oberfläche sollte man sich nicht täuschen lassen: Polit-Pop-Trash dieser Sorte ist bei Computerspielen ungewöhnlich und eine erfrischende Abwechslung zwischen den vielen aufpolierten Geschichten, durch die wir sonst so wandern.